J.D. Vance und Europa: Spätestens seit der vielfach zitierten Rede des amtierenden US-Vizepräsidenten bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar, die man getrost als „Zeitenwende“ im amerikanisch-europäischen Verhältnis bezeichnen kann, birgt dieses Thema reichlich Sprengstoff. Vance stellte in seiner Münchner Rede die über Jahrzehnte für selbstverständlich gehaltene transatlantische Kooperation – noch präziser, die Unterstützung der Amerikaner für Europa – in Frage und warnte gleichzeitig, dass lange geteilte Werte wie Meinungsfreiheit oder Demokratie in Europa vielfach auf dem Spiel stünden.
Dafür erhielt der 40-Jährige von einigen europäischen Politikern, die hierzulande gerne in die rechte „Schmuddelecke“ gestellt werden, großen Zuspruch, während Vertreter der etablierten Parteien mit der Kritik des Amerikaners kaum etwas anfangen konnten. Der Auftritt vor der Sicherheitskonferenz bildet aber nur ein Glied in einer Kette von Ereignissen, die viele Beobachter zumindest daran zweifeln lassen, ob Vance – und damit auch seinem Vorgesetzten Donald Trump – tatsächlich am Schicksal der Europäer gelegen ist. Da wäre der Umgang mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj bei dessen Besuch im Weißen Haus. Oder die flapsige Bemerkung, er hasse es, für Europa „den Karren aus dem Dreck zu ziehen“, die Vance in einem geleakten Chat mit hochrangigen Vertretern der US-Regierung tätigte.
Vance trifft auf Parolin
Wenn Vance nun am Karfreitag zu seiner ersten Europareise seit dem Auftritt in München im Februar aufbricht, versteht sich also von selbst, dass die Aufmerksamkeit groß sein wird. Noch dazu, da ihn mit Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, die gerade den US-Präsidenten Trump in Washington besucht, eine Regierungsschefin empfängt, mit der Vance politisch vergleichsweise große Schnittmengen aufweist – gesellschaftspolitisch, aber auch beim Thema Migration.
Doch Vance‘ Besuch ist noch aus einem anderen Grund interessant: Der US-Vize wird sich nämlich auch mit dem vatikanischen Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin treffen, wie das Weiße Haus mitteilte. Der genaue Termin ist allerdings nicht bekannt, auch hat der Vatikan das Treffen bislang nicht bestätigt. Für Vance dürfte ein Zusammentreffen mit Parolin – nach Papst Franziskus die Nummer Zwei im Vatikan – womöglich noch bedeutender sein als der Termin mit Meloni, denn der ambitionierte Vizepräsident ist bekanntlich Katholik. Für ihn muss es von großer Bedeutung sein, rund um das Osterfest im Vatikan und damit im Zentrum der Christenheit zu verweilen.
Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Vance und der Vatikan einen Start hinlegten, den man durchaus als holprig bezeichnen kann. Denn anders als mit Meloni liegt der Republikaner in Sachen Migration ganz und gar nicht auf der Linie des Papstes. Franziskus übte sogar kaum versteckte Kritik am amerikanischen Vizepräsidenten: Den Aufhänger bildeten Vance‘ Worte von dem sogenannten „Ordo amoris“, dem christlichen Konzept einer Rangordnung der Liebe vom Nahen zum Fernen, mit der sich eine strikte Einwanderungspolitik aus dem christlichen Glauben heraus begründen lasse. „Du liebst deine Familie, dann liebst du deinen Nachbarn, dann liebst du deine Gemeinde, dann liebst du die Mitbürger in deinem eigenen Land und erst im Anschluss kannst du dich auf den Rest der Welt fokussieren und ihn priorisieren.“ Mit diesen Worten, die angelehnt sind an den heiligen Augustinus, hatte Vance die Migrationspolitik der Trump-Regierung auf dem Kurzmitteilungsdienst „X“ gerechtfertigt.
Franziskus kritisiert Vance in Sachen Migration
Papst Franziskus hielt in einem Brief an die US-Bischofskonferenz dagegen: „Christliche Liebe ist keine konzentrische Ausweitung von Interessen, die sich nach und nach auf andere Personen und Gruppen ausdehnen.“ Der wahre Ordo amoris, der gefördert werden müsse, sei der im Gleichnis vom „barmherzigen Samariter“. Es gelte, über die Liebe zu meditieren, „die eine Brüderlichkeit aufbaut, die allen ohne Ausnahme offensteht“. Im Verhältnis zum amerikanischen Episkopat sorgte die Einwanderungspolitik der Trump-Regierung für einen regelrechten Bruch: Nachdem Trump den US-Bischöfen Fördermittel in Millionenhöhe für deren Arbeit in der Flüchtlingshilfe gestrichen hatte, stellten die Bischöfe die jahrzehntelange Zusammenarbeit komplett ein. Diese ließe sich ohne Unterstützung des Weißen Hauses in der bisherigen Form nicht mehr fortsetzen.
Dennoch wird Vance bei seinen Treffen mit Vatikanvertretern auf eine solide gemeinsame Basis bauen können. Denn anders als Trumps Amtsvorgänger Joe Biden, der zwar katholisch war, jedoch in Kernfragen des Glaubens eklatant von der kirchlichen Lehre abwich, dürfte Vance lehramtlich ziemlich sattelfest sein. Das hängt auch damit zusammen, dass der ehemalige Senator von Ohio, der keine intensiv-religiöse Erziehung genoss, erst 2019 zum katholischen Glauben konvertierte. In mehreren ausführlichen Texten und Wortmeldungen legte er seitdem dar, welch geistliche Wende er durchgemacht habe. Beeinflusst hätten ihn dabei unter anderem die Texte des Kirchenvaters Augustinus, aber auch der Autor und Publizist Rod Dreher, der mit seinem Buch „Die Benedikt-Option“ einen Bestseller landete. Dass es Vance ein Anliegen ist, christliche, ja explizit katholische Werte in die Regierungspolitik einfließen zu lassen, daran besteht kein Zweifel. Die Korrekturen, die die Trump-Regierung bereits an der extrem linken Gesellschaftspolitik der Vorgängerregierung vorgenommen hat, sind ein Beispiel dafür.
Ob es Vance jedoch gelingen wird, die Sympathien der Europäer nicht nur unter den Trump-Fans, sondern über die weltanschaulichen Lagergrenzen hinweg zu gewinnen, steht in den Sternen. Gleichzeitig mutet der Vorwurf, Vance „hasse“ Europa, der von links der Mitte immer wieder zu hören ist, nahezu absurd an. Man muss Vance‘ Agieren nicht gutheißen, sollte jedoch anerkennen, dass ein hochrangiger US-Politiker, der sich derart intensiv mit Europa auseinandersetzt, wie Vance es tut, kaum von einem Gefühl wie Hass getrieben sein kann – sondern eher von dem Wunsch, mit einem eigenständigen, selbstbewussten Partner auf Augenhöhe zu interagieren. Aus der Kritik, dass es in der vielfältigen Staatengemeinschaft Europas auch besorgniserregende Tendenzen gibt, was Rechtsstaatlichkeit und Meinungsfreiheit angeht, dürfte eher aufrichtige Sorge um einen langjährigen Verbündeten sprechen – nicht der Wille, Europa und das transatlantische Verhältnis ein für allemal abzuschreiben.
Vance: Europa hat der Welt „viel zu bieten“
Ein wenig in diese Richtung deuteten Aussagen, die Vance kürzlich gegenüber dem britischen Medium „Unherd“ machte: Er liebe Europa und das europäische Volk, erklärte der 40-Jährige. Man könne die amerikanische Kultur nicht von der europäischen trennen. „Wir sind das Produkt von Philosophien, Theologien und natürlich auch Migrationsmustern, die von Europa ausgingen und die Vereinigten Staaten von Amerika begründeten.“ Europa habe der Welt „viel zu bieten“. Wenn er Italien und den Vatikan in den kommenden Tagen besucht, wird Vance erst einmal die Gelegenheit haben, erneut zu zeigen, was er Europa zu bieten hat. Mit einer ähnlichen Standpauke wie im Februar rechnet wohl niemand. Aber ganz genau weiß man nie bei dieser amerikanischen Regierung.
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