Man kann Pfui rufen oder Politik machen. Als heute Nachmittag Björn Höcke in Aschaffenburg erschienen ist, um dort im Gedenken an die Opfer der Mordtat eine weiße Rose niederzulegen, da sind genau diese Rufe erklungen. Und es gibt ja in der Tat gute Gründe dafür, dass so ein Auftritt Bauchschmerzen verursacht.
Nur: Mit Empörung stäken manche vielleicht ihr individuelles Moralempfinden, so immunisiert man aber nicht dauerhaft unser politisches System vor der größten Gefahr, die ihr aktuell droht: der endgültigen Übernahme der Deutungshoheit im Lager rechts der Mitte durch die AfD.
Nach Aschaffenburg wird sich die Wahl entscheiden
Auch Im Konrad-Adenauer-Haus scheint begriffen worden zu sein, dass sich wahrscheinlich in den wenigen Tagen unmittelbar nach dem Aschaffenburger Menetekel entscheiden wird, wie die Bundestagswahl ausgeht. Deswegen ist nun Friedrich Merz in die Offensive gegangen und hat am Freitagmittag angekündigt, bei der nächsten Sitzung des Parlamentes am kommenden Mittwoch eine Wende in der Asylpolitik einleiten zu wollen. Seine zentralen Punkte dabei: Alle Grenzen sollen dauerhaft kontrolliert werden, um so ein faktisches Einreiseverbot für alle ohne gültige Papiere durchzusetzen – auch dann, wenn ein Schutzanspruch vorliegen sollte. Weiterhin sollen Ausreisepflichtige bis zur Ausreise in Gewahrsam genommen werden.

Mit diesem Schritt befreit Friedrich Merz seine Partei. Endlich hat die Union wieder Spielraum. Nun setzt sie die Akzente. Merz nimmt der AfD ihre größte Waffe, nämlich zu suggerieren, sie habe in der Migrationspolitik die Wortführerschaft. So reißt Merz die Brandmauer nicht ein, sondern verleiht ihr vielmehr endlich politische Stabilität.
So eine Brandmauer-Strategie kann die AfD tatsächlich schwächen. Der bisherige Ansatz verlieh der AfD hingegen die eigentliche Deutungshoheit über die Migrationsdebatte. Sobald sie einen Vorschlag machte, und wäre er auch noch so sinnvoll gewesen, allein dadurch, dass er von ihr kam, war er verbrannt. Jetzt nimmt die Union selbst das Heft in die Hand. Dies kann zur entscheidenden Wende im Kampf über die politische Oberhoheit des Lagers rechts der Mitte werden.
Die AfD droht, die Meinungsführerschaft zu übernehmen
Wäre es so weitergegangen wie bisher, spätestens nach der Wahl hätte die AfD dort endgültig die Meinungsführerschaft übernommen. Dass die Union hier reagieren musste und damit der Stabilisierung dient, müssten eigentlich auch Linke verstehen. Rechts der Mitte wird in den nächsten Jahren, wenn nicht sogar Jahrzehnten entschieden werden, wo es in Deutschland politisch lang geht. Es mag viele ärgern, aber Politik ist kein Wunschkonzert.
Clevere Linke haben das längst kapiert. Jürgen Trittin erklärte zum Beispiel kürzlich, es werde in nächster Zeit keine Mehrheiten links der Mitte mehr geben. Aus der Geschichte schließlich könnte man wissen, dass alles das, was sich rechts der Mitte versammelt, höchst heterogen ist. Diese unterschiedlichen Gruppen versammeln sich nur dann unter einem Dach, wenn es eine Integrationsideologie gibt. In der Zeit des Kalten Krieges war das der Antikommunismus, die Angst vor der Gefahr aus dem Ostblock.
Flucht in lächerliche Antifa-Folklore à la DDR
Jetzt ist es die Kritik an der Migrationspolitik geworden. Ebenfalls aus der Vergangenheit könnte man wissen, dass nun entscheidend ist, welche Gruppe innerhalb dieses Lagers die Führung übernimmt. Damals waren es die Christdemokraten, die mit ihrer Westorientierung manche problematischen Strömungen innerhalb des rechten Lagers neutralisieren konnten.
Diese Aufgabe stellt sich nun wieder. Die Linke müsste doch über jeden Versuch froh sein, der darauf abzielt, die Lagerführerschaft der AfD zu verhindern. Aber stattdessen flüchtet man lieber in eine lächerliche Antifa-Folklore à la DDR. Die Linken rufen eben lieber Pfui, als politisch zu denken.
Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.