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Der „Sinnfluencer“

Der Kapuzinerbruder Julian aus Münster nutzt die sozialen Medien für eine neue Form der Mission.
Bruder Julian
Foto: GF | Im digitalen Netz unterwegs mit Christus: Bruder Julian.GF

Ja, das ist eine Form der Mission“, betont Bruder Julian, „und eine sehr erfolgreiche“. Der 25-jährige Kapuziner aus Münster ist in den sozialen Medien als „Sinn- oder Christfluencer“ aktiv – und steht damit in der katholischen Kirche ziemlich allein da. „Ich bin bekannt und werde gehypt, aber eigentlich ist das für die Kirche ein Armutszeugnis“, bleibt der sympathische Theologiestudent realistisch. „Unter den Blinden ist der Einäugige König.“ Über 4 000 Follower zählt er bei Instagram, davon 1 500, die sich richtig aktiv Zeit nehmen. Dadurch erreicht er viele Leute, die der Kirche distanziert gegenüberstehen, junge Männer werden angeregt, sich für ein Ordensleben bei den Kapuzinern zu interessieren, neue Kontakte sind entstanden. „Was ich mache, zeigt beispielhaft, welche Kommunikation die Kirche heute braucht“, unterstreicht er. „Der Glaube kommt immer auf zwei Beinen, wie Bischof Felix Genn einmal gesagt hat.“

Pastoralreferent zu werden, reichte ihm nicht

Julian Kendziora wurde 1995 in Dorsten geboren, ging in seiner Heimatstadt zur Schule und legte dort 2015 das Abitur ab. Seitdem studiert er in Münster Katholische Theologie. „In unserer Familie spielt Kirche eine Rolle, aber keine bewusste, vorrangige“, erläutert er. Als Messdiener, später sogar Gruppenleiter und „Oberministrant“, und Mitglied im Kinderchor der Pfarrei St. Bonifatius (heute St. Antonius-Bonifatius) befasste er sich schon früh mit der Kirche; prägend war dabei sein Freundeskreis, mit dem er die Wochenenden verbrachte. Das Erlebnis, das seine Berufung zum Ordensleben mit beeinflussen sollte, folgte, als Weihbischof Dieter Geerlings die Dorstener Messdiener zu sich nach Münster einlud. Nur dem Weihbischof zu begegnen, das war Julian Kendziora zu wenig, und so stieß er bei der Internetsuche auf das Kapuzinerkloster in der westfälischen Domstadt. „Die franziskanische Spiritualität war mir durch die Franziskaner in Dorsten schon sehr vertraut, aber beim ersten Besuch des Kapuzinerklosters funkte es bei mir noch nicht“, räumt Bruder Julian freimütig ein. Schon bald aber kam er ins Nachdenken und geriet in einen Konflikt mit sich selbst, was er überhaupt im Leben wollte. „Pastoralreferent zu werden – das stellte mich nicht mehr zufrieden“, erinnert er sich lebhaft. „Das war für mich nur noch eine Art Notlösung. Schon bald habe ich gemerkt: Ich will mein ganzes Leben in den Dienst Christi stellen und Priester werden.“

Verständnisvolle Freundin

Als er seiner damaligen Freundin diese Entscheidung mitteilte, reagierte sie enttäuscht, aber zugleich verständnisvoll: Sie habe schon immer gemerkt, worauf es bei ihm hinauslaufen werde. „Für mich war das ein Zeichen, dass ich diesen Weg gehen soll“, erklärt Kendziora. Die bodenständige Spiritualität der Kapuziner gab schließlich dafür den Ausschlag, dass er in diesen Orden eintrat. Vor anderthalb Jahren legte er in Salzburg sein Gelübde, die erste Profess, ab. Armut, Keuschheit und Gehorsam gehören für den charmanten jungen Mann zum Ordensleben unabdingbar mit dazu, „aber ich fühle mich nicht vom Zölibat angezogen, sondern von Jesus Christus, dem ich nachfolgen will“, stellt er klar.

Woran liegt es aus seiner Sicht, dass die Kirche sich so schwer damit tut, die junge Generation zu erreichen? „Nicht unsere Generation ist das Problem, sondern die Generationen vor uns“, urteilt er. „Man war sich zu lange genug in der Kirche. Und das merkt man bis heute. Dabei hat die Kirche die Menschen aus dem Blick verloren.“ Er selbst habe in seinem Heimatort einen Pfarrer erlebt, der seine Familie gut gekannt und ein besonderes Vertrauen bei den Menschen aufgebaut habe, ja im zu Dorsten gehörenden Dorf Holsterhausen omnipräsent gewesen sei. „Er war mein Vorbild. Wegen ihm kam ich auf die Idee: So etwas will ich auch machen.“ Heutzutage sei es unabdingbar, über die sozialen Medien zu kommunizieren, besonders mit jungen Leuten. Schon der heilige Franziskus habe auf den Marktplätzen gepredigt, und der Marktplatz von heute seien die sozialen Medien. Bruder Julian kommuniziert vor allem über Instagram, „weil es derzeit die größte Reichweite hat“, nimmt aber auch Podcasts und Youtube-Videos auf. In einer kleinen Studio-Ecke unter dem Klosterdach produziert er zusammen mit seinem Mitbruder Leonard Lehmann unter dem Titel „Sanctum“ Podcasts über die franziskanischen Seligen und Heiligen. Zusammen mit seinem Mitbruder Nikodemus Schnabel in Rom hat er ein Ordensnetzwerk gegründet, mit dem er kirchennahe Leute anspricht und über das er sich mit anderen Sinnfluencern austauscht. Einmal im Monat bietet er einstündige Fortbildungsseminare zu Themen wie der Moral der Medien oder crossmedialen Medienstrategien an.

Manipulative Soziale Medien

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Der umgängliche junge Mann gibt sich keinen Illusionen darüber hin, dass die sozialen Medien aktuell mit Hass und Hetze überflutet, manipuliert und missbraucht werden. „Umso wichtiger ist es, dass wir merken, dass wir als Christen unsere Stimme erheben müssen“, betont er. „Früher war es für die Priester einfach, ihre Botschaft über die Kanzel zu vermitteln. Aber wie viele erreichen wir heute dadurch noch?“ Für den Erstkontakt, besonders zu jungen Leuten, seien die sozialen Medien enorm wichtig, weil sie ein niedrigschwelliges Angebot darstellten. Das schmälere den Wert eines unmittelbaren Gespräches („Das haben wir gerade in Corona-Zeiten neu schätzen gelernt“) nicht. „Eine Berufungsklärung lässt sich nicht über Zoom abwickeln“, bleibt Julian realistisch. Im eigenen Kloster stößt der junge Sinnfluencer inzwischen auf viel Anerkennung, weil viele die Früchte seiner Arbeit sehen; nur einige wenige sehen seine Aktivitäten kritisch und müssen noch überzeugt werden. „Das ist aber eine Generationenfrage und keine spirituelle“, kommentiert Julian. „Auf jeden Fall bringen meine Aktivitäten Bewegung ins Kloster.“ So ist es zum Beispiel gelungen, mit Hilfe von Instagram und Videos neue Lektoren unter jungen Leuten zu gewinnen.

„Wir müssen aber aufbauende und nicht abreißende Kirche sein.“ Bruder Julian

Für Bruder Julian ist es eine Grundsatzfrage, ob die Kirche missionarisch, überzeugt und überzeugend sein will oder sich als kleine, bedrohte Gemeinde betrachtet, die um sich selbst kreist. Deshalb versucht er junge Leute als Glaubenszeugen in den sozialen Medien zu gewinnen, was sich aber – nicht zuletzt infolge des Missbrauchsskandals – als sehr schwierig herausgestellt hat. „Dass solche Leute nicht systematisch gefördert werden, ist auch ein Versäumnis der Diözesen“, meint er. „Wir müssen Christ-Sein in Zukunft auch als eigenen Lifestyle definieren.“ Mit den Menschen mitgehen, Fragen stellen, Themen ansprechen, die sie beschäftigen – darauf komme es an. „Daran trauen wir uns oft nicht heran - aus Angst, die Leute zu überfordern“, bedauert der rührige Kapuziner. „Wir müssen aber aufbauende und nicht abreißende Kirche sein.“

Heiße Eisen spielen keine große Rolle

In den Gesprächen von Bruder Julian mit seinen Followern spielen die berühmten heißen Eisen, die in der Öffentlichkeit ständig diskutiert werden – Zölibat, Weihe von Frauen, Sexualmoral – keine vorrangige Rolle. Stattdessen werden Fragen nach dem Sinn des Lebens, dem Leid, der eigenen persönlichen Berufung und der Art und Weise, wie Glaube heute lebbar ist, aufgeworfen, Themen also, die viele Menschen existentiell beschäftigen. „Meine Erfahrung ist: Die Leute sind nicht etwa gleichgültig gegenüber dem Glauben, sondern sehr differenziert“, resümiert Julian. „Wir als Kirche schaffen es nur nicht, zu liefern.“ Sorge bereitet ihm dagegen, dass sich Gruppen in der Kirche – Reformer und Bewahrer, Liberale und Konservative – gegenseitig das Katholisch-Sein absprechen und nicht mehr dialogbereit sind. „Als harmoniebedürftiger Mensch denke ich da: Meine Güte, warum kann man nicht miteinander reden?“

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