„Es muss vernünftige Raststätten geben. Wir wollen Raststätten wieder gemeinwohlorientiert organisieren und Sanifair abschaffen: Schluss mit der Toiletten-Abzocke!“ Das Wahlprogramm der „Linken“ ist anders, mal beinahe satirisch, mal ermüdend ideologisch. Es ist anders als das Programm des BSW, anders als das von Grünen oder SPD – hier beherrscht statt glatten, professionellen, gar positiven Formulierungen noch authentische, sozialistisch-solidarische Wut den Duktus: „Wir gemeinsam gegen die da oben“, das sei die „Leitlinie“, so heißt es wörtlich in der Präambel der vorliegenden Entwurfsversion. Kann die Linkspartei, die nach der Abtrennung Sahra Wagenknechts und ihrer Getreuen in diesem Bundestagswahlkampf noch mehr als bisher um jedes Minimum an Aufmerksamkeit kämpfen muss, eine Wahloption für Katholiken sein? Immerhin verschreibt sich die Linke ja dem Kampf für die Armen, Schwachen und Kranken – was aus christlicher Sicht zweifellos anschlussfähig ist.
Um das Programm von hinten aufzurollen: den identitätspolitischen Verhärtungen, die der Trennung vom links-rechts-populistischen BSW zugrunde liegen, räumt das 62-seitige Programm zwar vergleichsweise wenig Platz ein, aber sie sind immer noch vorhanden. Aus katholischer Sicht kann das eindeutig negativ bis potentiell positiv beurteilt werden. Während es als gesichert unkatholisch gelten kann, dass die Linke den Abtreibungs-Paragraphen 218 des Strafgesetzbuches „ersatzlos“ streichen will, weil die „Entscheidung gegen eine Schwangerschaft frei von Zwängen, Hindernissen und Stigmatisierung“ möglich sein müsse, und auch die Forderung nach der Bezahlung sämtlicher Verhütungsmittel durch Krankenkassen kaum lehrekompatibel ist, fordert ja auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken die Aufnahme der „sexuellen Orientierung und geschlechtlichen Identität“ als Antidiskriminierungsmerkmal in das Grundgesetz.
Zuckerfest, Yom Kippur und Ethikunterricht
Ähnlich wie viele andere Links- und Mitte-Parteien, wenn auch immer etwas schärfer formuliert, will die Linke sich für Antidiskriminierung, die Bekämpfung diverser „Ismen“, abstammungsrechtliche Reformen zugunsten queerer Familien, die Abschaffung des Ehegattensplittings, die langfristige Ausfinanzierung queerer und antifaschistischer Projekte mittels staatlicher Demokratieförderung, und natürlich mehr staatliche Betreuung von der Kita bis zur „Gemeinschaftsschule“ einsetzen.
Interessanterweise hat die Linke durchaus nicht wenig zum Thema Religion zu sagen, die Freundlichkeiten darunter beziehen sich allerdings vorrangig auf „jüdische Menschen, Muslim*innen und alle anderen religiösen Minderheiten, wenn sie wegen ihrer Religion diskriminiert werden.“ Eine Ausnahme gibt es: mit den Kirchen (und Gewerkschaften) möchte die Linke für den „erwerbsarbeitsfreien Sonntag“ kämpfen. Mit dem bisherigen Staatskirchenrecht ist die Linke dafür offenbar unzufrieden: „Wir treten für die institutionelle Trennung von Staat und Religion sowie die Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen mit den christlichen Kirchen ein.“ Das kirchliche Arbeitsrecht möchte die Linke abschaffen, statt Religions- schwebt ihr Ethikunterricht für alle vor. Die Kirchensteuer sollen die Kirchen künftig selbst einziehen, die Staatsleistungen will man abschaffen. Das muslimische Zuckerfest und das jüdische Yom Kippur will die Linke zu gesetzlichen Feiertagen machen.
Schluss mit Wucher und hohen Zinsen
Die wirtschafts- und steuerpolitischen Vorstellungen, die einen Großteil des Programms ausmachen, dürften vielleicht Anknüpfungspunkte bei lateinamerikanischen Herz-Jesu-Sozialisten und im Christlichen Mittelalter finden, widersprechen dem Hausverstand nach 1989 aber doch gewaltig. Nur einige Beispiele: Schluss soll sein mit „Wucherpreisen“ auf Verbraucherkredite, große Wohnungskonzerne sollen enteignet werden, Mieten bundesweit für sechs Jahre nicht steigen dürfen. Preiserhöhungen sollen generell durch eine Übergewinnsteuer erschwert, die „Extragewinne der Konzerne“ mit 90 Prozent besteuert werden – Extragewinne sind dabei alles, was über den „durchschnittlichen“ (!) Unternehmensgewinnen der letzten zehn Jahre liegt.
Der Europäischen Zentralbank wirft die Linke vor, „versagt“ zu haben. „Die Erhöhung der Leitzinsen war ein wirkungsloser Versuch, die profitgetriebene Inflation zu bekämpfen. Dringend benötigte Investitionen wurden gebremst, die Preise sind weiter gestiegen.“ Und: „Neben dem Ziel der Preisstabilität soll das Mandat der EZB auf Vollbeschäftigung und nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung in Richtung ökologischer Verantwortung erweitert werden. Wir wollen der EZB ermöglichen, Staaten direkt zu finanzieren, um diese Ziele zu erreichen. Ein inflationäres Risiko besteht nicht, weil die EZB weiterhin ihrem Inflationsziel von 2 Prozent verpflichtet ist.“ Überhaupt, Inflation: Da lautet das Generalrezept „Preiskontrollen“, ob bei Wohnraum oder Energie („Gaskonzerne reiben sich die Hände“ angesichts der Ampelpolitik, die der Linken bei weitem nicht anti-fossil genug ist). Reichtum ist der Linken ein Dorn im Auge: „Es sollte keine Milliardäre geben“, schreiben die Autoren, und schlagen eine Vermögenssteuer bis zu 12 Prozent jährlich vor, genauso wie eine einmalige 30-prozentige Vermögensabgabe der reichsten 0,7 Prozent der Bürger. Und so weiter und so fort.
Mit dem einmal eingenommenen Geld will die Linke das Bürgergeld zu einer (deutlich höheren) „sanktionsfreien Mindestsicherung“ umbauen, das Rentenniveau anheben, eine Kindergrundsicherung einführen, die Gesundheitsversorgung verbessern und vieles mehr. Im Programmsprech: „Die Linke kämpft dafür, dass den Menschen in Notlagen ihre Würde und ihre sozialen Rechte zurückgegeben werden. Armut und Erwerbslosigkeit sind nicht selbstverschuldet, sondern haben oft strukturelle Ursachen. Wir kämpfen für des Recht auf Existenzsicherung ohne Gängelung und Strafen.“ Was nicht heißt, dass Erwerbstätige bei den zu erwartenden Wohltaten nicht mitgemeint wären: „Wir stehen bedingungslos an der Seite der arbeitenden Menschen und Familien. An der Seite der Menschen, bei denen das Geld kaum zum Leben reicht und derer, die keine Lobby haben. Kurz: an der Seite der Mehrheit dieser Gesellschaft.“
Auch im Krieg gibt es einen Klassengegensatz
In der Außenpolitik schließlich regiert ein pazifistischer Antiamerikanismus, der selbst den des BSW übertrifft. Aus der NATO will man möglichst austreten, an dessen Stelle soll eine europäische Sicherheitsarchitektur stehen, an der – nach Beendigung aller Angriffskriege – auch Russland und die Türkei teilhaben sollen. „Wettrüsten“ und Stationierung von „US-Mittelstreckenraketen“ führten zu weniger statt mehr Sicherheit, im Russland-Ukraine-Krieg wolle man „an der Seite der Menschen“ in der Ukraine und Russland stehen. Statt Waffenlieferungen schwebt der Linken hier „massive humanitäre Hilfe“ vor. Der herzwärmende Grundsatz lautet: „Unsere Perspektive ist nicht die des Generals, sondern die der betroffenen Menschen. Denn auch im Krieg gibt es einen Klassengegensatz. Die arbeitende Klasse hat das stärkste und unmittelbarste Interesse am Frieden, denn sie hat im Krieg alles zu verlieren und nichts zu gewinnen.“
Fazit: Je nach dem, für wie wichtig die Tugend der Klugheit bei der Wahlentscheidung gehalten wird, dürfte ein Kreuzchen bei der Linken leichter oder schwerer fallen. Ein Herz für die Armen und Benachteiligten haben die Linkspopulisten vom alten Schlag auf jeden Fall, aber bei den politischen Konsequenzen haben sich die Genossinnen und Genossen eben eher an Robin Hood als an Jesus Christus orientiert. Dass dem Gemeinwohl mit den Vorschlägen aus der Mottenkiste sozialistischer Politikrezepte geholfen ist, muss jedenfalls als unwahrscheinlich gelten. Und spätestens in Abtreibungsfragen artikuliert die Linke (wie freilich auch Grüne und SPD) Positionen, die mit dem christlichen Menschenbild schlicht unvereinbar sind.
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