Papst Leo XIV. besucht in wenigen Tagen den Libanon. In welchem Zustand wird er das Land der Zedern vorfinden?
Wirtschaftlich ist die Lage nach wie vor desolat. Es herrschen hohe Arbeitslosigkeit, Inflation und Kaufkraftverlust. Aber politisch ist eine gewisse Stabilisierung eingetreten. 2019 war die Bankenkrise auf dem Höhepunkt, wegen der Treibstoffkrise drohten in Krankenhäusern die Einstellung lebenserhaltender Maßnahmen, weil die Notstromsysteme nicht mehr gesichert waren, an den Tankstellen gab es keinen Sprit. Gemessen daran hat sich etwas stabilisiert. Der neue Präsident, der frühere Oberbefehlshaber der Streitkräfte Joseph Aoun, gilt als integer, und seine Wahl gibt Hoffnung. Möglich wurde sie, weil die schiitische Hisbollah-Miliz durch die gezielten Tötungen ihrer Führungskader durch die israelische Armee massiv geschwächt wurde. Zuvor war die Hisbollah wie ein Staat im Staat und konnte die Wahl eines Staatspräsidenten wegen eigener Interessen lange verhindern. Nun haben der Präsident und das Parlament auf US-amerikanischen Druck der libanesischen Armee den Auftrag gegeben, die Hisbollah bis Jahresende zu entwaffnen.
Zunächst zur wirtschaftlichen Situation. Noch vor Kurzem wollte praktisch jeder emigrieren. Hat sich das verbessert?
Nach wie vor wollen hier viele weg, aber es ist nicht mehr ganz so intensiv. Vor wenigen Jahren war der Staat so pleite, dass er Reisepässe nur gegen die Vorlage eines gültigen Flugtickets ausgestellt hat. Damals beantragten jeden Tag Hunderte Junge und Gebildete einen Pass, um auszuwandern. So extrem ist es nun nicht mehr, aber viele wollen angesichts der multiplen Krise einfach weg. Zumal es wohl kaum eine libanesische Familie ohne Verwandte im Ausland gibt. Europa wurde bei der Aufnahme von Ausländern mittlerweile sehr restriktiv, mit Ausnahme von Frankreich, das zum Libanon besondere historische Beziehungen pflegt.
Der Kollaps von Wirtschaft und Währung hatte ja mit einem Totalversagen der korrupten politischen Elite zu tun. Wie ist erklärbar, dass es mit dem neuen Präsidenten zu einem hoffnungsstiftenden Neuanfang kam?
„Natürlich ist die schwierige Entwaffnung
und Entmachtung der Hisbollah eine Voraussetzung
für die dringend notwendigen ausländischen Investitionen"
Wie so oft kommt der neue Präsident aus der Armee, die im Volk ein hohes Ansehen genießt. Präsident Aoun ist ein Glücksgriff, und auch viele neue Minister sind kompetente Beamte gewesen, gehören aber nicht den führenden Clans an. So ist etwa die neue Sozialministerin auf internationaler Bühne tätig gewesen und hat ein ganz anderes Niveau als ihre Vorgänger. Natürlich ist die schwierige Entwaffnung und Entmachtung der Hisbollah eine Voraussetzung für die dringend notwendigen ausländischen Investitionen. Die Hisbollah, die ja Miliz und zugleich Partei ist, will das natürlich verhindern. Immerhin gelingt es mittlerweile, dass die Armee die Waffen in den palästinensischen Flüchtlingslagern einsammelt. Das ist eine positive Entwicklung.
Wenn sich die Hisbollah der Entwaffnung widersetzt, droht dann eine Neuauflage des Bürgerkriegs?
Jedenfalls kann es zu Gewalt kommen. Dem Land jedenfalls würde es guttun, wenn die libanesische Armee wieder das Gewaltmonopol hätte und der Staat seine Gesetze auch durchsetzen könnte. Lange Zeit war die Hisbollah stärker als die Streitkräfte, doch nun ist sie geschwächt. Der Iran, der Millionen an die Hisbollah gegeben hat, hat derzeit andere Sorgen und nicht die Mittel, die Hisbollah stark zu fördern.

Zeigt das nicht, in welchem Maß der Libanon ein Austragungsort fremder Konflikte und Machtspiele ist?
Er war schon immer eine Spielwiese ausländischer Mächte. Jetzt geht es Syrien ganz ähnlich. Der Libanon ist so klein, so schwach und so zersplittert, dass er ein ideales Einfallstor anderer Interessen ist. Saudi-Arabien etwa ist der größte Geldgeber. Israel hat noch nicht alle Positionen im Südlibanon geräumt, weil es wegen der Hisbollah präsent bleiben will.
Um die Interessen von Christen, Sunniten und Schiiten auszutarieren, ohne dass eine Bevölkerungsgruppe die andere dominieren kann, herrscht im Libanon ein Proporzsystem. Diesem zufolge muss der Präsident immer maronitischer Christ, der Regierungschef Sunnit und der Parlamentspräsident Schiit sein. Funktioniert das noch?
Auch der Generalstabschef war stets Christ. Zunächst ist der Libanon von den Franzosen so konzipiert worden, dass er inmitten einer muslimischen Region als sichere Heimstatt für die Orient-Christen diente. Dieses System hat natürlich die Diversität des Libanon ausgemacht, aber umgekehrt auch zum Klientelismus beigetragen. Der christliche Bevölkerungsanteil ist immer weiter zurückgegangen. So gesehen sind die Christen im Parlament heute überproportional vertreten.
Was könnte oder sollte die Botschaft von Papst Leo XIV. sein, wenn er sich in Beirut an die Vertreter von Politik und Zivilgesellschaft wendet?
Der Libanon soll seine Pluralität und Vielfalt, die schon Papst Johannes Paul II. hochgeschätzt hat, bewahren. Gleichzeitig muss der Kampf gegen die Korruption weitergehen, denn der Egoismus der sogenannten Eliten hat das Land in die Katastrophe geführt. Der Papst könnte das Gemeinwohl in den Mittelpunkt rücken.
Und über den Libanon hinaus? Er kann sich ja von Beirut aus an die Christen im gesamten Orient wenden.
„Die christliche Blase im Orient wird immer kleiner.
Das hat auch Folgen für die Gesellschaften"
Die demografischen Zahlen sind desaströs. Wir haben in allen Ländern der Region eine dramatische Abwanderung der Christen. Im Irak und in Syrien stellten die Christen vor den jeweiligen Konflikten etwa zehn Prozent der Bevölkerung. Heute sind im Irak nur noch rudimentäre Reste übrig, die sich im kurdischen Norden konzentrieren. In Syrien sind heute 1,5 Prozent vermutlich hoch gegriffen. Die christliche Blase im Orient wird immer kleiner. Das hat auch Folgen für die Gesellschaften, weil Christen im sozialen Bereich stets überrepräsentiert waren – im Wissen, dass die Muslime in zwei Bereichen den Christen vertrauen, nämlich bei Schulen und Krankenhäusern. Dazu kommt, dass die Christen mit allen gut können: Christen können mit Sunniten, Schiiten oder Drusen zusammenleben. Damit wurden sie zu einem verbindenden Element.
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