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Parolin an Israel: Warnung unter Brüdern

Bedachtsam und voll Wohlwollen kritisiert der vatikanische Außenminister Parolin Israels Vorgehen im Gazastreifen. Es gibt gute Gründe, ihn ernst zu nehmen.
Der vatikanische Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin
Foto: IMAGO/Evandro Inetti (www.imago-images.de) | Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hat das israelische Vorgehen im Gazastreifen bei einem Treffen mit Regierungsvertretern Italiens als unverhältnismäßig charakterisiert und mahnt, es könne so nicht weitergehen.

Israel wehrt sich derzeit gegen militärische Angriffe und Provokationen aus mehreren Himmelsrichtungen. Im Norden wird es von der Hisbollah attackiert, aus dem Süden von den jemenitischen Huthis, aus dem Westen von der Hamas und aus dem Osten von den pro-iranischen Milizen in Syrien. Dabei sind noch gar nicht alle Akteure vor den Vorhang getreten, so dass Israel mit einer weiteren militärischen Eskalation jederzeit rechnen muss.

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Zu dieser regionalen Dramatik kommt die weltpolitische: Die Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen wird breiter und lauter. Doch genau hier müssen Politik, Medien und Gesellschaft Israels die schon in Friedenszeiten nicht einfache Kunst der Differenzierung wagen: Ja, es gibt Politiker, Bewegungen und Staaten, die Israel immer und überall kritisieren, weil die Israel-Feindschaft aus unterschiedlichen Motiven zur eigenen Identität gehört. Aber es gibt auch Freunde Israels, die angesichts der humanitären Katastrophe im Gazastreifen in ehrlicher Sorge sind. Ihnen ernsthaft zuzuhören, wäre ratsam.

Kirchendiplomat, nicht Krawallpolitiker

Das gilt für Israels Schutzmacht jenseits des Atlantiks, aber auch für den Heiligen Stuhl. Wenn Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin das israelische Vorgehen im Gazastreifen nun bei einem Treffen mit Regierungsvertretern Italiens als unverhältnismäßig charakterisiert und mahnt, es könne so nicht weitergehen, dann sollte man das in Jerusalem und Tel Aviv ernst nehmen. Der Staatssekretär des Papstes ist kein Krawallpolitiker, sondern ein überaus sensibler Kirchendiplomat. Wenn er sich entsetzt zeigt und ein „Blutbad“ kritisiert, sollte das Israel nicht einfach beiseite wischen.

Spätestens seit Papst Johannes Paul II., der von den Juden vielfach als von „unseren älteren Brüdern“ sprach, darf der Staat Israel im Heiligen Stuhl und seinen diplomatischen Aktivitäten einen wohlwollenden Partner und bedachten Akteur sehen. Die grundsätzliche Linie der vatikanischen Nahost-Politik hat sich seither nicht geändert. Doch auch wenn eine Zwei-Staaten-Lösung und ein internationalisierter Status für Jerusalem aus israelischer Sicht derzeit undenkbar scheinen, sollte doch ein Konsens darüber bestehen, dass eine weitere Eskalation in Nahost auch für Israel lebensgefährlich wäre.

Die Dynamik der Eskalation beenden

Auf einer unideologischen, praktischen Ebene nutzt Israel auch heute die Drähte zu Freund und Feind, um im Gespräch zu bleiben. So verhandeln Unterhändler von Israel, Ägypten, Katar und den USA derzeit in Kairo über die Geiseln, die noch in der Gewalt der Hamas sind. 

Ebenso braucht Israel seine wohlmeinenden Partner in Washington, Brüssel, Kairo, Amman und eben auch Rom dafür, um die Dynamik der Eskalation zu beenden und zu einem stabilen Frieden zu finden. Die Sorgen des Königs von Jordanien oder des Kardinalstaatssekretärs in Rom, dass die Spirale der Gewalt völlig außer Kontrolle zu geraten droht, sind überaus berechtigt. Israel sollte auf den Rat und die Warnungen seiner Freunde hören.

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Stephan Baier Gazastreifen Hamas Hisbollah Johannes Paul II. Nahostpolitik Pietro Parolin

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