Die Hoffnung stirbt zuletzt – aber sie stirbt. So kann man die Moskau-Reise des österreichischen Bundeskanzlers Karl Nehammer wohl zusammenfassen. Eine Stunde lang sprach der Österreicher am Montagnachmittag mit Wladimir Putin in dessen Residenz nahe Moskau, um dann zu bilanzieren, das Gespräch sei „direkt, offen und hart“ gewesen. Und ertraglos. Das Gegenteil wäre eine Überraschung gewesen, etwa wenn der österreichische Kanzler dem russischen Autokraten irgendwelche Zugeständnisse abgerungen hätte – sei es für humanitäre Korridore oder für eine Waffenpause.
Sichtlich überhoben
Daran haben sich schon schwergewichtigere Regierungen versucht, nun hat sich auch Österreich sichtlich überhoben. Doch Macron, Scholz und andere telefonierten nur mit dem Kreml, eine Reise zu Putin wollte seit 24. Februar aus guten Gründen niemand unternehmen. Immerhin hat Nehammer dafür gesorgt, dass Journalisten und Fotografen auf Distanz gehalten und jeder gemeinsame öffentliche Auftritt mit dem Kremlchef vermieden wurde. Die Gefahr einer Instrumentalisierung seines Besuchs hat der erfahrene österreichische Innenpolitiker, der sich nun auf dem weltpolitischen Parkett versuchte, dann doch gewittert.
Der Geschlossenheit der europäischen Politik, die trotz Orbáns Flausen und Macrons Wahlkampf halbwegs hielt, hat der Alleingang des Kanzlers aus Wien gleichwohl einen Bärendienst erwiesen. Bei aller Unterschiedlichkeit der jeweiligen nationalen Interessen sollte die EU gegenüber Moskau geschlossen und geeint agieren. Putin muss wissen, welche Nummer er zu wählen hat, wenn er mit Europa sprechen möchte. Sie hat eine Brüsseler Vorwahl.
Die FPÖ ist noch nicht vom Putinismus geheilt
Hat Nehammer nichts erreicht, so ist er wenigstens nicht eingeknickt. Das sei „kein Freundschaftsbesuch“ gewesen, sagte Nehammer im Anschluss. Er habe Putin gesagt, „dass dieser Krieg endlich enden muss“, weil es auf beiden Seiten nur Verlierer gebe. Das darf man dem österreichischen Kanzler abnehmen. Seine Betroffenheit am Samstag in Butscha und Kiew war echt, seine Positionierung auf der Seite der Opfer des Krieges auch. Österreichs Neutralität ist rein militärischer Art, aber keine Äquidistanz zu Opfer und Täter.
Kanzler Nehammer hat das verstanden, die oppositionelle FPÖ leider nicht. So kritisierte FPÖ-Chef Herbert Kickl Nehammers „mit der Neutralität in Widerspruch stehende Solidaritätsbesuche bei Selenskyj und Klitschko“, aber auch die gegen Putins System gerichteten Sanktionen. Die FPÖ, die lange einen Freundschaftsvertrag mit Putins Partei „Einiges Russland“ hatte, ist offenbar trotz aller Schrecken des Krieges und aller Barbarei noch immer nicht vom Putinismus geheilt. Selten hat eine Partei deutlicher signalisiert, dass sie nicht regierungsfähig ist.
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