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Ein Wort, ein Buch – und ziemlich beste Freunde

Die Autoren Philipp Peyman Engel und Hamed Abdel-Samad wollen beide Frieden für Israelis und Palästinenser. Ihre Freundschaft zeigt, wie weit der Weg noch ist.
In seiner Werbung spielt das „Schmock“ unbekümmert auch mit dunklen Kapiteln jüdischer Geschichte.
Foto: Henry C. Brinker | In seiner Werbung spielt das „Schmock“ unbekümmert auch mit dunklen Kapiteln jüdischer Geschichte.

Die Geschichte beginnt so: Treffen sich ein Jude und ein Araber in München. Aber wo genau soll das Treffen stattfinden? Im Schmock.

„Haben Sie eine Straße?“ Der Taxifahrer kennt das stadtbekannte jüdische Restaurant am Volkstheater nicht, so sagt er. Auf der Fahrt in seinem Mercedes erzählt der Kurde aus dem Nordirak – in seiner Heimat war er Französischlehrer –, er habe jahrelang einen kleinen orientalischen Supermarkt am Münchner Stadtrand geführt: „Mein Metzger verarbeitete nur koscheres Fleisch, das war dann auch halal.“ Irgendwann erwies sich die Konkurrenz der Supermärkte als zu mächtig, und der Marktinhaber erwarb die Taxifahrer-Lizenz. „Ich esse weiter nur halal. Wenn ich verreise, buche ich Airbnb mit Küche und koche halal.“

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Am „Schmock“ angekommen. Hier erwartet der jüdische Inhaber Florian Gleibs schon zu Mittag die Gäste. Der schlanke, jünger wirkende Mittfünfziger mit nackenlang-leicht ergrautem Haar ist mittlerweile zum braven Familienvater gereift, nachdem er über Jahre als wildromantisches Enfant terrible der Club-Szene an der Isar gegolten hatte. Ein „Schmock“-Lokal betrieb er in München schon seit 1999, dem letzten D-Mark-Jahr. Das „Schmock“ von heute, gleichzeitig Hauskantine des Volkstheaters im Schlachthofviertel, öffnete im schwierigen Corona-Jahr 2021. Die Küche zitiert den Nahen Osten und ist nicht auf Israel fixiert. Das Glas Rotwein zum Lunch ist ein koscherer Galiläa-Tropfen von den Hängen des Golan, tiefdunkler Syrah.

Philipp Peyman Engel (42) kommt durch die verglaste Tür. Gastronom Gleibs und der Chefredakteur der „Jüdischen Allgemeinen“ kennen sich. Im etwas ruhigeren, hinteren Teil des weiträumigen Lokals ist ein dunkelbrauner Holztisch reserviert. Ein ostjüdisches Städel-Motiv als Fototapeten-Deko und Kopien des Wiener Thonet-Caféhaus-Stuhls Nr. 214 (die Ikone aus geschwungenem Bugholz) beschwören den großen Geist einer tragischen Epoche. Einer Epoche, die unterging im Holocaust.

Ihre Freundschaft verdeckt die Meinungsverschiedenheit nicht

Hamed Abdel-Samad (53) trifft ein. Zusammen mit Peyman Engel verfasste der Politikwissenschaftler und Publizist den SPIEGEL-Bestseller „Was darf Israel?“. Seitdem hat sich manches durch Trumps 20-Punkte-Plan und den fragilen Waffenstillstand geändert. Aber die beiden, die sich seit Langem kennen, scheinen umso stärker verbunden. Sie duzen sich wie ziemlich beste Freunde, sie sind die Gaza-Experten Philipp und Hamed. Lesetouren führen das Duo durch die gesamte Republik, der dtv-Verlag ist entzückt ob des Erfolgs. Bald erscheint sogar eine arabische Übersetzung im nordafrikanischen Literaturland Ägypten, Hamed Abdel-Samads Heimat. Wir dürfen einen Blick werfen auf den noch geheimen, in hochdramatischen Farben gehaltenen Cover-Entwurf aus Kairo mit den Porträts der Protagonisten. Der Publizist und Podcaster mit über 225.000 Abonnenten kommt gerade von einem Termin in Erfurt, er hat heute noch nicht gefrühstückt und bestellt sich Mezze: eine Auswahl orientalischer Vorspeisen. Für Philipp erläutert er die gewählte Zusammenstellung mit Roter Bete und Graupensalat, Dattel-Aprikosen-Bulgur und Falafelbällchen. Von den noch warmen Pitas bricht er ab und zu kleine Stücke ab.

Philipp belässt es vorerst bei einem Teller Tahina-Hummus mit Fladenbrot und scharfem Harissa-Dip, doch der Restaurantchef lädt ihn später noch zu einem Teller Tscholent-Eintopf aufs Haus ein.

Ein kleiner, kontroverser Wortwechsel zur Einstimmung des Tischgesprächs lässt erahnen, dass die freundschaftliche Verbundenheit der Autoren die grundsätzlichen Meinungsverschiedenheiten in der Einschätzung der Lage in Nahost keinesfalls verdeckt. „Hamed, jetzt haben wir uns so oft über diesen Punkt ausgetauscht, und du stellst es immer wieder falsch dar!“, entfährt es Peyman Engel, als sein ägyptischer Freund die eigene Genozid-Definition bezogen auf Israel zum Besten geben will. Tatsächlich war es ein Streit über das Wort, das Fleisch in Buchform wurde und bis heute die Gaza-Debatte prägt: „Genozid“. Damals hatte Hamed auf „X“ die Genozid-Anschuldigung ohne Wenn und Aber hinausgeschleudert. Und bekam kurz darauf private Post von Freund Philipp, eine scharfe Replik. Die Öffentlichkeit erfuhr davon erst später. Genozid heißt Völkermord. Bis heute ist das zwischen den beiden keineswegs geklärt. Doch es gibt auch Themen aus dem Israel-Palästina-Komplex, wo beide wenigstens teilweise zusammenfinden.

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Als Hamed ausführt, „dass die radikalen Siedler im Westjordanland das Haupthindernis für einen Frieden sind“, stimmt Peyman Engel bedingt zu und sieht wie sein Freund derzeit keine Lösung – wegen der Nationalreligiösen auf israelischer Seite und den Terroristen auf Seiten der Palästinenser: „Manches bei den Siedlern hat mit jüdisch-israelischen Werten wenig zu tun. Ich bin nicht der Pressesprecher Netanjahus und wünsche mir einen Kurswechsel. Aber auch dann würden die unversöhnlichen palästinensischen Kräfte eine Zwei-Staaten-Lösung verhindern.“ Das wirklich konfliktreiche Thema der beiden ist nicht Westjordan, sondern Gaza: „Hier kommen wir nicht ins Geschäft“, seufzt Philipp Richtung Hamed.

Der konstatiert, dass ein doppeltes Hamas-Kalkül zum Massenmord am 7. Oktober 2022 geführt hat: „Man wollte wieder in der arabischen Welt die Vertretung der palästinensischen Sache für sich reklamieren und gleichzeitig Israel zu einem massiven Gegenschlag zwingen, der über das Ziel hinausschießt. Die arabischen Länder konnten jedoch nicht wie von Hamas geplant für die palästinensische Sache mobilisiert werden, obwohl Israel mit seinem maßlosen Zerstörungswerk und den zigtausenden zivilen Gaza-Opfern in die Falle getappt ist. Gegenseitige, exzessive Gewaltanwendung dient als wechselseitige Legitimation.“ Persönlich wirken Hamed und Philipp bei Tisch, als mahne sie der seit Kurzem ruhende Krieg zu gegenseitigem Respekt und friedlichem Austausch. Muss man erst richtig streiten, um sich dann vertragen zu können?

„Wir sind bei einer Lesung gefragt worden, wie unsere Freundschaft das aushält“, berichtet Philipp und erläutert: „Wir kehren nichts unter den Teppich und erlauben uns gegenseitig unsere Argumente. Es gibt keine Alternative zum kultivierten Streiten.“

Hamed gibt ein eigenes Beispiel: „Ich habe vom ‚islamischen Faschismus‘ gesprochen und bin angefeindet worden. Letztlich hat das einen Debattenstreit erzeugt, der geholfen hat, die Entwicklung zu verstehen.“ Aber wie soll man friedlich und fruchtbar streiten auf höchster politischer Ebene? Die militärischen Optionen in Gaza sind laut Hamed nach 70.000 Toten an ihr Ende gekommen: „Doch die Hamas ist nicht besiegt!“

Die Skepsis überwiegt

Philipp warnt vor Naivität: „Hamas wird sich mit frischen Milliarden erholen und neue Kräfte rekrutieren. Die Logik des Nahen Ostens ist nicht durchbrochen.“ Bei beiden herrscht nur leise Hoffnung, die Skepsis überwiegt. Auf einen furchtbaren Massenmord bei einem Musikfestival folgte ein dreckiger Krieg – und jetzt ein Friede, der auch ein dreckiger ist, aber immerhin. Brauchte es den Präsidenten Trump, der mit seiner ebenfalls dreckigen Disruptionsstrategie einen gordischen Knoten durchschlug?

Hamed ist sich sicher, dass Trumps Unberechenbarkeit geholfen hat: „Alles, was zum Status quo geführt hat, ist erst mal gut. Aber man kann nicht ohne UN nur mit ein paar Geschäftsideen Frieden schaffen. Und Israel hat es verpasst, im Westjordanland der Welt sein tragfähiges Modell für Frieden zu präsentieren.“

Philipp überhört Hameds Westjordan-Seitenhieb. In Bezug auf Trump vertritt er die Ansicht, dass auch ein Politiker-Typ wie Blinken oder früher Clinton das Zeug gehabt hätte, Frieden zu stiften. „Trump hat die Erfahrung als Immobilienmakler geholfen. Manchmal braucht es knallharte Ansagen. Er drohte den Palästinensern im Gaza-Konflikt, dass die Hölle losbricht, wenn die Friedensbedingungen nicht eingehalten werden. Und sieh da, es hat funktioniert.“ Leider hätten Brüssel und Berlin das nicht verstanden, ergänzt Philipp, stattdessen hätten sie Israel isoliert. In Deutschland sieht er nur die CSU als verlässliche Unterstützerin.

Für die Zukunft, da sind sich die beiden befreundeten Kontrahenten einig, wird auch die religiöse Komponente kaum zu ignorieren sein. „Aber Frieden beginnt erst einmal mit Gerechtigkeit, Ende der Besatzung, Ende des Terrors“, stellt Hamed fest. Vor allem: „Kriegsverbrecher gehören vor Gericht. Die Opfer fordern ihr Recht.“

Die Friedenssehnsucht ist grenzenlos

In Sachen internationaler Gerichtsbarkeit sieht der Chefredakteur der Jüdischen Allgemeinen im Gegensatz zum arabischen Politikwissenschaftler nirgendwo eine legitime juristische Instanz. Philipp kann dagegen der wirtschaftlichen Perspektive des Trump-Plans Einiges abgewinnen, Stichwort „Singapur“. „Wenn wir den Plan, hinter dem sicher auch wirtschaftliche Interessen von Trump und seiner Entourage stecken, zu Ende denken, führt das zum Frieden. Aber die Hamas muss weg. Ihren toten Terroristen weine ich keine Träne nach.“

Am Ende des Gesprächs wünschen sich beide, Hamed und Philipp, die Überwindung der alten Traumata zwischen Palästinensern und Israelis. Der Friedenssehnsucht beider Völker sei grenzenlos. Hamed Abdel-Samad beschwört die Kraft des Völkerrechts, während Philipp Peyman Engel auf die Chance für einen palästinensischen Gorbatschow hofft, als „Genossen Zufall“. Sein Chanukka-Weihnachts-Wunsch: „Von Deutschland aus muss politisch mehr Klartext gesprochen werden gegen Antisemitismus und Israelfeindlichkeit bei Rechten, Linken und Muslimen.“ Und Hamed, der im Libanon, der Heimat seiner Frau, Weihnachten feiern wird, formuliert leicht ironisch: „Deutschland ist nach der Jahrhundertkatastrophe mit der Demokratie bestraft worden. Jetzt muss es demokratisch dafür eintreten, dass UN und EU in Nahost aktiv werden, ohne Floskeln und diplomatisches Zickzack!“

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