Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Israels Botschafter Ron Prosor im Gespräch

„Der Terror der Hamas ist und bleibt die Ursache für den Krieg“

Ron Prosor ist der Botschafter Israels in Berlin. Im Interview erläutert er, warum er den Bundeskanzler für einen „Freund Israels“ hält, die Kritik an seinem Land oft unausgewogen findet und sich darum sorgt, dass Juden auswandern, weil sie sich bedroht fühlen.
Ron Prosor ist seit 2022 Botschafter Israels in der Bundesrepublik.
Foto: IMAGO/ESDES.Pictures, Bernd Elmenthaler (www.imago-images.de) | Das Gesicht Israels in Deutschland: Ron Prosor ist seit 2022 Botschafter seines Landes in der Bundesrepublik. Der Diplomat, Jahrgang 1958, steht seit über drei Jahrzehnten in den Diensten des israelischen ...

Herr Botschafter, hat sich Ihr Blick auf Deutschland in den letzten Wochen und Monaten verändert?

Nicht erst seit ein paar Monaten, sondern seit dem 7. Oktober 2023 sehe ich Dinge in Deutschland, die mich zutiefst beunruhigen. Jüdinnen und Juden fühlen sich in der Öffentlichkeit alleingelassen und bedroht. Das ist brandgefährlich: Es beginnt im Kleinen und wächst – es wird radikaler, es wird gewalttätiger. „Nie wieder“ darf keine Floskel bleiben, sondern muss konsequent gelebt werden.

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Sind Sie enttäuscht über diese Bundesregierung, die einen Waffenstopp an Israel ausgesprochen hat? Wobei der Bundeskanzler ja unterscheidet zwischen Angriffs- und Verteidigungswaffen. Letztere würden ja weiter geliefert werden.

„In Sicherheitsfragen hat Israel gelernt,
dass es sich auf andere nicht verlassen kann –
schon gar nicht auf Europa"

In Sicherheitsfragen hat Israel gelernt, dass es sich auf andere nicht verlassen kann – schon gar nicht auf Europa. 1973, im Jom-Kippur-Krieg, haben uns nur die USA unterstützt. Europa verweigerte sogar das Nachtanken amerikanischer Transportflugzeuge. Das haben wir nicht vergessen. Heute ist es dasselbe Muster: schöne Worte aus Europa, aber im entscheidenden Moment stehen wir allein da. Und man muss es klar sagen: Wenn die Hamas die Waffen niederlegt, gibt es Frieden. Wenn Israel die Waffen niederlegt, gibt es kein Israel mehr.

Was bedeutet dieser Schritt der deutschen Regierung für die Staatsräson, die Angela Merkel vor Jahren als Grundlage deutscher Israel-Politik ausgerufen hat? Wie viel ist sie jetzt noch wert?

Hat die deutsche Entscheidung für ein Waffenembargo die Geiseln einen Tag früher nach Hause gebracht? Die Antwort ist: Nein. Hat diese Entscheidung einen Waffenstillstand wahrscheinlicher gemacht? Die Antwort ist: Nein. Ganz im Gegenteil: Die Hamas wurde gestärkt.

Nun kann es Ihnen eigentlich egal sein, ob Deutschland Waffen liefert oder nicht. Denn faktisch sind diese nicht entscheidend für die Verteidigungsbereitschaft Israels.

Israel wehrt sich jeden Tag gegen Terroristen, die auch Europa bedrohen. Deshalb ist der Teilstopp der Waffenlieferungen kurzsichtig und symbolisch fatal. Deutschland ist unser zweitwichtigster strategischer Partner nach den Vereinigten Staaten. Aber bei der Staatsräson geht es nicht nur um Waffen. Es geht auch um die Frage, ob und wie Deutschland Israel in den internationalen Gremien verteidigt. Wenn wir sehen, wie sich Deutschland bei den Vereinten Nationen verhält, so ist das sehr enttäuschend.

Sie sind viel in Deutschland unterwegs. Sie machen sich ihr Bild. Wie nehmen Sie die Haltung der Deutschen gegenüber Israel wahr?

„Ich gehe sehr sparsam mit dem Begriff
,Freund Israels' um, weil ich weiß, dass viele selbsternannte
Freunde Israels in Wirklichkeit keine Freunde sind"

Noch ein Wort zu dem Waffenembargo der Deutschen. Denn trotz dieser Entscheidung bin ich davon überzeugt, dass Friedrich Merz ein Freund Israels und des jüdischen Volkes ist. Es ist wichtig für mich, das zu sagen. Und ich gehe sehr sparsam mit dem Begriff „Freund Israels“ um, weil ich weiß, dass viele selbsternannte Freunde Israels in Wirklichkeit keine Freunde sind.

Warum ist die Solidarität mit dem jüdischen Teil unserer Bevölkerung so wenig ausgeprägt, warum ist in Deutschland die Solidarität mit Israel so gut wie nicht vorhanden? Haben Sie dafür eine Erklärung gefunden?

Israel und Europa haben dieselben Feinde – aber das Bewusstsein dafür fehlt. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, dass der eine oder andere Europäer denkt, er kenne den Nahen Osten besser als wir. Woher nimmt man diese Chuzpe?

Wobei es hier schon zu unterscheiden gilt zwischen der Haltung Deutschlands und der übrigen europäischen Staaten.

Leider gibt es auch in Deutschland entsprechende Stimmen. Annalena Baerbock beispielsweise sagte öffentlich, dass der Angriff auf den Hisbollah-Chef Nasrallah nicht in unserem Interesse sei. Ein Jahr danach sehen wir nun, dass der Libanon endlich die Chance hat, sich aus dem Würgegriff der Hisbollah zu befreien. Was in Israels Sicherheitsinteresse ist, wissen wir Israelis schon noch selbst.

Folgen Sie mir, dass Kritik an der Regierungspolitik Israels nichts mit Antisemitismus zu tun haben muss?

Mit dieser These habe ich überhaupt kein Problem. Die härteste Kritik an der Regierung Netanjahu kommt aus Israel selbst. Und Israel-Kritik ist natürlich erlaubt. Genau genommen wird kein Land so obsessiv kritisiert wie Israel. Insofern erlaube ich mir eine Gegenthese: Nicht die Kritik an Israel ist tabu, sondern die Kritik an der Israelkritik. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass viele mit ihrer Kritik an Israel tatsächlich die Juden meinen.

Warum schafft es Israel nicht, der Weltöffentlichkeit seine Geschichte zu vermitteln? Die Geschichte, dass die Hamas über 1.000 Israelis gemeuchelt hat und dass Israel einen Verteidigungskrieg gegen den Terror führt, um zu verhindern, dass sich ein solches Massaker wiederholt.

Wir haben es mit einer Dämonisierung Israels zu tun. Steter Tropfen höhlt den Stein. Das ist die klassische Täter-Opfer-Umkehr. Hören Sie in den internationalen Gremien etwas über die Vergewaltigungen israelischer Frauen am 7. Oktober 2023? Nichts.

Kritik gibt es ja nicht nur von der Politik, sondern auch von der Kirche, von höchster Stelle. Papst Leo spricht von „kollektiver Bestrafung“, wie die Israelis gegen die Palästinenser vorgehen. Er fordert, dass Israel die – so wörtlich – Zwangsvertreibung beendet. Papst Franziskus hatte bereits vorher gesagt, die Kriegsführung gegen die Palästinenser sei unmenschlich und nicht mehr zu ertragen. Wie gehen Sie denn mit dieser Kritik der katholischen Kirche um?

„Was Papst Leo angeht, so hören wir genau zu.
Aber was mir auch bei ihm zu kurz kommt,
ist die Kritik an der Hamas"

Beginnen wir mit Franziskus. Am 7. Oktober und den unmittelbaren Tagen danach habe ich seine Stimme nicht gehört. Nach dem größten Massaker an Juden seit der Shoah hat der Papst geschwiegen. Was Papst Leo angeht, so hören wir genau zu. Aber was mir auch bei ihm zu kurz kommt, ist die Kritik an der Hamas. Jedes zivile Opfer ist eines zu viel – wir dürfen aber nie vergessen, wer für sie verantwortlich ist. Der Terror der Hamas ist und bleibt die einzige Ursache für diesen Krieg.

Wenn es gelingt, die Terroristen der Hamas zu beseitigen, stellt sich doch die strategische Frage, was kommt danach? Werden nicht neue Terroristen nachwachsen und den Kampf gegen Israel fortführen?

Es ist mir klar, dass die Ideologie noch in den Köpfen der Menschen bleibt. Das ist wahr. Diese Ideologie wird bleiben und sie zu ändern, wird viele Jahre dauern. Das heißt aber nicht, dass wir untätig bleiben dürfen: Ziel muss sein, die Kommando-, Waffen- und Finanzstrukturen der Hamas so zu zerschlagen, dass sie nicht mehr in der Lage ist, Menschen zu radikalisieren oder Angriffe zu organisieren. Sollte die Hamas die Geiseln freilassen, kann es einen Waffenstillstand geben und von da an könnte man auch dem Frieden ein Stück näher kommen.

Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, sagt, wenn die Entwicklung in Deutschland so weitergehe wie jetzt, halte sie es für möglich, dass in zehn Jahren keine Juden mehr in Deutschland leben. Wie sehr sind Sie beunruhigt über den Antisemitismus in diesem Land?

Ich bin sehr besorgt und will klar sagen: Es geht hier um deutsche Staatsbürger jüdischen Glaubens. Die deutsche Regierung und die deutsche Öffentlichkeit sollten den Juden das Gefühl geben, dass sie sicher in diesem Land sind. Das ist aktuell überhaupt nicht der Fall. Ich kenne zwei Ärzte, die ihre Praxen hier in Deutschland schließen und ihre Existenz in einem anderen Land aufbauen. Sie sagen mir, dass sie und ihre Kinder bedroht werden. Diese Angst, als Jude identifiziert zu werden, im Deutschland des Jahres 2025, besorgt mich sehr. Vor allem aber sollte die deutsche Regierung besorgt sein.

Wie ändert man das?

Die Würde des Menschen ist unantastbar, heißt es in Artikel 1 des Grundgesetzes. Dies gilt leider nicht mehr für alle. Damit Juden und Israelis sicher und sichtbar sein können, braucht es einen starken Rechtsstaat. Dazu gehört eine klare Gesetzgebung, die Antisemitismus unmissverständlich ächtet und wirksames Durchgreifen für Polizei und Justiz ermöglicht. Antisemitismus bekämpft man nicht mit Worten, sondern mit Taten.


Der Interviewer war von 1995 bis 2017 Chefredakteur des Bayerischen Fernsehens.
Das Interview wurde geführt, bevor US-Präsident Donald Trump seinen 20-Punkte-Friedensplan für den Nahen Osten verkündet hat.

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