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Judenhass ganz oben in „Down under“

Der Anschlag auf Chanukka feiernde Juden in Sydney zeigt das ganze Ausmaß der antisemitischen Bedrohung. Schon kleinste Ermutigungen können Extremisten zu Terroristen machen.
Gedenken der Opfer von Sydney
Foto: IMAGO / Anadolu Agency | Gedenken der Opfer von Sydney: Man muss nicht zur Gewalt aufrufen, um sie möglich zu machen. Die Profis im Geschäft mit Hass und Demagogie – sie basteln an den Stimmungen, in Australien wie bei uns.

Selten war uns der fünfte Kontinent so nah. Mit dem Anschlag auf Chanukka feiernde Juden am Strand von Sydney erleben wir in dramatischer Weise eine geistige Kontinentalverschiebung. Die große, tektonische Platte Australiens, die sich erdgeschichtlich eigentlich ganz langsam Richtung Eurasien bewegt, ist soeben bei uns angekommen. Durch die Kollision mit anderen Platten ist der jüngste Erdteil nicht nur geologisch aktiv, er ist es auch in Bezug auf Antisemitismus, Rassenhass und Terrorismus.

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Wie bei uns die Anschläge vor Kaufhäusern und auf Weihnachtsmärkten, bei Festen und Feiern, so folgt auch „Down under“ die Gewalt nicht einem konkreten Aufruf. Sie entsteht aus Atmosphäre. Einzeltäter erleben feine Nuancen im Meinungsklima als Ermutigung, sie gieren geradezu nach legitimierenden Details, die sie sammeln und ideologisch verdichten.

Wir erleben einen „Mitmach-Terrorismus“

Ein direktes Signal von außen braucht es da nicht mehr. Die Wissenschaft spricht von „normativen Resonanzräumen“, in denen sich gesellschaftliche Deutungen verändern, bevor Taten folgen. Wir erleben einen „Mitmach-Terrorismus“ mit Lone-Actor-Helden wie beim Ego-Shooter-Computerspiel. Diese sogenannte „stochastische Gewalt“ als mathematische Wahrscheinlichkeit ist gleichsam „Murphys Gesetz“ auf den Terrorismus projiziert. Was theoretisch an Wahnsinn passieren könnte, das tritt irgendwann ein.

Studien des Bundeskriminalamts zu politisch motivierten Einzeltätern zeigen, wie selektiv diese Menschen politische Entscheidungen lesen: als Bestätigung ihrer Weltsicht. Eine verschärfte Debatte, ein symbolischer Beschluss, ein polarisierendes Schlagwort mag für die Mehrheit ein Teil demokratischer Auseinandersetzung sein. Im Kopf des Einzeltäters wird es zur „Genehmigung“. Auch das Auftreten einer sogenannten „gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit“ erfährt so eine gefährliche Aufladung. Wo Abwertung normalisiert wird, wächst die Bereitschaft, Grenzen zu überschreiten. In Australien könnte die Anerkennung eines palästinensischen Staates die Brandlast des flackernden Antisemitismus erhöht haben.

Täter berufen sich auf politische Diskurse, um ihre privaten Feindbilder konsensfähig darzustellen: „Seht her – der sagt es ja auch!“ Sie finden Resonanz, auch wenn eigentlich die Quintessenz der Debatte eine kritisch-reflektierende Haltung nahelegt. Der renommierte Soziologe Armin Pfahl-Traughber (62), der sowohl rechte wie linke Strömungen auf extremistisches Potenzial hin untersucht, spricht von „indirekter Ermutigung“. Es geht um eine politische Rhetorik, die keine Gewalt fordert, aber jene Weltbilder stabilisiert, die Gewalt wahrscheinlicher machen. Als Bundeskanzler Friedrich Merz während des israelischen Feldzugs gegen die Hamas in Gaza die Waffenlieferungen für den jüdischen Staat stoppte, vielleicht aus nachvollziehbaren Gründen, bekam er Jubel von einer Seite, die ihm normalerweise denkbar fernsteht.

Sie missverstehen jeden Halbsatz als Auftrag

Worte wandern – von Parlamentsdebatten und Regierungserklärungen in Nachrichtensendungen und Kommentarspalten, von krawalligen Talkshow-Gefechten in die Darkrooms der digitalen Echokammern. Und dort warten jene, die jeden Halbsatz als Auftrag missverstehen. Es ist deshalb kein Zufall, dass die Forschung heute in der Analyse weniger nach Tätern fragt als nach kleinen Rissen im Wertekosmos, durch die abstruse Ideen plötzlich im trügerischen Licht scheinbarer Erkenntnis auftauchen.

So gilt die Erkenntnis: Man muss nicht zur Gewalt aufrufen, um sie möglich zu machen. Die Profis im Geschäft mit Hass und Demagogie – sie basteln an den Stimmungen, in Australien wie bei uns.

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