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Grüner Blackout

Das Festhalten am Atomausstieg inklusive „Reservebetrieb“ ist ein riskantes Spiel für die Grünen und eine teure Zumutung für die deutschen Bürger.
Wirtschaftsminister Robert Habeck 2013
Foto: Markus Scholz (dpa) | Damals war die grüne Welt noch in Ordnung: Wirtschaftsminister Robert Habeck spricht 2013 auf einem Sonderparteitag von Bündnis 90/Die Grünen zum Thema «Zwischenlagerung von Atommüll in Brunsbüttel».

Seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar sind in Europa schon einige eherne Gewissheiten in Rauch aufgegangen. Zuletzt war angesichts der beängstigenden Preisentwicklung an den Strommärkten auch der angebliche Konsens über den deutschen Atomausstieg arg unter Beschuss gekommen. So lagen zwischen „wir haben ein Gasproblem, kein Stromproblem“ (Robert Habeck) und dem wesentlich unspezifischeren „Der Elefant, der im Raum steht, ist doch die Energiefrage“ (Annalena Baerbock) nur etwa eineinhalb Monate und ein verdreifachter Strompreis am Spotmarkt. So sickerte schließlich auch bei der Anti-Atom-Partei ein, dass aus Gas Strom hergestellt wird, weshalb der Strompreis beim gegenwärtigen Marktdesign vom Gaspreis abhängig ist.

Grüne laufen Gefahr, im Regierungs-Stresstest durchzufallen

Eine Blickweitung, die Hoffnung machen könnte. Doch während sich Außenministerin Baerbock nach dem endgültigen russischen Gaslieferstop berechtigte Sorgen um die europäische Solidarität in der Energieversorgung macht, mag Wirtschaftsminister Habeck die ideologischen Scheuklappen noch nicht vollständig abnehmen. Ein ausweislich des jüngsten Stromnetz-„Stresstests“ riskantes Spiel, rät das Gutachten doch zur Nutzung aller Möglichkeiten, um eine Strommangellage zu verhindern.

Stattdessen wird eisern am Atomausstieg, für den die Grünen so lange und hingebungsvoll gekämpft haben, festgehalten. Lediglich zwei der drei letzten Atomkraftwerke sollen in einer Art Reservebetrieb gehalten werden. Völlig unklar ist, ob dadurch wirklich schnell genug auf eine Strommangellage reagiert werden kann. Damit sind die Grünen in ernsthafter Gefahr, im Regierungs-Stresstest durchzufallen. Doch nicht nur wäre ein Blackout im Winter tatsächlich ein GAU für die Industrienation Deutschland. Es ist auch schwer vorstellbar, dass der Wähler explodierende Strom- und Gaspreisrechnungen an der Wahlurne honorieren wird, wenn diese noch durch eine unnötige Verknappung des Stromangebots unweigerlich nach oben getrieben werden. Und in Hinblick auf die von Putin so erbarmungslos unter Druck gesetzte europäische Energiesolidarität möchte man meinen, Atomkraft könnte einen Beitrag zur Geschlossenheit leisten. Womöglich haben die Franzosen ja keine Lust, im Winter nur noch fünf Minuten zu duschen, weil Deutschland ihren Atomstrom braucht, den es selbst nicht bereitstellen will.

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Keine Prinzipientreue, sondern Realitätsverweigerung

In der Gesundheitspolitik mag ein Festhalten an nicht mehr sinnvoll begründbaren Corona-Maßnahmen, nur um keinen Irrtum zugeben zu müssen, noch halbwegs bezahlbar sein. In der Energiepolitik wird derartige deutsche Sturheit im machtpolitischen K.O. enden, für die Grünen, wie auch für Europa.

Konrad Adenauer wird gemeinhin der Satz „Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern“ zugeschrieben. Verbrieft ist nur der hinzugefügte Halbsatz „es kann mich doch niemand daran hindern, jeden Tag klüger zu werden“. Nun wünschen wir uns Prinzipientreue von unseren Politikern. Für die derzeitige grüne Energiepolitik passt allerdings das Label „Realitätsverweigerung“ besser. Langsam wäre der Zeitpunkt gekommen, das Anti-Atom-Geschwätz der letzten 40 Jahre hinter sich zu lassen, und sich der politischen Flexibilität zu erinnern, die der erzkatholische Kanzler Adenauer, sicher kein Mann fehlender Prinzipien, an den Tag legte. Schließlich wollte Habeck ja eigentlich ebenfalls Kanzler werden. Vorher hat er noch einige Tage, um klüger zu werden. Zu viel Zeit sollte er sich nicht lassen.

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