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Rundgang durch das Jüdische Museum Berlin

Von Einstein bis zur Kabbala: Ein Rundgang durch das Jüdische Museum Berlin.
Jüdische Museum Berlin: Jesus wird neben anderen jüdischen Persönlichkeiten gewürdigt.
Foto: RT | Der Messias eher nicht, aber doch eine religiöse Ausnahmegestalt: Jesus wird neben anderen jüdischen Persönlichkeiten gewürdigt.

Sind Sie der Messias?“. Diese Frage steht auf einer sogenannten Mitmachmaschine in der neuen Dauerausstellung des Jüdischen Museums Berlin (JMB). Nun können 12 Fragen mit einem Schieberegler mit JA oder NEIN beantwortet werden. Darunter sind theologische Fragen, wie „Sind Sie sicher, dass Moses die Heilige Schrift am Berg Sinai von Gott erhalten hat?“ aber auch sehr profane, wie „Trainieren Sie regelmäßig in einem Fitnessstudio?“ oder „Sind Sie ein Mann?“.

Diese etwas seltsame Maschine erwartet man in der Ausstellung des größten und bedeutendsten jüdischen Museums der Bundesrepublik ebenso nicht, wie eine raumfüllende Installation von Anselm Kiefer (Jg. 1945) mit dem Titel „Schwerirat ha-Kelim“ (Bruch der Gefäße). Die Bleiplatten und zerborstenen Glasscheiben sind eine Interpretation Kiefers auf das kosmische Konzept der Kabbala, jener mittelalterlichen mit Zahlen- und Buchstabendeutung verwobenen mystischen Geheimlehre. Über allem steht in einem Halbkreis der Name des unendlichen Gottes. Für den Künstler ist die Schöpfung nicht makellos, sondern beinhaltet von Anbeginn auch das Böse, Unvollkommene und die Möglichkeit zur Umkehr.

Besucher sollen mitmachen

Die wieder eröffnete Dauerexposition im JMB besteht eigentlich aus vielen kleinen Ausstellungen. Es gibt Abteilungen zum Hören, zum Sehen, zum Mitmachen und natürlich auch viel zum Lesen.

Mitmachen können die Besucher gleich am Beginn, wenn sie aufgefordert werden, einen grünen Zettel in Form eines Blattes auszufüllen und darauf ihre Wünsche zu schreiben. Diese Wunschblätter kommen dann an einen Baum, bevor der Rundgang mit den frühesten Zeugnissen des Judentums in Deutschland beginnt. Erklärt wird mit Modellen, Bildern und Schautafeln die Herkunft der „Aschkenasim“ in Europa und Deutschland. Es ist bis heute die größte ethno-religiöse Gruppe im Judentum.

Ecclesia und Synagoga

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Dann steht man vor zwei jungen Frauen: Ecclesia und Synagoga. Die zwei figürlichen Repliken aus Gips stammen aus Bamberg und sind einige Jahrhunderte alt. Um 1235 wurden sie für ein Gotteshaus geschaffen. Die eine der schönen Frauen – Ecclesia - trägt eine Krone. Synagoga hingegen sind die Augen verbunden. Die aus heutiger Sicht fragwürdige Botschaft verstanden auch die schriftunkundigen Menschen des Mittelalters: Siegreich ist Ecclesia, also die christliche Kirche. Synagoga, das Judentum, verweigert sich der Wahrheit.

„Auch Juden werden Deutsche“, ist eine weitere Abteilung überschrieben. Hier sind die Besucher bereits in der Epoche der Aufklärung angekommen. Große Leuchttafeln über den Köpfen strahlen Botschaften aus: „Die Menschen bleiben von Geburt Frei und Gleich an Rechten“ ist von der einen Seite zu lesen. Geht man weiter und schaut von der Rückseite auf das Schriftband, liest man zum Beispiel „Die Juden als Juden passen nicht in diese Welt und in diese Staaten hinein, und darum will ich nicht, dass sie auf eine ungebührliche Weise in Deutschland vermehrt werden.“

Auch die Frauen werden gewürdigt

Gottlob, möchte man fast ausrufen, folgen diesen demagogischen Aussprüchen antisemitischer Intellektueller, eine Bildergalerie mit den führenden jüdischen Köpfen des 18.und 19.Jahrhunderts. Wie beispielsweise Marcus Elisier Bloch (1723 – 1799), einem heute fast vergessenem Naturforscher. Er war Begründer der modernen Fischforschung. Sein Porträt in Öl auf Leinwand wurde aus dem Depot des Israel Museums in Jerusalem entliehen. Bis 1938 befand sich das Gemälde in der Sammlung des Berliner Jüdischen Museums.

Natürlich gibt es eine Reihe von Porträts (als Büste oder Bild) von Moses Mendelssohn (1729 – 1786), dem „Sokrates von Berlin“ und anderen jüdischen Intellektuellen jener Zeit. Etwas später treffen wir auf Theodor Herzl, den Begründer des Zionismus und seine Forderung nach einem jüdischen Nationalstaat, wie er heute mit Israel existiert. Herzl sind eine Reihe von Exponaten in der Ausstellung gewidmet.

Frauen im geistlichen Amt

Neu hingegen und bislang in vielen Ausstellungen über die Geschichte des Judentums sträflich vernachlässigt, ist die Rolle von Frauen im geistlichen Amte. In Berlin sind an einer Schauwand Fotografien der ersten Rabbinerinnen in diversen Ländern zu sehen: von Regina Jonas (1902 – 1944 ermordet in Auschwitz) bis zur Schweizerin Bea Wyler über Elisa Klapheck oder Alina Treiger. Es ist an der Zeit, dass jüdische Frauen und ihre Pionierleistungen gewürdigt werden – auch wenn auch wenn die Fotos plus ein Schaukasten, in dem bunte Kippot ausgestellt sind, die einige von ihnen zu ihrer Ordination trugen, sicher nur ein erster Anfang ihrer zunehmend wichtigeren Rolle sind.

Beeindruckend ist die dann folgende Gemäldesammlung von jüdischen Malern und Zeichnern. Hier gibt es Werke von Max Liebermann, Jankel Adler, Lesser Ury und Felix Nussbaum, um nur die bekannteren Künstler zu nennen. Sehr schön ist das Porträt „Petermännchen“ von Lovis Corinth. Es stellt seine jüdische Ehefrau Charlotte dar, die 1938 in die USA emigrierte. Von jüdischen Pfadfindern hingegen haben viele Besucher bis dato kaum gehört. Doch das großformatige Gemälde von Erwin Singer von 1932 zeigt sie im Gleichschritt mit Kluft, Fahne, Rucksack und Trommel.

Renaissance der jüdischen Kultur

Filmemacher und Schauspieler läuteten in der Weimarer Republik eine Renaissance der jüdischen Kultur mit ein, wie große UFA-Plakate von „Der Kongress tanzt“ oder „Der blaue Engel“ in einem Nachbau eines Kinosaales aus den 20er Jahren zeigen. Dazu gibt es einen zusammengeschnittenen Film mit verschiedenen originalen schwarz-weißen Aufnahmen aus jenen Jahren. Die Exposition bietet viele neue Perspektiven auf die fast 1700 Jahre alte deutsch-jüdische Geschichte. Es geht um Zugehörigkeit und Ausgrenzung, Einblicke in die jüdische Kultur und Tradition und neben der Schoa und dem Holocaust auch um die Gegenwart jüdischen Lebens in Deutschland. Mit 18, 6 Millionen Euro unterstützte die Bundesregierung die von 17 Kuratoren verantwortete Ausstellung, in deren Zentrum die Beziehung von Juden zu ihrer christlichen und zunehmend säkularen Umwelt steht. Die gut 1 000 Objekte sind in sogenannten Epochenräumen, wie die oben erwähnten Aschkenas, die Frühe Neuzeit oder die Zeit der Katastrophe von 1933 bis 1945 eingegliedert. In Themenräumen hingegen stehen die Tora, Gebot und Gebet oder die Frage „Was ist heilig im Judentum?“ im Mittelpunkt. Was der Schabbat bedeutet, kann man nicht nur sehen und lesen, sondern mit liturgischen Gesängen auch hören.

Verbeugung vor bekannten jüdischen Persönlichkeiten

Die Perfidie des bürokratischen Judenhasses in Nazideutschland zeigen 962 antijüdische Verordnungen, die als lange Fahnen von der Decke hängen. Sehr traurig und berührend sind auch einige originale Abschiedsbriefe von Menschen, die ahnten und wussten, dass ihre Deportation nach Theresienstadt oder Auschwitz ein Abschied für immer sein wird. Einige schieden vorher durch Freitod aus dem Leben.

In der „Hall of Fame” mit comicartigen Porträtzeichnungen von Andree Volkmann gibt es eine Verbeugung vor bekannten jüdischen Persönlichkeiten, von Albert Einstein über die Marx-Brothers, Amy Winehouse bis hin zu JESUS. Mit der modernen Video-Installation „Mesubin“ („Die Versammelten“) endet der Rundgang durch das Jüdische Museum in Berlin. Es ist ein würdiger Schlusschor, der die aktuelle und bunte Vielstimmigkeit des jüdischen Lebens in Deutschland eindrucksvoll vor Ohren und Augen führt.

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