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Niederlage für die Menschlichkeit

Enttäuschung, Unverständnis, heftige Kritik bei den Initiatoren des Gesetzes zum Verbot der geschäftsmäßigen Selbsttötung, bei Ärztekammer und Kirchen. - Reaktionen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum §217 STGB. (Teil 2 von 3)
"Sterbehilfe-Set"
Foto: Etienne Ansotte (BELGA)/dpa | Der Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, Michael Brandt (CDU), sieht im Suizid-Urteil des Bundesverfassungsgesrichtes eine „schweren Niederlage“, welche „die Menschlichkeit ...

Die Aufhebung des „Verbots der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ (§ 217 Strafgesetzbuch) durch das Bundesverfassungsgericht ist bei seinen Initiatoren, der Bundesärztekammer, den Kirchen und bei Lebensrechtlern auf Enttäuschung, Unverständnis und mitunter heftige Kritik gestoßen. „Dieses Urteil wird für viele Menschen, die mit Blick auf Selbsttötung unter großem Druck stehen, eine sehr gefährliche, teils tödliche Wirkung haben“, erklärte etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand. Der Vorsitzende des Ausschusses für Menschenrechte und humanitäre Hilfe, einer der Hauptinitiatoren des Gesetzes, das der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am Dienstag kassierte, sprach von einer „schweren Niederlage“, welche „die Menschlichkeit in unserem Land“, erlitten habe.

„Falsch und gefährlich“

„Es ist empirisch nachgewiesen, dass geschäftsmäßige Angebote zu mehr Suiziden führen, über die sehr kleine Zahl derer hinaus, die dies in voller Selbstbestimmung tun. Diese Nebenwirkung auf die vielen Menschen unter Druck bei dem Urteil billigend in Kauf zu nehmen, bedeutet eine neue und sehr beunruhigende Qualität. Ich halte das für falsch und gefährlich“, so Brand. Der CDU-Politiker, der bei der Urteilsverkündigung in Karlsruhe zugegen war, kündigte an, er und seine Mitstreiter würden „das Urteil jetzt genau daraufhin untersuchen, welche Möglichkeiten noch bestehen, Gefährdete und auch deren Selbstbestimmung tatsächlich zu schützen. Diese Menschen in Not, ob alt, schwach oder verzweifelt, sind eben nicht in Talkshows zu sehen, sie haben keine lautstarke Lobby und sie haben ganz offenbar bei diesem Urteil keine große Rolle gespielt.“

Kein Arzt kann zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der als Abgeordneter 2015 für den Brand-Entwurf gestimmt hatte, kündigte Gespräche mit allen Beteiligten an, um „eine verfassungsmäßige Lösung zu finden“. Das Urteil gebe dem Gesetzgeber ausdrücklich Spielraum zur Regulierung, sagte Spahn am Mittwochabend in Berlin. Aus einem Recht auf selbstbestimmtes Sterben dürfe keine Gewöhnung werden. „Wir müssen immer die Betroffenen und ihre Angehörigen im Blick haben“, so Spahn.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, erklärte nach der Urteilsverkündigung: „Positiv hervorzuheben ist die Bestätigung des Gerichts, dass auch zukunftig keine Ärztin und kein Arzt zur Mitwirkung an einer Selbsttötung verpflichtet werden kann.“ Aufgabe von Ärzten sei es, „unter Achtung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schutzen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zu ihrem Tod beizustehen. Die Beihilfe zum Suizid gehört unverändert grundsätzlich nicht zu den Aufgaben von Ärztinnen und Ärzten.“

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Zwar hätten die Karlsruher Richter „dem Selbstbestimmungsrecht am Ende des Lebens weiten Raum zugesprochen“. Zugleich sähen sie jedoch auch „die Notwendigkeit fur eine gesetzgeberische Regulierung der Beihilfe zur Selbsttötung“. So weise das Gericht darauf hin, dass von einem unregulierten Angebot geschäftsmäßiger Suizidhilfe Gefahren fur die Selbstbestimmung ausgehen könnten. Es fuhre außerdem aus, dass dem Gesetzgeber zum Schutz dieser Selbstbestimmung uber das eigene Leben in Bezug auf organisierte Suizidhilfe ein breites Spektrum an Möglichkeiten von Einschränkungen offenstehe. Diese könnten ausdrucklich auch im Strafrecht verankert oder durch strafrechtliche Sanktionierung von Verstößen abgesichert werden. „Das heutige Urteil ist deshalb als Auftrag an den Gesetzgeber zu verstehen, diese Möglichkeiten auszuloten und rechtssicher auszugestalten“, so Reinhardt. Nun müsse die Gesellschaft als Ganze „Mittel und Wege finden, die verhindern, dass die organisierte Beihilfe zur Selbsttötung zu einer Normalisierung des Suizids fuhrt“.

Katholische und evangelische Kirche hatten bereits am Mittwoch in einer gemeinsamen Erklärung das Karlsruher Urteil kritisiert und einen "Einschnitt in unserer Kultur" beklagt.

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