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Die schwarz-weiße Welt des Bibi Netanjahu

Israels Regierungschef lehnt das Ziel Zweistaatenlösung grundsätzlich ab und rechtfertigt seinen Kriegskurs auf der Weltbühne in New York. In Washington sieht man den Nahen Osten jedoch differenzierter.
Außenpolitikkorrespondent Stephan Baier, Benjamin Netanjahu vor der UN
Foto: IMAGO / Xinhua / DT | Nein zur Zweistaatenlösung: Benjamin Netanjahu vor den Vereinten Nationen in New York.

Für Israels Regierungschef war es die Stunde der Abrechnung. Benjamin Netanjahus Auftritt vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen am Freitag in New York teilte die westliche Welt in zwei klare Lager: auf der einen Seite der tapfere Löwe Israel mit seinen heroischen Soldaten sowie der verständige Staatsmann Donald Trump, auf der anderen Seite die Naiven und Feigen, die nicht verstehen wollen oder können, dass Israel auch ihre Schlacht schlägt und ihre Sicherheit verteidigt. Der Iran, Syrien, die Hisbollah, die Hamas und die Huthis hätten nicht alleine Israel, sondern auch Europa und Amerika bedroht, so der stolze Kriegsherr Netanjahu, der sicherheitshalber auf einer Schautafel die militärischen Erfolge seiner Regierung visualisierte.

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Für jene westlichen Staaten, die in den vergangenen Tagen eine palästinensische Staatlichkeit anerkannten – darunter auch Großbritannien, Frankreich, Kanada und Australien –, hatte Netanjahu nur Vorwürfe: Sie hätten der Welt eine klare Botschaft gesandt: „Juden zu ermorden zahlt sich aus.“ Natürlich weiß Netanjahu, dass die Anerkennungswelle dieser Woche eine ohnmächtige, verzweifelte Reaktion auf das Leid der Menschen im Gazastreifen und auf die systematische Zersiedelung des Westjordanlandes ist. Doch für Hunger und Tod im Gazastreifen macht der israelische Regierungschef einzig und allein die Hamas verantwortlich, nicht etwa die eigene Kriegsführung.

Nein zur Zweistaatenlösung

Netanjahu, der in New York vor einem halbleeren Saal sprach, weil zahlreiche Delegationen zu Beginn seiner Rede unter Protest den Raum verließen, hat deutlich gemacht, dass er keinerlei Kompromiss sucht: natürlich nicht mit den Hamas-Terroristen, aber auch nicht mit der Palästinensischen Autonomiebehörde unter Mahmud Abbas oder mit irgendeiner anderen Repräsentanz der Palästinenser. Vor und während seiner Rede hat Netanjahu das Ziel eines souveränen Palästinenserstaates neben Israel unmissverständlich zurückgewiesen. Den Palästinensern nach den Geschehnissen vom 7. Oktober 2023 einen Staat zu geben, das sei so, als hätte man Al-Kaida nach 9/11 einen Stadtteil von New York gegeben, höhnte er. „Wir werden das nicht zulassen!“

Für dieses kategorische Nein, das das international seit mehr als zwei Jahrzehnten angestrebte Ziel einer Zweistaatenlösung torpediert, nannte Netanjahu im Wesentlichen drei Argumente: Im Gazastreifen habe es einen Palästinenserstaat gegeben, doch der habe nur Terror hervorgebracht; die Palästinenser hätten zu 90 Prozent den Terrorangriff vom 7. Oktober 2023 begrüßt; und auch die Palästinensische Autonomiebehörde sei total korrupt und lehre den Hass gegen Israel. Das Nein zu einem eigenständigen Palästinenserstaat sei nicht ein Alleinstellungsmerkmal seiner Regierung, sondern das Nein des Staates und des Volkes von Israel, erklärte Netanjahu.

Trump will eine Einigung zu Gaza

Doch auch wenn Differenzierungen im Krieg immer schwerfallen: So schwarz-weiß ist weder die israelische Gesellschaft noch die nahöstliche Wirklichkeit, und auch nicht die Weltpolitik. Donald Trump, der letzte starke Verbündete der Regierung Netanjahu, hat das offenbar verstanden: Der US-Präsident beriet sich in New York mit Spitzenvertretern aus Nahost und will nach eigenem Bekunden nun „eine Einigung zu Gaza“ und einen „dauerhaften und langfristigen Frieden“.

Beides wäre im Interesse Israels, setzt aber eine Verständigung Israels zumindest mit einem Teil seiner regionalen Nachbarn voraus. Ob Netanjahu zu so viel Differenzierung noch bereit und in der Lage ist, wird sich erst nach seinem Treffen mit Donald Trump am Montag im Weißen Haus zeigen. 

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