Ein Bundesgericht im US-Bundesstaat Washington hat eine Einigung zwischen dem Staat und den katholischen Diözesen genehmigt, wonach Priester nicht verpflichtet sind, im Beichtstuhl offenbarte Fälle sexuellen Missbrauchs zu melden. Am 10. Oktober hatte das Bundesbezirksgericht Western Distric of Washington in Tacoma festgestellt, dass das Gesetz, das diese Pflicht vorsah, die Religionsfreiheit verletze. Damit ist ein monatelanger Rechtsstreit um das Beichtgeheimnis in dem nordwestlichen US-Bundesstaat beendet.
Die am 14. Oktober bestätigte Vereinbarung beendet die Anwendung eines umstrittenen Gesetzes, das Geistliche zur Offenlegung von Beichten verpflichtet hätte. Opferverbände kritisierten die Entscheidung: Der Staat habe sich dem Druck der Kirche gebeugt, anstatt Kinder zu schützen. Kirchenvertreter argumentierten hingegen, das Beichtgeheimnis sei ein heiliger Bestandteil des Sakraments und seine Verletzung nach kirchlichem Recht ein Grund für die Exkommunikation.
Recht auf freie Religionsausübung gestärkt
„Künftig werden Geistliche im Bundesstaat Washington nicht mehr vor die unmögliche Wahl gestellt, entweder ihre religiösen Gelübde zu brechen oder gegen staatliches Recht zu verstoßen“, sagte William Haun vom Becket Fund for Religious Liberty, einer der Anwälte der Diözesen. Gegenüber dem „National Catholic Reporter“ sprach Haun von einer „wegweisenden Einigung“, die die verfassungsrechtlich garantierte freie Religionsausübung stärke.
Der Erzbischof von Seattle, Paul Etienne, dessen Erzdiözese gemeinsam mit den Bistümern Spokane und Yakima gegen den Staat geklagt hatte, erinnerte seine Priester daran, dass das Brechen des Beichtgeheimnisses mit der Exkommunikation geahndet werde. Robert Barron, Bischof von Winona-Rochester (Minnesota), kritisierte das Gesetz als Ausdruck mangelnden Respekts gegenüber Geistlichen. Der Jesuit John Baldovin, Professor für Theologie am Boston College, sagte, Priester müssten im Zweifel „ins Gefängnis gehen, statt das Gesetz zu befolgen“. Der Beichtstuhl sei „der sicherste Ort der Welt“ – ohne Vertraulichkeit würden Katholiken wohl nicht mehr zur Beichte gehen. Wenn jemand dort Missbrauch gestehe, solle der Beichtvater ihn ermutigen, die Tat selbst anzuzeigen, so Baldovin.
Der Streit begann im Mai, als der demokratische Gouverneur Bob Ferguson ein Gesetz unterzeichnete, das Geistliche verpflichtete, Verdachtsfälle von Kindesmissbrauch zu melden – auch wenn sie ausschließlich in der Beichte offenbart wurden. Während andere Berufsgruppen wie Anwälte oder Psychotherapeuten Ausnahmen genießen, sah das Gesetz keine solche Regelung für Geistliche vor. Das US-Justizministerium reichte daraufhin Klage ein und argumentierte, das Gesetz verstoße gegen den Ersten Zusatzartikel der US-Verfassung, der die freie Religionsausübung schützt.
Kirchenvertreter begrüßen Einigung
Im Juli stoppte der Bundesrichter David Estudillo die Umsetzung durch eine einstweilige Verfügung. Er befand, der Bundesstaat dürfe Priester nicht zu einer Handlung zwingen, die ihrer religiösen Pflicht widerspreche. Im Oktober folgte nun die dauerhafte Einigung: Geistliche bleiben verpflichtet, Missbrauchsfälle zu melden, außer wenn die Information ausschließlich in der Beichte erlangt wurde.
Vertreter der Kirche begrüßten die Entscheidung. Jean Hill von der Katholischen Bischofskonferenz des Bundesstaates Washington erklärte, die Kirche unterstütze den Kinderschutz, habe aber lediglich „eine begrenzte Ausnahme zum Schutz des Sakraments“ gefordert. Mark Rienzi, Präsident des Becket Fund, sprach von einem „Sieg für die Religionsfreiheit“. Die Vereinbarung lasse den Kern des Meldegesetzes bestehen, sichere aber den besonderen Schutz des Beichtgeheimnisses.
Mary Dispenza vom „Netzwerk der Überlebenden von Missbrauch durch Priester“ (SNAP) sprach von einem „Verrat an den Opfern“. Die Entscheidung stelle die Interessen der Kirche über den Schutz von Kindern. Sie kündigte an, die öffentliche Debatte über das Thema fortzuführen: „Wir haben eine Diskussion angestoßen, in der die Menschen das Beichtgeheimnis mehr denn je hinterfragen.“
Die katholischen Bischöfe Washingtons betonten, die Kirche unterstütze seit Langem umfassende Kinderschutzmaßnahmen und Meldepflichten – außerhalb des Beichtstuhls. „Priester wurden im Laufe der Geschichte inhaftiert, gefoltert und getötet, weil sie das Beichtgeheimnis gewahrt haben“, erklärte die Bischofskonferenz. „Die Gläubigen von heute brauchen dieselbe Gewissheit, dass dieses Sakrament frei von staatlicher Einmischung bleibt.“ DT/jg
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