Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung 95. Geburtstag von Helmut Kohl

Nur wer Menschen liebt, ist auf Menschen neugierig

Kanzler der Einheit, Baumeister Europas, Übervater der Christdemokratie. Und Helmut Kohl war Personalist: Politik ging bei ihm vom konkreten Menschen aus. Auch seines Glaubens wegen.
Johannes Paul II. und Helmut Kohl 1996
Foto: imago stock&people | Von Mensch zu Mensch: Kohl mit Johannes Paul II. im Jahr 1996.

Als er gestorben war, legte ihm seine Witwe Maike den Rosenkranz in die Hand, den ihm Papst Johannes Paul II. einst geschenkt hatte. Ist es mehr als ein kalendarischer Zufall, dass der 20. Todestag dieses Jahrhundert-Papstes und der 95. Geburtstag des Jahrhundert-Staatsmanns so dicht beieinander liegen? Papst und Kanzler vor dem Brandenburger Tor – in den Szenen, die sich 1996 beim Staatsbesuch von Johannes Paul in der Hauptstadt ereigneten, drückt sich in Bildern  aus, was das vereinte Land empfand: Deutschland im Glück und voller Hoffnung auf eine neue Epoche des Friedens in Freiheit. Heute befürchten viele, dass die Epoche längst zur Episode zusammengeschrumpft ist. Pessimismus macht sich breit. Und auch hier sind die Zwei im freien Berlin ein Sinnbild – sie stehen dafür, dass die Befreiung Osteuropas vom sowjetischen Joch, die Deutsche Einheit und der Sieg des freien Westens im Kalten Krieg nicht einfach nur Daten der Diplomatiegeschichte sind. Hier geht es um ein Menschenbild, eine geistige Dimension.

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Doch zunächst zu einem anderen Geburtstagskind dieser Tage: Hans Rosenthal wäre jetzt 100 Jahre alt geworden. Der jüdische Deutsche, der als Kind und Jugendlicher unter dem Unrechtsregime der Nazis um sein Leben fürchtete, der dann in der Bundesrepublik zum Publikumsliebling der Nation wurde, der aber auch als Berliner das Unrecht der Mauer tagtäglich vor sich sah und daher um die Gegenwart der totalitären Bedrohung wusste. 1982 führte er mit Kohl ein Interview (kann man heute noch bei Youtube sehen). Er hat den damals Noch-Oppositionsführer in dessen Haus in Oggersheim besucht; obwohl das Ganze als „Homestory“ angelegt ist (Ehefrau Hannelore schaut auch kurz im Wohnzimmer vorbei), wirken die 45 Minuten für heutige Augen zunächst ziemlich hölzern. Schaut man aber länger zu, so beginnt man diese Gesprächssituation zu schätzen, die so ganz anders ist als man es heute von Talkshows gewöhnt ist: Höflich, aber doch offen geht es zwischen Rosenthal und Kohl zu. Es menschelt, aber wird nicht kumpelhaft. Rosenthal nimmt Kohl nicht ins Kreuzverhör, aber gerade deswegen erfährt man viel über die Persönlichkeit des Politikers. Ein Schlüsselsatz des angehenden Kanzlers: „Ich bin neugierig auf Menschen.“ Nicht zuletzt deswegen sei die Politik für ihn so ein interessantes Arbeitsfeld.

Kohl war ein Beziehungsmensch

Neugierig auf Menschen ist aber nur, wer Menschen liebt. Kohl hat sich für Menschen interessiert, weil er einen Sinn dafür hatte, was den Kern einer Persönlichkeit ausmacht. Legendär sind die Gespräche mit Michail Gorbatschow am Rhein vor dem Kanzlerbungalow, wo die Zwei sich über ihre Erfahrungen als Kinder im Zweiten Weltkrieg aussprechen, von beiden war ein Bruder gefallen. Kohl hatte aber nicht nur diese direkte Ebene zu Amtskollegen, sondern zu allen Menschen. Wenn er irgendwohin kam, hat er erstmal mit dem Pförtner gesprochen. Nicht aber als Ritual, aus einer Vermarktungs-Routine heraus, sondern ihn hat interessiert, wie dieser Mensch lebt, welche Sorgen ihn umtreiben. Dieser Kanzler wusste, was ein Pfund Butter kostet. Solche Fähigkeiten verschafften ihm über die Jahre ein Bauchgefühl dafür wie die Deutschen ticken. Die Demoskopin Elisabeth Noelle-Neumann, die „Pythia vom Bodensee“, berichtete, dass an ihrem Institut in Allensbach die Mitarbeiter ein Umfrage-Toto spielten. Man tippte die Ergebnisse. Als Einziger von außerhalb durfte der  Kanzler mitmachen. Wer gab die besten Prognosen ab? Helmut Kohl.

Auch noch der Kanzler erzählte davon, wie sehr ihn sein Elternhaus geprägt hat. Der christliche Glaube wurde hier ganz selbstverständlich gelebt, nicht in Form einer Doktrin, sondern praktisch, im Leben. So war auch schon für den kleinen Helmut klar, was man tut und was nicht, wie man mit Menschen umgeht und was sich nicht gehört. Und da gibt es eben auch eine Verbindung zu Johannes Paul II., der nicht nur Papst, sondern auch Philosoph war und über die Person und ihre Würde nachgedacht hat. Dass alle Menschen Personen sind und die Würde der Person zu schützen ist – nicht zuletzt vor Angriffen von totalitären Ideologien von rechts wie links –, das war für beide ganz selbstverständlich der Kern der christlich-abendländischen Kultur. Kohl war ein Beziehungsmensch. Und das ist vielleicht auch das wichtigste Ziel, das sich Personen stellen können: Viele menschliche Beziehungen zu anderen Personen aufzubauen. Dazu gehört Menschenvertrauen, aber auch Gottvertrauen – Helmut Kohl hatte beides. 

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