Eines ist jetzt klar: Sicherheit ist das Thema für den Bundestagswahlkampf. Und derjenige, der den Deutschen ihr Sicherheitsgefühl zurückgibt, der wird Kanzler. Die Tat von Solingen ist längst zu etwas Symbolhaften geworden. Ähnlich wie die Silvesternacht von Köln. Und das ist wichtig für die politische Bewertung dieser Tage: Die Ermittlungen, das genaue Aufdröseln der genauen Fakten über den mutmaßlichen Täter und nicht zuletzt die Frage, wo haben die Behörden in der Vergangenheit versagt – das ist die eine Seite.
Auf der anderen Ebene geht es um die politische Wirkkraft: Solingen steht in der Wahrnehmung längst für ein Grundgefühl, das große Teile der Bevölkerung erfasst hat: Wir sind nicht mehr sicher. Selbst in einer Stadt wie Solingen, das ja nun keine Metropole wie Berlin oder Paris ist, kann man bei einem Stadtfest Opfer des islamistischen Terrors werden. Ob diese Angst tatsächlich begründet ist, steht auf einem anderen Blatt. Politische Führung bedeutet aber Stimmungen aufzunehmen. Solche Stimmungen können moduliert werden, der Politiker kann versuchen, sie zu steuern. Nur ignorieren kann er sie nicht.
Ursache für die Lage
Das hat auch Friedrich Merz verstanden. Er fordert einen Aufnahmestopp für Syrer und Afghanen. Und er nennt auch den Islamismus als Ursache für die Gewaltentladung. Der CDU-Vorsitzende wäre dumm, diese Chance für seine Partei, gerade jetzt kurz vor den ostdeutschen Landtagswahlen, verstreichen zu lassen. Der Union wird immer noch in der inneren Sicherheit eine gewisse Kompetenz der Wähler zugesprochen, Umfragen belegen das immer wieder. Andererseits ist die CDU aber auch die Partei von Angela Merkel.
Und in deren Flüchtlingspolitik sehen immer mehr Menschen die Ursache für die neue Sicherheitslage. Das sind vielfach Kurzschlüsse, denn so eine durchgängige Kausalität gibt es nicht. Der Täter ist also nicht „Merkels Messermann“. Er ist aber ein Produkt einer vielfach nicht gelingenden Integrationspolitik. Die Behörden, die diese Integration leisten sollen, sind heillos überfordert.
Die Zahlen sind einfach viel zu hoch. Geschickt hat Merz der Bundesregierung nun angeboten, gemeinsam eine Lösung zur Begrenzung der Migration zu finden. Wohl ahnend, dass die Ampel hier nicht einschlagen wird. Entsprechend fiel schon die Reaktion von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert aus, die Vorschläge von Merz seien nicht von der Verfassung gedeckt.
Gefahren sehen und reagieren
Schließlich: Terroristen haben es im Namen stehen: Angst zu verbreiten, das ist ihr Beruf. Wenn nun eine Angstwelle durch Deutschland schwappt, dann können sich die Leute vom IS gegenseitig auf die Schulter klopfen: Ziel erreicht. Aufgabe der Politik ist es, die Angst aufzunehmen und in politische Sorge zu verwandeln. Das Signal muss sein: Wir sehen die Gefahren und wir reagieren schnell.
Das geht nicht, ohne nicht zumindest zweitweise auf der Stimmungswelle zu reiten. Aber Friedrich Merz sollte den alten Leitspruch von Otto von Bismarck beherzigen: „Fert unda, nec regitur.“ Die Welle trägt, aber sie lässt sich nicht beherrschen. Das Zeitfenster ist klein, in dem jetzt schnell gehandelt werden muss. Das müssen Ampel und Opposition berücksichtigen. Die Gefahr ist sonst groß, dass die Angst tatsächlich zum neuen deutschen Grundgefühl wird.
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