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Nächstenliebe vor Übernächstenliebe

US-Vizepräsident J. D. Vance verweist bei der Begründung von „America first“ auf den „ordo amoris“, die Rangordnung der Liebe, und erntet dafür Kritik. Zu Unrecht.
Burg in Luxemburg
Foto: nicoschroeder.de via imago-image | Die Liebe ist keine Festung, hat aber eine Rangordnung, die in konzentrischen Kreisen strukturiert ist.

In einem Interview mit Sean Hannity, einem bekannten Fernsehmoderator des US-Nachrichtensenders „Fox News“, hat der frisch vereidigte US-Vizepräsident J. D. Vance auf das christliche Konzept einer Rangordnung der Liebe Bezug genommen: „Du liebst deine Familie, dann liebst du deinen Nachbarn, dann liebst du deine Gemeinde, dann liebst du die Mitbürger in deinem eigenen Land und erst im Anschluss kannst du dich auf den Rest der Welt fokussieren und ihn priorisieren.“ Die extreme Linke habe diese Rangordnung auf den Kopf gestellt; das Prinzip „America First“ hingegen bedeute ihre Wiederherstellung.

Als der entsprechende Ausschnitt bei der Plattform „X“ die Runde machte, war die Kritik groß – und zwar besonders auch von Christen. Vances Bezug auf eine Rangordnung der Liebe sei unbiblisch, ja schlicht unchristlich, meinten nicht wenige Nutzer. Vance hingegen konterte mit dem Hinweis „Einfach mal ‚ordo amoris‘ googeln“.

Keine Nächstenliebe ohne Eigenliebe

In der Tat ist der Begriff einer Rangordnung der Liebe durch und durch christlich. Geprägt hat ihn der heilige Augustinus, aufgegriffen wurde er nicht zuletzt vom heiligem Thomas von Aquin. In der „Summe der Theologie“ bekräftigt der vielleicht bedeutendste Kirchenlehrer der Geschichte den Gedanken einer Rangordnung der Liebe, die vom Nahen zum Fernen verläuft: Gott ist uns das Innerste und das lebendige Prinzip der Liebe selbst. Ihn müssen wir daher vor allem Weltlichen lieben. Danach – noch vor jeder Nächstenliebe – kommt die richtig verstandene Eigenliebe, ohne die wir auch den Nächsten nicht lieben könnten wie uns selbst. Erst im Anschluss kommen – angeordnet in sich weitenden konzentrischen Kreisen –die verschiedenen Formen der Nächstenliebe.

Eine solche Rangordnung der Liebe schließt weder die Fernsten- noch die Feindesliebe aus, gibt aber beiden eine angemessene Stellung innerhalb des universellen Geflechts der Liebe, ohne den Menschen dabei zu überfordern. Denn der Mensch ist und bleibt ein endliches und damit ein in seiner Liebesfähigkeit limitiertes Wesen.

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Im deutschen Sprachraum hat zuletzt niemand Geringeres als Robert Spaemann auf die gut katholische Lehre vom „ordo amoris“ Bezug genommen – und zwar anlässlich der bis heute fortwährenden Flüchtlingskrise von 2015. Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ sagte der Philosoph mit Blick auf die Flüchtlingshilfe: „Wo unserer Hilfe Grenzen gesetzt sind, da ist es auch gerechtfertigt auszuwählen, also zum Beispiel Landsleute, Freunde oder auch Glaubensgenossen zu bevorzugen. Johannes schreibt in einem Brief: Tut Gutes allen. Besonders aber den Glaubensgenossen. Es gibt rational nachvollziehbare Gründe der Auswahl.“

Das Scheitern des „Zustrom-Begrenzungsgesetzes“ im Bundestag und die Tatsache, dass die große Mehrzahl der deutschen Bischöfe jedem Vorstoß zur Begrenzung der Einwanderung (auch der illegalen) seit Jahren mit Ablehnung begegnet, zeigt: Der Nachhilfebedarf, was die christliche Lehre einer Rangordnung der Liebe angeht, ist enorm. Tragisch, dass hierzulande weder ein Vance noch ein würdiger Nachfolger Spaemanns in Sicht ist.

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