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Schweigende Politiker: Scholz setzt Merkels Tradition fort

Die Bürger sehnen sich nach rhetorischer Kraft. Aber der Kanzler will das nicht einlösen. Bisher jedenfalls.
Olaf Scholz im Bundestag
Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur (www.imago-images.de) | Kein Mann großer Worte? Zumindest in der großen Haushaltsdebatte hat Olaf Scholz gezeigt, dass er nicht nur den „Scholzomaten“ geben kann.

Nur sprechenden Menschen kann geholfen werden. Und ja: Auch Politiker sind Menschen. Der Verdruss, der über ihre Zunft herrscht, hängt damit zusammen, dass nur noch wenige von ihnen die Sprache als Instrument zu nutzen wissen, um die Menschen für ihre Ziele, vielleicht ja sogar Visionen zu fesseln. 

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Der Rhetorik-Typus Churchill („Ich habe nichts zu bieten als Blut, Mühsal, Tränen und Schweiß.“) konnte in der post-heroischen Bundesrepublik sowieso nie richtig heimisch werden, aber es gab in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Abgeordnete oder Parteiführer, die nicht nur ihr Publikum fanden, sondern gerade dank ihrer Rednerkraft ihre Anhängerschaft rekrutierten. Das gilt nicht nur für solche Originale wie Franz Josef Strauß oder Herbert Wehner, auch die Kanzler wussten in der Regel ihr Wort zu machen. Von Adenauers „Wir wählen die Freiheit“ bis hin zu Brandts „Mehr Demokratie wagen“, ja selbst Schröders „Aufstand der Anständigen“ war, auch wenn man die politisch-korrekte Haltung dahinter nicht teilen mag, doch zumindest der Versuch, durch eine eigene Begriffsprägung den öffentlichen Diskurs zu lenken. 

Olaf Scholz und die "Kita-Sprache"

Vor wenigen Tagen hat nun die Schriftstellerin Julie Zeh Olaf Scholz vorgeworfen, der Kanzler bediene sich einer „Kita-Sprache“. Das war recht deutliche Kritik in einem ansonsten freundlich verlaufenen Talk zwischen Geist und Macht, also zwischen Zeh und Scholz. Und sorgte denn auch gleich für Schlagzeilen. Der FAZ war es sogar eine große Reflextion in ihrem Feuilleton wert. Zeh beklagte das Kindische („Doppelwumms“) und gleichzeitig eine gewisse Nanny-Mentalität der Politiker gegenüber den Bürgern („der Kümmerer“).

Sasses Woche in Berlin
Foto: privat / dpa | Woche für Woche berichtet unser Berlinkorrespondent in seiner Kolumne über aktuelles aus der Bundeshauptstadt.

Scholz, der in der großen Haushaltsdebatte gezeigt hat, dass er nicht nur den „Scholzomaten“ geben kann, mag es sich zu Herzen genommen haben. Oder vielleicht auch nicht. Letztlich steht er in einer rhetorischen Tradition, die mit Angela Merkel begonnen hat. Ob diese eher in der Einsicht fußt, dass Politiker, zumal Regierungschefs, in einer Zeit, in der alles immer und sofort medial in die ganze Welt gespült wird, sich zurückzuhalten haben, quasi Schweigen aus Staatsräson, oder eher politischer Blutarmut geschuldet ist, darüber streiten sich die Geister.

Diese Taktik hat jedenfalls zur Folge, dass die rhetorischen Wendungen, die mit beiden verbunden werden, spontan gefallen sind, aber nicht in eine rhetorische Strategie einzuordnen sind. Dass gilt für das Merkelsche „Wir schaffen das“, in einer Pressekonferenz geäußert, wie eben auch für den „Doppelwumms“ von Scholz. Hilft so eine Sprache der Politik weiter?

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