Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung DEBATTE ZUM § 218 STGB

Nix mit Sternstunde

In der Abtreibungsfrage stehen nur noch Union und AfD auf dem Boden des Grundgesetzes – Bilanz der unwürdigen Debatte eines machtbesoffenen Parlaments.
Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge
Foto: Thomas Trutschel (www.imago-images.de) | Die SPD-Bundestagsabgeordnete Carmen Wegge schien sich in der Tür geirrt zu haben. Als stände Sie bei einem Song-Contest auf der Bühne schrie sie ins Mikrofon: „Heute ist ein guter Tag für Frauen.

Der Deutsche Bundestag hat gestern am späten Nachmittag den von inzwischen 328 Abgeordneten gezeichneten „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs“ (Bundestagsdrucksache 20/13775) in Erster Lesung beraten. In der emotionalen und teils hoch aggressiv geführten, fast 90 Minuten dauernden Debatte, ergriffen insgesamt 19 Rednerinnen und Redner das Wort. Weitere Abgeordnete, die aufgrund der zeitlich begrenzten Aussprache, nicht in den an diesem Tage eher zweifelhaften Genuss des Rederechts kamen, machten von dem Recht Gebrauch, nichtgehaltene Reden und persönliche Erklärungen zu Protokoll zu geben.

In der Tür geirrt

Gleich zu Beginn ging es hoch her. Das lag vor allem an der SPD-Abgeordneten Carmen Wegge. Den Gepflogenheiten des Bundestags entsprechend, erhielt die Mitinitiatorin des interfraktionellen Gruppenentwurfs, der vorgeburtliche Kindstötungen bis zum Ende der 12. Schwangerschaftswoche „rechtmäßig“ stellen, die dreitägige „Bedenkzeit“ zwischen Beratung und Eingriff streichen und die Kosten der vorgeburtlichen Kindstötungen den gesetzlichen Krankenkassen aufbürden will, als Erste das Wort.

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Doch irgendwie schien sich die Herausgeberin des Buches „Lautstärke ist weiblich: Texte von 40 Poetry-Slammerinnen“, in der Tür geirrt zu haben. Als stände Sie bei einem Song-Contest auf der Bühne und nicht am Rednerpult des Plenarsaals schrie die Sprecherin des „Arbeitskreises Säkularität und Humanismus in der SPD“, die über die bayerische Landesliste in den Bundestag eingezogen war, ins Mikrofon: „Heute ist ein guter Tag für Frauen. Heute ist ein guter Tag für Ärztinnen und Ärzte. Heute ist ein guter Tag für die Frauen und Männer, die seit Jahrzehnten darum kämpfen, dass wir genau diese Debatte endlich im Plenum des Deutschen Bundestages führen.“


Nötig sei diese, „weil das Strafrecht nicht nur zur Stigmatisierung von Frauen und Ärztinnen“ führe, sondern „auch dramatische Auswirkungen auf die Versorgungslage von Frauen in diesem Land“ habe. Die Ergebnisse der vom Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) geförderten „Elsa-Studie“ zeigten, „dass 4,5 Millionen Menschen in Deutschland außerhalb einer angemessenen Erreichbarkeit zum nächsten Angebot für einen Schwangerschaftsabbruch leben, in 85 von 400 Landkreisen werden nicht die erforderlichen Kriterien erfüllt.“ Welche das seien und wer diese festlegt, verriet sie nicht.

Auch habe sich „die Zahl der Ärztinnen, die bereit sind, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen“, „in den letzten 20 Jahren halbiert“. Die „überwiegende Mehrheit der befragten Ärztinnen“ gebe an, „aufgrund der Regelung im Strafgesetzbuch keine Schwangerschaftsabbrüche zu erlernen und/oder durchzuführen. Und deshalb muss sich das Strafgesetzbuch ändern, wenn wir die Versorgungslage von Frauen sicherstellen wollen.“ Dass die Zahl der vorgenommenen und dem Statistischen Bundesamt gemeldeten vorgeburtlichen Kindstötungen seit Jahren von Quartal zu Quartal weiter steigt, verschwieg sie.

Falsche Narrative

Stattdessen behauptete Wegge: Der von „328 frei gewählten Abgeordneten dieses Hauses, fast einer Mehrheit“ vorgelegte Entwurf, sei „kein ,Ich-wünsch-mir-was‘-Gesetzentwurf“, sondern ein „ausgewogener, moderater und alle Rechte berücksichtigender Entwurf, der unter uns Abgeordneten mehrheitsfähig sein sollte“. Fast im Stile eines Einpeitschers im Londoner „Ally Pally“, wo ab Ende kommender Woche wieder die jährlich stattfindende Darts-Weltmeisterschaft ausgetragen wird, rief Wegge in den Plenarsaal: „Machen wir die Entscheidung über die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu einer Sternstunde des Parlaments. Zu einem Moment, in dem wir tatsächlich eine wichtige Verbesserung für Schwangere und Ärztinnen herbeiführen, mutig und in dem Wissen, dass wir von der Mehrheit der Gesellschaft getragen werden.“ Wozu es eigentlich Mut brauche, wenn die Abgeordneten doch von der Mehrheit der Gesellschaft getragen werde, verriet die SPD-Politikerin ebenfalls nicht.

Die Antwort folgte auf dem Fuß: „Ich versuche es jetzt noch mal sachlich. In dem Ton, der dem Thema angemessen ist. Denn es geht um Leben und Tod des Ungeborenen. Davon habe ich bei Ihnen, liebe Kollegin, nichts gehört“, begann die CDU-Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker. „Rot-rot-grün legt uns hier noch einen Gesetzentwurf zur weitgehenden Streichung des Paragrafen 218 vor, für den es in der Ampel keine Mehrheit gab, also ein bisschen Resteverwertung auf den letzten Metern dieser Wahlperiode. Im Schnelldurchgang und ohne die gesellschaftliche Debatte, aber dafür mit falschen Narrativen, die wir auch jetzt gerade wieder gehört haben.“

„Paradigmenwechsel“

Trotz rund 100.000 Abtreibungen, die jedes Jahr nach der Beratungslösung durchgeführt würden, gäbe es „keine Verfahren gegen Frauen oder Ärzte“. „Diese Fakten verschleiern Sie. Selbst im Kommissionsbericht kam das nicht vor, was aus meiner Sicht ein schlagendes Licht auf die Wissenschaftlichkeit der Kommission wirft.“ Und weiter: Den Abbruch im ersten Drittel der Schwangerschaft „rechtmäßig“ zu stellen, „wäre ein Paradigmenwechsel“. Einer, der gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts „unvereinbar mit der Menschenwürde und Lebensrecht des Kindes“ sei. „Das Ungeborene entwickelt sich von der Zeugung an als Mensch und nicht zum Menschen.“ Hinzu komme: „Die Beendigung menschlichen Lebens“ könne „im Rechtsstaat nur gerechtfertigt“ werden, „wenn es eine nachgewiesene Rechtfertigungssituation, Notwehr oder Notstand, gibt.“ Regelmäßig gegeben sei dies „bei einer Gesundheitsgefahr und nach einer Vergewaltigung, aber gerade nicht bei der Beratungslösung“, erklärte Winkelmeier-Becker, die auch Vorsitzende des Rechtsauschusses des Bundestags ist.

Wie belanglos und nichtig in Wahrheit das Lebensrecht des Kindes für die Initiatoren und Unterstützer des Gesetzesentwurf ist, machte mehrere Rednerinnen im weiteren Verlauf der Debatte geradezu unmissverständlich deutlich. Manche ließen dabei auch ihrer Abneigung gegenüber der katholischen Kirche freien Lauf. So erklärte beispielsweise die familienpolitische Sprecherin der Grünen, Ulle Schauws: Der Paragraf 218 sei „zutiefst patriarchal“ und symbolisiere, „dass eine Frau nicht das Recht hat, selbst über ihre Schwangerschaft und somit ihr Leben und ihren Körper zu bestimmen“. Schauws behauptete gar, „die Deutsche, nein, die Katholische Bischofskonferenz“ habe auf ihre Frage, „warum der Schwangerschaftsabbruch im Strafgesetzbuch stehen“ müsse, geantwortet, „damit eine Frau sich schuldig fühlt“. „Schuldgefühle von Frauen, damit muss“, so Schauws, „endgültig Schluss sein.“ An die Abgeordneten appellierte sie: „Ich lade Sie alle ein, schreiben Sie mit uns Geschichte. Stimmen sie dem Gesetzentwurf zu.“

„Mit dem Gesetzentwurf wird der Schwangerschaftsabbruch zu etwas Alltäglichem“

Obwohl die AfD-Abgeordnete Beatrix von Storch aus dem letzten Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts zitierte, demzufolge eine vorgeburtliche Kindstötung „für die gesamte Dauer der Schwangerschaft als Unrecht angesehen und demgemäß rechtlich verboten sein muss“, konstruierten zahlreiche Abgeordnete eine ihre eigenen, selbstherrlichen Maßstäbe offenlegende „Parallelwelt“. So behaupteten etwa die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek und die Grünen-Abgeordnete Kirsten Kappert-Gonther etwa trotzig: „Schwangerschaftsabbrüche sind kein Verbrechen.“ Die frauenpolitische Sprecherin der SPD, Leni Breymaier, forderte gar, scheinbar restlos machtbesoffen „Schaffen wir ein zivilisiertes Recht auf Abbruch.“

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Union, Nina Warken, warf den Initiatoren vor, der von ihnen vorgelegten Gesetzesentwurf mache „den ungeborenen Menschen völlig unsichtbar. Er zählt de facto nicht.“ Die Legalisierungsbefürworter behaupteten, die Situation habe sich verändert. „Aber was hat sich denn wirklich verändert? Ist das ungeborene Leben jetzt weniger wert als im Jahr 1995? Geändert hat sich, dass Sie jetzt eine Politik betreiben wollen, die nur die Interessen der Frauen in den Mittelpunkt stellt und die des Kindes als zweitrangig einstuft.“

Mit dem Gesetzentwurf werde der „Schwangerschaftsabbruch zu einer Heilbehandlung wie jede andere, zu etwas Normalem, zu etwas Alltäglichem. Aber das ist er eben nicht. Mit dem Schwangerschaftsabbruch wird Leben beendet.“ In Artikel 2 Absatz 2 Grundgesetz heiße es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Warken: „Und es ist Aufgabe und Pflicht des Staates, diese Rechte zu schützen“, so die CDU-Politikerin. Die Debatte hat gezeigt, dass dazu nur noch CDU/CSU und AfD bereit sind. 328 Abgeordnete, fast eine Mehrheit, will einen anderen Staat. Einen, in dem der Lebensschutz kein Verfassungsrang mehr zukommt. Wegge war also nicht die einzige, die sich in der Tür irrte.

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