Viele Menschen haben zu allem eine Meinung, aber oft wenig Wissen. Letzterem Abhilfe zu leisten, weiß sich das „Institut für Gesellschaftswissenschaften Walberberg“ verpflichtet. Auch auf den 79. Buß- und Bettagsgesprächen, zu denen die Dominikanerpatres Wolfgang Ockenfels und Wolfgang H. Spindler in das Bonner Ameron Hotel Königshof geladen hatten und die sie unter die Überschrift „Frieden auf Erden“ gestellt hatten, war das nicht anders.
Den Anfang machte der Bonner Journalist und Publizist Martin Lohmann. Ausgehend von der Enzyklika „Pacem in terris“ Papst Johannes XXIII. schlug der frühere Chefredakteur der „Rheinzeitung“ und TV-Moderator der „Münchner Runde“ einen Bogen über Johannes Paul II. bis zu Benedikt XVI. „Pacem in terris“ (Frieden auf Erden) sei eine „außergewöhnliche Enzyklika“, befand Lohmann. Approbiert am Gründonnerstag des Jahres 1963 habe sie „an Aktualität“ bis heute „nichts verloren“.
„Kein Träumer“, sondern ein „hoffnungsvoller Realist“
Das päpstliche Lehrschreiben sei zudem das Erste gewesen, mit dem sich ein Papst nicht mehr nur an den „Episkopat, den Klerus und die mit dem Heiligen Vater in Gemeinschaft lebenden Christgläubigen“ wandte, sondern auch „an alle Menschen guten Willens“. Anlass für das Schreiben sei die Kuba-Krise im Jahr zuvor gewesen, welche „die Welt an den Rand eines Atomkrieges“ geführt habe.
Friede auf Erden sei, so Johannes XXIII., dann möglich, wenn die göttliche Ordnung, auf der er basiere, respektiert werde. Dazu gehöre die Achtung der Menschenrechte, wie das Recht auf Leben, auf Unversehrtheit des Leibes sowie auf die geeigneten Mittel zu angemessener Lebensführung. Begrüßt werde in dem Schreiben auch die Gründung der Vereinten Nationen und die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ vom 10. Dezember 1948. Durch sie werde „die Würde der Person“ eines jeden Menschen „feierlich anerkannt“ und auch sein Recht, „die Wahrheit frei zu suchen, den Normen der Sittlichkeit zu folgen, die Pflichten der Gerechtigkeit auszuüben“ und so „ein menschenwürdiges Dasein zu führen“.
Letztlich sei der Friede, von dem Johannes XXIII. spreche, so Lohmann, die Frucht der „Verwirklichung des Werte-Quartetts“ von „Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit“, welche das menschliche Zusammenleben prägen und durchdringen müsse. Johannes XXIII. sei „kein Träumer“, sondern ein „hoffnungsvoller Realist“ gewesen. Als solcher sei er sich bewusst gewesen, dass die Menschen um die „Grundbedingungen für wirklichen Frieden“ (Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit) in ihrem Leben ringen müssten.
Der freie Mensch ist der Wahrheit verpflichtet
Mit den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. bestimmte Lohmann das Werte-Quartett dann näher. „Der Mensch ist zur Freiheit berufen.“ Dies meine kein Recht zur Beliebigkeit. „Der freie Mensch ist vielmehr der Wahrheit verpflichtet.“ Sonst habe „seine Freiheit keinen festeren Bestand als ein schöner Traum, der beim Erwachen zerbricht. Der Mensch verdankt sich nicht sich selbst, sondern ist Geschöpf Gottes; er ist nicht Herr über sein Leben und über das der anderen; er ist – will er in Wahrheit Mensch sein – ein Hörender und Horchender: Seine freie Schaffenskraft wird sich nur dann wirksam und dauerhaft entfalten, wenn sie auf der Wahrheit, die dem Menschen vorgegeben ist, als unzerbrechlichem Fundament gründet. Dann wird der Mensch sich verwirklichen, ja über sich hinauswachsen können. Es gibt keine Freiheit ohne Wahrheit“, zitierte Lohmann aus der Rede Johannes Pauls II., die dieser am 23. Juni 1996 vor dem Brandenburger Tor hielt.
Gewürdigt wurde auch die Bundestags-Rede Benedikts XVI.: Politik müsse Mühen um Gerechtigkeit sein und so die Grundvoraussetzung für Frieden schaffen. „Natürlich wird ein Politiker den Erfolg suchen, der ihm überhaupt die Möglichkeit politischer Gestaltung eröffnet.“ Aber der Erfolg sei „dem Maßstab der Gerechtigkeit, dem Willen zum Recht und dem Verstehen für das Recht untergeordnet (...) Dem Recht zu dienen und der Herrschaft des Unrechts zu wehren ist und bleibt die grundlegende Aufgabe des Politikers.“
Dies sei heute besonders dringlich: „Der Mensch kann die Welt zerstören. Er kann sich selbst manipulieren. Er kann sozusagen Menschen machen und Menschen vom Menschsein ausschließen. Wie erkennen wir, was recht ist? Wie können wir zwischen Gut und Böse, zwischen wahrem Recht und Scheinrecht unterscheiden?“ In der Beantwortung dieser Fragen liege, so Martin Lohmann, auch die Antwort auf die in jedem Menschen schlummernde Sehnsucht nach Frieden.
Legitimer Widerstand gegen Aggression und Rechtsbruch
Im Anschluss an Lohmann referierte der emeritierte Osnabrücker Sozialwissenschaftler Manfred Spieker über die legitime Verteidigung und die „Lehre vom gerechten Krieg“. Frieden auf Erden sei „ein zerbrechliches Gut“. Das gelte für die privaten wie für die politischen Beziehungen. Die Bibel wisse dies, seit Kain den Abel erschlug. Des Menschen „Neigung zur Gewalt“ bedrohe „jedweden Frieden“. „Insoweit die Menschen Sünder sind“, zitierte Spieker „Gaudium et Spes“, „droht ihnen die Gefahr des Krieges, und sie wird ihnen drohen bis zur Ankunft Christi“.
Dezidiert wandte sich Spieker gegen einen „christlich motivierten Pazifismus“ und sparte dabei auch nicht mit Kritik an Papst Franziskus, dem Dikasterium für die Glaubenslehre und den deutschen Bischöfen. Letztere hätten einen solchen in ihrem Hirtenbrief „Friede diesem Haus“ vom 21. Februar 2024 als die ältere von zwei Traditionen der kirchlichen Friedenslehre gewürdigt, „die bis in die Anfänge des Christentums zurückreichen und sich stets gegenseitig beeinflusst haben“. Zwar erinnerten die Bischöfe darin an das Recht auf Selbstverteidigung und die Pflicht, Dritten zu helfen, die nicht in der Lage seien, „sich selbst in angemessener Form zu wehren“, ihre „vorrangige Option“ bleibe jedoch die „aktive Gewaltfreiheit“. „Wie der Ukraine mit aktiver Gewaltfreiheit geholfen werden soll“, bleibe „ihr Geheimnis“, so Spieker.
Auch das Dikasterium für die Glaubenslehre unterstreiche in „Dignitas Infinita“ das „unveräußerliche Recht auf Selbstverteidigung“, meine aber zugleich, „alle Kriege“ widersprächen der Menschenwürde. Dem hielt Spieker entgegen: „Auch eine legitime militärische Verteidigung ist ein Krieg, ein gerechter Krieg allerdings und ein gerechter Krieg widerspricht nicht der Menschenwürde.“ Staaten, die sich den Verzicht auf Gewalt auferlegten, förderten nicht den Frieden auf Erden, sondern verletzten „die Schutzpflicht“ gegenüber ihren Bürgern“ und höben sich somit selbst auf.
Beim Taurus gehen die Meinungen auseinander
„Widerstand gegen eine Aggression von außen wie auch gegen einen Rechtsbruch im Inneren“ sei nicht nur ihr Recht, sondern auch ihre Pflicht. Der vom Pazifismus geforderte Verzicht auf einen solchen Widerstand stelle „das Postulat der Gewaltfreiheit über das der Nächstenliebe, die verlangt, den Nächsten gegen jedwede Aggression zu schützen und dafür die notwendigen Mittel bereitzustellen“. Dazu gehöre auch die nukleare Abschreckung. Wenn die Gefahr des Krieges bis zur Ankunft Christi drohe, bleibe auch Abschreckung genauso lange notwendig.
In der anschließenden Diskussion gingen die Meinungen im Saal ebenso auseinander wie auf dem Podium. So plädierte Spieker für die Lieferung von Taurus-Raketen an die Ukraine, während Lohmann diese strikt ablehnte. Dass der Frieden trotzdem zu jeder Zeit gewahrt wurde, lag nicht zuletzt an den beiden Sozialethikern Ockenfels und Spindler, die bei ihren Einlassungen das Werte-Quartett Wahrheit, Gerechtigkeit, Liebe und Freiheit auf humorige Weise zu entfalten verstanden.
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