Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Gesetzesentwürfe zur Suizidhilfe scheitern

Überwiegend Erleichterung

Reaktionen zu den Entscheidungen des Deutschen Bundestags zu Suizidhilfe und Suizidprävention.
Bundestag stimmt über Suizidhilfe ab
Foto: Michael Kappeler (dpa) | Abgeordnete werfen im Bundestag ihre Stimmkarte in der namentlichen Abstimmung zur Suizidhilfe ein.

Repräsentanten der Ärzteschaft, Kirchen, Verbände und Lebensrechtsorganisationen haben überwiegend mit Erleichterung auf das Ergebnis der Bundestagsentscheidung zur Suizidhilfe reagiert. Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, bezeichnete es als „richtig“, dass der Bundestag „noch keine Entscheidung über ein Suizidhilfegesetz getroffen hat. Das wäre im dichtgedrängten Sitzungsbetrieb der letzten Sitzungswoche der Sache nicht angemessen gewesen. Nun haben wir Zeit für die noch nicht ausreichend geführte gesamtgesellschaftliche Debatte. Und es gibt Zeit, bei diesem wichtigen Thema den ersten Schritt vor dem zweiten zu tun: Wir brauchen zunächst einmal ein umfassendes Gesetz zur Vorbeugung von Suiziden.“ Mit dem angenommenen Entschließungsantrag habe der Bundestag die Weichen dafür jetzt gestellt. „Für die Erarbeitung des Suizidpräventionsgesetzes hat ein breites fachliches Bündnis unter Beteiligung der Bundesärztekammer mit fundierten fachlichen Empfehlungen bereits vor über einem Jahr die Voraussetzungen geschaffen. Nach dem Suizidpräventionsgesetz ist eine Regelung zur Suizidhilfe der zweite Schritt. Wir wollen gern dazu beitragen, dafür bessere Lösungen zu finden, als sie die bisher vorgelegten Gesetzentwürfe gebracht hätten.“

Bätzing: Suizidpräventionsgesetz muss niederschwellige Angebote zur Suizidprävention ausbauen

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Limburgs Bischof Georg Bätzing, bedauerte hingegen, „dass der Gesetzentwurf der Abgeordnetengruppe Castellucci/Heveling et al. keine Mehrheit gefunden hat. Dieser Gesetzentwurf hätte mit seinem Schutzkonzept dazu beitragen können, dass der assistierte Suizid in Deutschland nicht zur gesellschaftlichen Normalität am Lebensende wird. Ich betone, dass es eines derartigen ausbalancierten gesetzlichen Schutzkonzepts dringend bedarf. Ein solches Schutzkonzept muss die Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches soweit wie möglich gewährleisten und zugleich ein dem Leben zugewandtes Gesamtklima und eine Kultur gegenseitiger Fürsorge und Zuwendung bewahren.“ Andernfalls finde Suizidassistenz in Deutschland statt, ohne dass der Gesetzgeber den Gefahren begegne, die von einem Angebot von Suizidassistenz für die Autonomie des Einzelnen ausgingen. Bätzing: „Ein derart wichtiges Thema, von dem potenziell alle Menschen in existenzieller Weise betroffen sein können und das unser Zusammenleben prägt, darf nicht ungeregelt bleiben.“

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Nun gelte es, „niedrigschwellige Angebote zur Suizidprävention durch ein entsprechendes Suizidpräventionsgesetz auszubauen“. Bätzing weiter: „Dieses muss nach der begrüßenswerten, von einer sehr breiten Mehrheit des Bundestags getragenen Annahme des Antrags zur Stärkung der Suizidprävention schnell verabschiedet werden. Wir müssen sicherstellen, dass wir die Menschen in Notlagen möglichst frühzeitig erreichen. Fachlich kompetente und menschlich zugewandte Hospizarbeit und Palliativversorgung fördern die Lebensqualität und ein Sterben in Würde. Zentral ist schließlich – und darauf müssen wir unseren Blick genauso richten – eine qualitativ gute Pflege, der sich älter werdende Menschen gerne anvertrauen.“

EKD-Ratsvorsitzende sieht Chance in „Nicht-Entscheidung“

Die Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Annette Kurschus, erklärte: „Die Evangelische Kirche in Deutschland hat den parlamentarischen Prozess, der durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2022 angestoßen wurde, intensiv und mit großem Respekt vor der Gewissensentscheidung der Abgeordneten des Deutschen Bundestags verfolgt. Aus christlicher Sicht ist jedes menschliche Leben von Gott gewollt und gehalten. Daraus leitet sich eine Verantwortung der Gemeinschaft ab, alles zu tun, um das Leben zu schützen und den Lebenswillen auch in schwierigen Situationen zu stärken“, so die Ratsvorsitzende. „Gott hat jeden Menschen mit einer eigenen, unverlierbaren Würde ausgestattet. Zu dieser Würde im Leben gehört auch ein Sterben in Würde.“

Das Bundesverfassungsgericht habe klargestellt: „Solche Würde schließt das Recht ein, selbstbestimmt sterben zu können und sich dazu die notwendige medizinische Hilfe zu holen. Der selbstgewählte Tod muss allerdings eine Entscheidung in auswegloser Ausnahmesituation bleiben. Als Evangelische Kirche in Deutschland werden wir aktiv mit dafür sorgen, dass Menschen auch in schwerer Lage einen Sinn in ihrem Leben erkennen sowie unterstützende Gemeinschaft, liebevolle Fürsorge und professionelle Begleitung erfahren. Wir treten entschieden einer gesellschaftlichen Entwicklung entgegen, in der der Suizid zu einer regulären Form des Sterbens wird. Kein Mensch darf sich dem sozialen Druck ausgesetzt sehen, seinem Leben ein Ende bereiten zu müssen“, so Kurschus. Nun müsse der Fokus von Staat und Gesellschaft „auf einem konsequenten Ausbau der Suizidprävention, der Palliativmedizin und der Palliativpflege liegen. Die medizinischen, pflegerischen und therapeutischen Berufe müssen entsprechend gestärkt werden, damit Menschen in Notlagen und existenziellen Grenzsituationen in jeder Hinsicht bestmöglich unterstützt werden können.“

Einer gesetzlichen Regelung der Suizidassistenz bedürfe es nach Auffassung der EKD gleichwohl. Vielleicht liege „in der Nicht-Entscheidung eine Chance, im nächsten Jahr einen neuen Entwurf vorzulegen, der die Bedenken gegen die beiden aktuell vorliegenden Entwürfe ausräumt und die überzeugende Mehrheit erhält, die es für ein derart sensibles Thema braucht“, so die EKD-Ratsvorsitzende abschließend.

Suizidpräventionsförderung statt Suizidförderung

Auch der Bundesverband Lebensrecht (BVL) begrüßte das Ergebnis der Abstimmung. „Ohnehin ist fraglich, ob eine gesetzliche Regelung überhaupt nötig ist“, erklärte der Münsteraner Labormediziner und BVL-Vorstandsmitglied, Paul Cullen. So habe der ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Peter Dabrock, kürzlich darauf hingewiesen, dass die vorgelegten Gesetzesentwürfe suizidgefährdeten Menschen nicht wirklich helfen. „Die Position von Ärzten, jene also, die die Lage der Suizidgefährdeten am besten einschätzen können, wäre geschwächt. Nun ist Zeit gewonnen, an einem neuen Konzept zu arbeiten, die vor allem die Suizidprävention und die Verbesserung der Palliativ- und Hospizversorgung in den Mittelpunkt rückt.“ Die „große Gefahr einer gesetzlichen Regelung“ bestehe darin, „dass sie zu einer Normalisierung der Suizidhilfe beitragen oder gar jenen gewerblichen Suizidhilfeorganisationen in die Hände spielen könnte, die man eigentlich verhindern will“, so Cullen.

„Wir sind zutiefst erleichtert, da beide Gesetzentwürfe die liberalste Regelung der Sterbehilfe weltweit darstellen würde“, kommentierten für die Christdemokraten für das Leben (CDL) die ehemalige Bundesvorsitzende, Mechthild Löhr, und Odila Carbanje als stellv. Bundesvorsitzende“, die Abstimmung im Parlament. Viele Abgeordnete hätten durch die Ablehnung beider Gesetzentwürfe gezeigt, „dass sie darin eine Gefahr der Ausweitung der Suizidangebote und eine staatliche Förderung der Suizidwillens befürchteten“. So beinhalte „ein straffreies öffentliches Suizidangebot vor allem für vulnerable Personenkreise und sozial Unterstützungsbedürftige, Einsame oder chronisch Kranke ein besonders hohes Gefährdungspotenzial. Da schon heute in der Beratung, Betreuung und Pflege viele Kapazitäten zu einer angemessenen Unterstützung fehlen, wirkte ein liberales Suizidhilfegesetz quasi wie eine Aufforderung, anderen Menschen und der Gesellschaft doch möglichst nicht weiter zur Last zu fallen. Angesichts von derzeit fast 10.000 Suiziden jährlich brauchen wir sehr wohl die nun beschlossene Suizidpräventionsförderung, nicht aber eine Suizidförderung“, erklärten Löhr und Carbanje.

Brysch: Bundestag hat Deutschland vor „ethischem Dilemma“ bewahrt

 „Es war richtig, dass der Bundestag über die organisierte Suizidbeihilfe abgestimmt und sich gegen beide Entwürfe entschieden hat. So wird Deutschland vor einem ethischen Dilemma bewahrt“, meinte auch der Vorstand der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch. Es dürften aber keine weiteren Jahre bis zur Verabschiedung eines wirksamen Suizidpräventionsgesetzes vergehen. „Der Rechtsanspruch auf kurzfristige Sprechstunden, Behandlungsplätze und aufsuchende Therapieangebote muss aber kommen“, so Brysch weiter.  DT/reh

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