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Hallo Bürgerrat, adé Volksentscheid

Plauderstunde mit Veganerquote: Was der Regierung zur „Weiterentwicklung der Demokratie“ einfällt, zeugt nicht von Vertrauen in die Regierten
Sollen Sie doch Kuchen Essen: Marie Antoinette
Foto: United Archives / kpa Publicity via www.imago-images.de | Von den Ernährungsgewohnheiten der "stillen Mehrheit" hatte Sie wohl auch keine Ahnung: Marie Antoinette. Ob eine "Weiterentwicklung" mittels Bürgerräten wohl das Vertrauen in die absolutistische Monarchie gestärkt ...

„Dann sollen sie Kuchen essen“, soll Marie Antoinette einer beliebten Legende zufolge gesagt haben, als ihr berichtet wurde, das Volk habe nicht genug Brot. Zu Süßgebäck würde die Ampelregierung, die bekanntlich der ungesunden Ernährung den Kampf angesagt hat, wohl nicht raten. Mehr Einblick in die realen Ernährungsnöte des Volkes als die unglücklich agierende französische Königin scheint sich die Berliner Ampel aber auch nicht zuzutrauen. Anders ist nicht zu erklären, warum sie im Mai die Einrichtung eines „Bürgerrates“ zum Thema „Ernährung im Wandel“ beschlossen hat. Oder ging es etwa nur darum, für ein pseudodemokratisches Schaufensterprojekt irgendein hinreichend unwichtiges Thema zu finden?

Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die vergangene Woche die Ehre hatte, die 160 „Teilnehmenden“ des Rates aus einem Pool mehr oder weniger zufällig ausgewählter Bundesbürger auszulosen, lobte anschließend das nun einsatzbereite neue Instrument: Es sei „auch wichtig, dass die Demokratie sich weiterentwickelt“. Die durch die zufällige Auswahl (und die Veganerquote) zu erwartende Meinungsvielfalt im neuen Gremium bereichere die Demokratie und verschaffe „denen eine Stimme, die wir immer so als ,stille Mehrheit’ bezeichnen“. Ab September soll der Bürgerrat über die Rolle des Staates bei der Sicherstellung gesunder und nachhaltiger Ernährung beraten. Nach dem Willen des Bundestags etwa über die Frage, wie die Bürger „bei Kaufentscheidungen im Hinblick auf eine gesunde Ernährung besser unterstützt werden“ können. Am Ende soll dann ein „Bürgergutachten“ entstehen, von dem sich das Parlament inspirieren lassen kann – oder auch nicht.

Harmlose Plauderei statt direktdemokratische Mitbestimmung

Dass man sich in Berlin bisweilen schwertut einzuschätzen, was die „stille Mehrheit“ wohl von der Regierungspolitik hält - okay. Dass man sich dann aber doch dafür interessiert, die eigene Abgehobenheit im Hinterkopf hat – gut! Hier ist die Fortschrittskoalition dem Ancien Regime eindeutig einen Schritt voraus. Problematisch an der Idee des „Bürgerrates“ ist vielmehr, dass dieses ach so „partizipative Element“ die Legitimität des politischen Systems schon deswegen nicht stärken kann, weil es keinerlei Konsequenzen hat. Was wiederum genau die die Absicht gewesen sein dürfte. Denn während die Idee des Bürgerrats in den letzten Jahren eine steile Karriere hingelegt hat, ist dafür ein anderes Projekt still und heimlich beerdigt worden: die Einführung echter direktdemokratischer Verfahren (vulgo Volksentscheide) auf Bundesebene. Noch zur Bundestagswahl 2017 forderten SPD, Grüne, CSU und die Linke diese in ihren Wahlprogrammen -  2021 keine der genannten Parteien mehr. Die FDP entledigte sich der Idee bereits nach 2013. Nur die AfD fordert sie auch jetzt noch.

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Der neue Bürgerrat dokumentiert damit eine doppelte Tragik: einerseits die ja zutreffend wahrgenommene Notwendigkeit, „das Vertrauen (der Bürger) in die etablierten Institutionen“ mit neuen Methoden „zu stärken“ (Bas). Und andererseits eine Krise des Vertrauens der Parteien in die Bürger. Über Fragen der Bundespolitik das Volk direkt entscheiden zu lassen, das können sich diejenigen, die derzeit mithilfe der „etablierten Institutionen“ mehr oder weniger komfortabel regieren, scheinbar gar nicht mehr vorstellen. Doch dieses Misstrauen, das sich nun im Ersatzprojekt „Einrichtung von Bürgerräten zu mittelmäßig kontroversen Fragestellungen“ spiegelt, dürfte dem Vertrauen in die parlamentarische Demokratie gerade nicht zuträglich sein. Um es mit Marie Antoinette zu formulieren: Am Ende ein ziemlich kopfloses Unterfangen.

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