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Hungerkatastrophe in Afrika: Der Staat als Hungertreiber

Die Hungerkatastrophe in Afrika ist vielfach hausgemacht: Falsche politische Entscheidungen, Korruption, zu wenig Sicherheit für Investoren. Eine Analyse.
Marschbefehl für Simbabwes letzte weiße Farmer
Foto: A3077 epa afp (AFPI) | Negative Auswirkungen auf die landwirtschaftliche Struktur hatte auch die Zwangsenteignung von rund 4000 weißen Farmer ab 2000.

Korruption, falsche politische Entscheidungen und fehlende Sicherheit haben mit dazu beigetragen, dass es in Afrika zur Hungerkatasptrophe gekommen ist. Besonders betroffen ist Simbabwe, das früher zu den großen Exporteuren von Grundnahrungsmitteln zählte. Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit muss daraus Konsequenzen ziehen.

Putin nutzt den Hunger als Waffe

Nach mehr als drei Monaten Krieg in der Ukraine ist klar, dass Putins Angriff viel mehr Folgen hat, als das Leid der Bombenopfer und Flüchtlinge am Schwarzen Meer. Eine Verwerfung von globaler Dimension sind vor allem die abrupten Exporteinbrüche bei Grundnahrungsmitteln aus der Ukraine und Russland – vor allem bei Mais, Weizen und Ölsaaten. In vielen Länder des globalen Südens – darunter zahlreiche Staaten Nord-, West- und Ostafrikas – bildeten sie eine zentrale Säule der Versorgung.

Internationale Organisationen wie das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen oder die Welthungerhilfe schlagen Alarm. Auch wird zurzeit hastig versucht, kurzfristig für Entlastung zu sorgen. So haben die G7-Staaten auf Vorschlag der Bundesregierung jetzt ein „globales Bündnis für Ernährungssicherheit“ beschlossen, für das die Weltbank künftig Geld einwerben und internationale Unterstützung koordinieren soll. Eile ist geboten. „Putin nutzt den Hunger als Waffe“, sagt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD).

Globale Solidarität für eine Welt ohne Hunger

Russlands Krieg weckt also auch in dieser Frage ein Stück neue globale Solidarität. Schon Schulzes Amtsvorgänger, der CSU-Mann Gerd Müller, erhob in der vergangenen Legislaturperiode die zentrale Forderung „eine Welt ohne Hunger“, doch es brauchte offenbar die aktuelle Notlage, um tatsächlich ein neues globales Bewusstsein wachsen zu lassen.

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Doch Vorsicht. Bei genauerer Betrachtung stellt sich die Frage, warum nicht schon längst mehr getan wurde, um im globalen Süden mehr Unabhängigkeit von Agrarimporten zu erlangen bei einer, wenn nicht der zentralen Fragen des Lebens – Ernährung. Was im Jargon neuerdings häufig als „Resilienz“ bezeichnet wird, ist im Grunde eines der ältesten Anliegen der Entwicklungszusammenarbeit: die Steigerung von Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Einflüssen durch mehr Selbstversorgung und regionale Kooperation – ein Ansatz im Übrigen, der ganz dem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre entspricht.

Simbabwe könnte Afrikas Kornkammer sein

Vor allem in Afrika drängt sich diese Frage auf, denn dort gibt es manche Staaten, die deutlich mehr für die Versorgung mit wichtigen Agrarprodukten leisten könnten. Das wohl krasseste Beispiel ist Simbabwe. Wenn die Ukraine mit ihren fruchtbaren Schwarzerden jetzt vielfach als Kornkammer der Welt bezeichnet wird, gilt das für Simbabwe zumindest für den afrikanischen Kontinent – wenn da nicht eine seit Jahrzehnten verfehlte Wirtschaftspolitik, ausgeprägter Nepotismus und ausufernde Korruption wären, die aus einem einst hoch leistungsfähigen Agrarstaat das Armenhaus des südlichen Afrikas gemacht haben. Besonders gravierend war der Einbruch der Landwirtschaft infolge der gewaltsam forcierten Zwangsenteignungen von mehr als 4 000 der ca. 4 500 weißen Farmer ab dem Jahr 2000.

Ranghohe Mitglieder der linkspopulistischen Staatspartei ZANU PF eigneten sich die lukrativsten Betriebe an. Afrikanischen Kleinbauern, die weniger fruchtbare Flächen in trockeneren Gebieten zugewiesen bekamen, fehlten oft Geld, Saatgut und Kenntnisse, um Überschüsse für die landesweite Grundversorgung zu produzieren. Die Folge: Seit Jahrzehnten sind große Teile der Bevölkerung auf internationale Nahrungsmittelhilfe angewiesen, im April 2020 laut UN-Angaben schätzungsweise sieben Millionen Menschen.

Simbabwisches Regierungsversagen

Für eine Verschärfung der Notlage hat 2019 der Tropensturm „Idai“ gesorgt und zuvor mehrere Dürren, doch Kern und Grundübel der simbabwischen Misere ist krasses Regierungsversagen. „Viele hochqualifizierte Farmer sind in Nachbarländer ausgewandert“, berichtet der simbabwische Publizist und Jesuit Oskar Wermter im Gespräch mit der Tagespost. „In Sambia etwa hat man keine ideologischen Scheuklappen und empfängt die weißen Simbabwer oft mit offenen Armen.“

Mit Simbabwe fällt ein Land als Produzent aus, das früher großer Exporteur von Getreide und diversen anderen Grundnahrungsmitteln in Afrika war.  Zwar gibt es Ausnahmen – man denke an die simbabwischen Orangen, die es im Sommer in manchen unserer Supermarktketten bei uns zu kaufen gibt –, doch das sind Nischenprodukte zum Devisenerwerb. Satt machen sie nicht. Mehrfach warnte die Welternährungsorganisation der Vereinten Nationen vor einer Hungersnot. 2019 galten 5,7 Millionen Simbabwer (von rund 15 Millionen insgesamt) als extrem arm. Die geringe Nutzung etlicher enteigneter Großfarmen durch die politische Elite trägt eine klare Mitschuld an der prekären Lage. Weder für den inländischen Markt noch für den möglichen Export werden ausreichend Grundnahrungsmittel produziert in einem der furchtbarsten Länder Afrikas - ungeachtet der Schwierigkeiten, die von Pandemie und dem Klimawandel verursacht werden.

Südafrika leidet unter misslungener Landreform

Staatsversagen als Hungertreiber – das gibt es in abgemilderten Varianten auch in anderen Ländern Afrikas. In Simbabwes südlichen Nachbarn Südafrika ist es die aktuelle Landreform, über die seit Jahren schon diskutiert wird. Sie sieht neben der Restitution von Besitzverhältnissen, wie sie vor Einführung des Weiße privilegierenden Bodenrechts von 1913 bestanden, die Umverteilung von Land an Schwarze vor (das rassistische Gesetz von 1913 hatte Schwarzen nur sieben Prozent des landwirtschaftlich genutzten Bodens zugestanden). Seit Jahren schon herrscht eine Kontroverse über die Enteignung agrarisch ungenutzten Landes von Großfarmen und relevante Verfassungsdetails – mit der Folge, dass Tausende oft hoch produktive weiße Farmer ihre Betriebe aufgegeben haben.

Gründe liegen teils auch in verschlechterten klimatischen Bedingungen für die Landwirtschaft (vor allem Wassermangel), doch es sind nicht zuletzt die unsicheren rechtlichen Bedingungen, die agrarische Expertise im großen Stil aus dem Land getrieben hat und treibt. „Eine, wenn nicht die zentrale Voraussetzung für stabile landwirtschaftliche Produktion sind gesicherte Eigentumsverhältnisse. Eigentlich ist es banal: Ich kann keine Hochleistungen von jemanden erwarten, der damit rechnen muss, sein Eigentum zu verlieren“, sagt Oskar Wermter. Zwar gebe es im christlichen Verständnis kein absolutes Recht auf Land, denn es gehört – als eine dem Menschen gegebene Grundressource – allen. Doch wer in die Landwirtschaft investiert, brauche Sicherheit, egal ob als Kleinbauer oder Großfarmer. „Das sind oft große Betriebe mit viel Technik und hohen Kosten, wenn es zum Beispiel um die Aussaat zu Beginn der Saison geht.“

Pragmatische Lösungen sind gefragt

Das Thema Land spielt in Afrika seit jeher eine zentrale Rolle, zum Teil ist es auch aufgeladen mit diversen mythologischen und religiösen Vorstellungen. Fest steht auch, dass die Kolonialisierung in fast allen Teilen des Kontinents zu massiven Fehlentwicklungen und himmelschreienden Ungerechtigkeiten geführt hat, die vielerorts bis heute bestehen. Wie konnte es sein, dass sich in Süd-Rhodesien, dem heutigen Simbabwe, eine relativ kleine Schar weißer Siedler alles an fruchtbarem Land unter den Nagel reißen konnte? Bei allem Verständnis für den historischen Kontext bleiben doch Fragen offen, denn Diebstahl war auch schon im 19.Jahrhundert kein Kavaliersdelikt. Auch die Kirche zog hier vielfach mit.

Dennoch: Angesichts der großen neuen Risiken wie Klimawandel, Kriegsgefahren, Krankheiten sind heute vor allem pragmatische Lösungen gefragt:  Wie kommt braches Ackerland schnell der Versorgung zugute? Darauf ist eine Antwort zu finden. Das ist die Hausaufgabe, die vor allem vor Ort erledigt werden muss. Aber auch in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sollte dies Punkt offener angesprochen werden. Fraglich, ob Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) es bei seiner Afrikareise vor zwei Wochen  getan hat. Wenn es so war, dann wurde  eine Chance vertan.

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