Während das politische Berlin noch in der Sommerpause ist und viele Abgeordnete Urlaub machen, meldete sich in dieser Woche einer zu Wort, der lange das Geschehen in der Hauptstadt bestimmt hat: Gerhard Schröder, Alt-Kanzler und mittlerweile so etwas wie der „Elder Statesman“ unter den Putin-Verstehern. Schröder scheint nach der Devise zu leben: Ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert. In einem Exklusiv-Interview mit der Illustrierten „Stern“ gab sich der frühere Bundeskanzler wie immer: Lautstark und selbstverliebt.
Keine Entschuldigung
Während in der Ukraine die Menschen unter dem russischen Angriffskrieg leiden und sterben, ließ sich der einstige Brioni-Kanzler im Sommeranzug in seiner Hannoveraner Kanzlei ablichten und diktierte den Journalisten ins Blatt, warum er keinen Grund sähe, mit seinem Freund Wladimir Putin zu brechen: „Ich habe mehrfach den Krieg verurteilt, das wissen Sie: Aber würde eine persönliche Distanzierung von Wladimir Putin wirklich etwas bringen?“, fragte er rhetorisch.
Und weiter: „Muss ich denn über jedes Stöckchen springen, das mir hingehalten wird? So bin ich nicht. Ich habe die Entscheidungen getroffen, und dazu stehe ich, und ich habe klar gemacht: Vielleicht kann ich noch mal nützlich sein. Warum soll ich mich also entschuldigen?“ Gerade erst sei er in Moskau gewesen, habe mit dem Verantwortlichen für den Energiebereich gesprochen – und natürlich auch mit Putin selbst. Seiner Meinung nach solle Nord Stream 2 in Betrieb genommen werden. Und überhaupt sei sein Eindruck: Der Kreml sei bereit zu einer Verhandlungslösung.

Wie von Schröder zu erwarten
Wer Schröders bisherige Einlassungen kannte, den werden diese neuen Aussagen nicht überraschen. Anderes war von ihm nicht zu erwarten. Trotzdem ist es immer noch erschütternd, wie ein ehemaliger Bundeskanzler hier daran arbeitet, sein Bild in der Geschichte zu demontieren. Der Mann, der als Kanzler immerhin einen „Aufstand der Anständigen“ forderte (damals gegen den Rechtsradikalismus gerichtet), beklagt sich heute über zu viel moralische Empörung. Eben immer so wie es gerade passt.
Aber was treibt den 78-Jährigen jetzt um? Geht es ihm nur um eine Fortsetzung der „Gerd-Show“? Will der Alt-Kanzler bloß sein Ego streicheln, indem er sich wichtigmacht und als möglichen Vermittler ins Spiel bringt? Oder steht Schröder unter Druck? Einer entsprechenden Frage weicht er im Interview aus. Die britische Russland-Expertin Catherine Belton hat behauptet, der Kreml habe Schröder in der Hand. Habe er tatsächlich Angst vor dem russischen Machtapparat, wollen die „Stern“-Journalisten wissen. Der Alt-Kanzler blockt ab. Das sei doch verrückt. Leider haken Stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz und RTL-Politikchef Nikolaus Blome im Interview nicht weiter nach. Ein verpasste Chance.
Lob von ganz außen
Und noch eine andere Frage steht im Raum: Glaubt Schröder, dass er durch solche Interviews die öffentliche Meinung in Deutschland drehen kann? Und welche Hoffnungen setzten hier seine Freunde im Kreml auf ihn? Auffällig ist, wer Schröder applaudiert: Lob gab es von der Linkspartei und der AfD. Tino Chrupalla nannte Schröder gar einen „guten Patrioten“. Wächst hier zusammen, was zusammengehört? Dass sich in der Russland-Frage neue Querfronten zwischen links und rechts bilden, ist schon seit längerem zu erkennen. Entsteht hier ein neues politisches Projekt – mit Schröder als Ehrenpräsident? Im Kreml reibt man sich vielleicht schon die Hände.
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