Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Vor Ort im Wahlkampf

In Schwabing gehen die Grünen von Tür zu Tür

Nur noch wenige Wochen bis zur Bundestagswahl. Die Tagespost zeichnet mit Reportagen aus dem Wahlkampf ein Stimmungsbild. Zum Auftakt: Die Grünen in München-Nord.
Wahlplakat Frederik Ostermeier
Foto: IMAGO/Michael Bihlmayer (www.imago-images.de) | Dieses Jahr sind die Direktmandate wegen der Wahlrechtsreform besonders umkämpft. In München haben die Grünen Kandidaten dadurch einen gewissen Vorteil gegenüber der CSU.

Das Erststimmen-Ergebnis im Wahlkreis München-Nord bei der letzten Bundestagswahl: CSU: 25,2 Prozent, Grüne: 24,2 Prozent, SPD: 21,9 Prozent, FDP: 11,2 Prozent, AfD: 4,3 Prozent, Linke: 3,6 Prozent, Sonstige: 9,2 Prozent. Als Direktkandidat wurde 2021 Bernhard Siegfried Loos von der CSU gewählt.

Das Grünen-Büro in München-Schwabing ist brechend voll an diesem Samstagvormittag. Heute trifft man sich zur Eröffnung der „heißen Wahlkampfphase“. Allgemeine Hoffnung unter den Mitgliedern des Ortsverbands München Nord: das Direktmandat für Bundestagskandidat Frederik Ostermeier. Die Chancen dafür stünden gut: Denn dass der direkte Konkurrent, Hans Theis von der CSU, es in den Bundestag schaffe, hält man hier für „komplett ausgeschlossen“. Dafür benötige dieser schließlich eine überwältigende Mehrheit der Stimmen, mit der niemand rechne.

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Noch ist Ostermeier draußen, auf dem Bürgersteig vor dem Büro gibt er Presseinterviews. Durch den dicken Panzerkleber – sämtliche Fensterscheiben wurden eingeschlagen – kann man ihn dabei beobachten. Hellwach, fröhlich, motiviert, so wirkt er. Im Büro nehmen die Grünen-Mitglieder schonmal Platz, eine Frau schenkt Tee aus, im Hintergrund läuft die Kaffeemaschine. Die Atmosphäre: sehr familiär. Unter den etwa 30 Anwesenden scheint man sich meist gut zu kennen. „Du bist bestimmt neu hier, wie heißt du?“, spricht jemand einen Studenten an. Die Mehrheit der Anwesenden stellen Frauen über vierzig, auch sieht man junge Menschen im studentischen Alter. Florina Vilgertshofer, die Co-Ortsverbandssprecherin, steht auf der kleinen Bühne am anderen Ende vom Raum. „Gleich kommt Freddie rein“, ruft sie enthusiastisch ins Mikrofon. „Freddie“, damit ist Frederik Ostermeier gemeint. „Er hat heute Geburtstag. Schaffen wir es, ein Lied für ihn zu anzustimmen?“ Neben Zustimmungsrufen kommt von hinten prompt ein bunter Geburtstagskuchen über die mit Brezn, Brotaufstrichen, Orangen und Getränken bestückte Frühstückstafel gereicht.

Freddie, extrem sozial

 „Freddie, wir wünschen dir heute nicht nur alles Gute zu deinem 35. Geburtstag, sondern vor allem das Direktmandat“, tönt es über den Tisch, als das Geburtstagskind nach dem Ständchen auf die Bühne kommt. „Danke, danke, das ist sehr lieb“, bedankt sich der Deutsch-Tunesier mit einem breiten Lächeln. Sein Tag hat früh begonnen, schließlich stand er morgens schon zwei Stunden am Grünen-Infostand. „Ich mag Infostände. Das macht Spaß“, so sein Kommentar dazu. Gleich möchte er seine Wahlkampfthemen präsentieren. Die von deckenhohen Topfpflanzen umrahmte Leinwand ist startbereit, Fotograf Severin schießt erste Bilder: „Es ist mir wichtig, mit dem zu helfen, was ich tun kann. Das sind bei mir eben die Fotos für unseren Social-Media-Block. Jeder sollte das Leben führen können, das er führen möchte“, flüstert der hochgewachsene Mann. Wieso er bei den Grünen sei? Unter anderem, „weil die Wahlkampfkampagnen der anderen Parteien nur Angst machen“.

Schon mit dem ersten Satz seiner Rede zieht Ostermeier die volle Aufmerksamkeit auf sich. „Ich bin froh, dass heute so viele da sind. Wir müssen die Zukunft anpacken.“ Er sei selber in einem sozial schwachen Milieu aufgewachsen: Die alleinerziehende Mutter arbeitete als Schneiderin, das Hartz-IV-Geld zuhause war knapp. „Ich weiß, wie es ist, sich durchs Leben zu kämpfen. Es ist nicht leicht, durch unser Bildungssystem zu kommen“, so Ostermeier, der einen Masterabschluss in Management und Technology der TU München besitzt. „Darum müssen wir Bildung als Chancengeber neu denken: Es braucht Chancen- und Generationengerechtigkeit in unseren Bildungseinrichtungen“, beteuert er. „In unseren Kitas und Schulen befähigen wir Menschen für das Leben. Der Bund muss das finanziell fördern – besonders die Kinder aus sozial schweren Verhältnissen.“ Der Sohn eines deutschen Fensterbauers lebt mit seinem Freund zusammen. Er hat keine eigenen Kinder. „Auch, wenn meine Mutter sich das sehr wünschen würde“, gesteht er zu. Eine „extrem soziale Ader“ charakterisiere den potentiellen Bundestagsabgeordneten: Nach seinem Einser-Abitur habe er zunächst ein Freiwilliges Soziales Jahr mit geistig behinderten Menschen absolviert. „Die sind mir stark ans Herz gewachsen“, erzählt er.

Miete und Strom sollen bezahlbar sein

Die Brotkörbe auf dem langen Tisch leeren sich langsam, unter den Zuhörern verteilt man Ostermeiers Wahlkampfflyer. „Alltag erleichtern. Zukunft anpacken.“, lautet die Unterzeile darauf. „Meine Präsentation schicke ich euch später auch noch“, unterbricht er kurz seinen Vortrag. Immer wieder betont er, dass er sich für die Erleichterung des bürgerlichen Alltags einsetze: „Das Deutschlandticket muss weiterhin für 49 Euro angeboten werden, für guten Nahverkehr. Die Mietpreissteigerung wollen wir abbremsen. Wir setzen auf genossenschaftlichen und sozialen Wohnungsbau. Auch soll der Strom günstig bleiben: Dafür senken wir die Stromsteuer und übernehmen weitgehend die Netzentgelte.“ Ostermeier, der beruflich die digitale Transformation der BMW-Werke mit vorantreiben will, sei die Energiewende sehr wichtig. „Wir müssen immer mehr Ressourcen sparen und unsere Industrie zu nachhaltigen Geschäftsmodellen umbauen“, so seine Erklärung.

Der gebürtige Ingolstädter klamüsert fröhlich und geduldig sein grünes Wahlprogramm auseinander – welches übrigens in starkem Einklang mit den Ideen Robert Habecks stehe. Gleich im Anschluss, um 14 Uhr möchte man sich zum „Haustürwahlkampf“ aufmachen, darum müssen seine anwesenden Unterstützer besonders gut über den politischen Kurs ihres Kandidaten informiert sein. Das Hauptimageproblem seiner Partei sei heute, als „Verbotspartei“ zu gelten. Das stimme nicht, schließlich verbiete die CDU den Menschen mehr als die Grünen es je getan hätten, stellt Ostermeier klar. Im Wahlkreis München Nord waren die Grünen bei der letzten Bundestagswahl im Jahr 2021 mit 24,2 Prozent der Erststimmen zweitstärkste Partei gewesen. Die Schwesterpartei der CDU, die bayerische CSU hatte die Wahl mit 25,7 Prozent gewonnen.

Ein Grüner oder keiner

„Wir gehen in Zweiergruppen, idealerweise immer eine erfahrene und eine unerfahrene Person zusammen“, übernimmt Ortsverband-Beisitzer Nick Radowsky nun die Organisation der Wahlkampfkampagne. Auf der Leinwand erscheint plötzlich eine Landkarte mit den umliegenden Straßen, gruppenweise in verschiedenen Farben eingekreist. Es werde außerdem die Grünen-App zum Einsatz kommen, kündigt Radowsky an: Zum Eintragen, wie viele Haushalte pro Haus aufgemacht haben, und wie die Reaktion der Bewohner war. Das Ziel: 30.000 Haustüren bis zum Wahltag am 23. Februar 2025 zu erreichen. Auf dem weißen Tisch an der Wand türmen sich schon die grünen Jute-Beutel, mit „Giveaways“ darin – zum Verschenken an der Wohnungstür. Die Beutel zieren Aufschriften wie „Refugees welcome“ und „Nazis raus“. „Unsere Zielgruppe sind die Wechselwähler. Bürger, die zwischen uns und anderen Parteien schwanken. Bei denen können wir durch den Haustürwahlkampf was reißen“, motiviert Radowsky. „Ihr klingelt, geht einen Schritt zurück und lächelt freundlich, denn manchmal sehen die Menschen euch von drinnen durch dieses Guckloch an der Tür. Wenn Kinderschuhe oder Roller vor der Tür stehen, haltet am besten schonmal die Werbe-Buntstifte bereit. Und wichtig ist: Sofort den Flyer ausstrecken, dann wird er meistens genommen.“

Bevor es los geht springt Ostermeier nochmal spontan auf die Bühne. „Seid einfach ihr selber, das wird schon klappen“, sagt er begeistert. „Vergesst nicht: Es gibt im Münchner Norden genau eine Person, die realistische Chancen auf einen Platz im Bundestag hat: mich.“

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