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Im Rausch der wilden Bilder

Die Lovis Corinth-Ausstellung im  Kunstforum Ostdeutsche Galerie Regensburg präsentiert den Maler als Vertreter einer leidenschaftlich-heftigen Pinselfaktur.
Blick auf das „Walchensee-Skizzenbuch“.
Foto: Markus Bauer | Blick auf das „Walchensee-Skizzenbuch“.

„Bildrausch“ heißt die Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie (KOG) Regensburg, die dem aus Tapiau in Ostpreußen stammenden Maler, Zeichner und Grafiker Lovis Corinth gewidmet ist, der vor 100 Jahren – am 17. Juli 1925 – in Zandvoort gestorben ist. Einzigartig machen die bis zum 18. Januar 2026 laufende Ausstellung die zum Großteil erstmals präsentierten Skizzenbücher. Damit wird der faszinierende Schaffensprozess vieler Werke Corinths deutlich. Neben zwölf Skizzenbüchern und zwei Skizzen-Alben präsentiert die Ausstellung 29 Gemälde sowie 47 Zeichnungen und Druckgrafiken. Doch nicht nur die Genese der Kunstwerke wird dokumentiert. Auch wurde im Zuge der Vorbereitungen bei mikroskopischen Analysen der Bilder ersichtlich, dass Corinth mehrere Farbschichten übereinander auftrug. Auch vor diesem Hintergrund kann von einem „Bild(er)rausch“ gesprochen werden.

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Der besondere Bezug des ostpreußischen Künstlers zum KOG ergibt sich aus mehreren Aspekten: hier befindet sich nicht nur eine der größten Sammlungen Lovis Corinths. Auch der nach Corinth alle zwei Jahre verliehene KOG-Kunstpreis hält diesen und sein Werk in Erinnerung. Auch wenn zuletzt nur vier Corinth-Werke in der KOG-Dauerausstellung waren – insgesamt besitzt es über 500 Arbeiten von Corinth. Darunter sind auch zwölf Skizzenbücher und ein von ihm selbst zusammengestelltes Album mit eingeklebten Zeichnungen.
Besonders die Skizzenbücher wurden zum 100. Todestag federführend von Dr. Mona Stocker (Sammlungsleitung Gemälde/Skulptur) und Dr. Sebastian Schmidt (Sammlungsleitung Grafik) wissenschaftlich bearbeitet, systematisiert und digitalisiert. Ihr Wert liegt vor allem darin, dass sie oft Grundlage für spätere Gemälde waren. Die Genese vieler Corinth-Werke ist nun in der Ausstellung nachzuvollziehen. 

Rauschhafte Farbenlandschaften

Ein in den USA befindliches Corinth-Opus hätte Direktorin Agnes Tieze gerne ausgeliehen, was aber im Rahmen der Zeitabläufe nicht möglich war. „Jedes Werk aus unserem eigenen Bestand haben wir gereinigt und – wenn nötig - aufgearbeitet. Vor allem die Skizzenbücher haben die beiden Kuratoren in einem Wahnsinnstempo – neben ihrer laufenden Tätigkeit – bearbeitet“, lobte die Direktorin. Corinths „rauschhafte Farbenlandschaften“, so Stocker, zeigt bereits im Eingangsbereich unter anderem ein Film, in dem die Pinselführung Corinths sichtbar gemacht wird. Das Gleiche gilt für Bilder mikroskopischer Vergrößerungen aus seinen Werken, wodurch die Farbvielschichtigkeit deutlich wird. 

Der erste Ausstellungsraum widmet sich Corinths regionaler und familiärer Herkunft: dem Geburtsort Tapiau, wo der Künstler am 21. Juli 1858 das Licht der Welt erblickte. Ansichten des Ortes und Porträts bzw. Skizzen – unter anderem des Vaters und Selbstbildnisse – belegen den besonderen Bezug zu diesen prägenden Sujets. Deutlich wird auch, dass sich bisweilen in den Skizzenbüchern enthaltene Motive später nicht in Gemälden finden lassen. Entweder hat Corinth die Ideen nicht weiterverfolgt, entstandene Bilder selbst zerstört, oder sie sind aus anderen Gründen (Krieg) vernichtet worden. 

Lovis Corinth: Das große Martyrium (1907) – Öl auf Leinwand
Foto: Markus Bauer | Lovis Corinth: Das große Martyrium (1907) – Öl auf Leinwand

Im zweiten Raum geht es vor allem um Tiere, darunter auch die frühest erhaltene Leinwand „Im Kuhstall“ von 1879. Anhand des Entwurfs im Skizzenbuch, der in Tusche gefertigten Vorzeichnung und des Endprodukts (Öl auf Leinwand) wird der Entstehungsprozess sichtbar. Ebenso auch die Tatsache, dass Corinth viel später – im Jahr 1922 - ein weiteres Bild dieses Inhalts geschaffen hat. Weitere Bilder – etwa eine Hundestudie, ein geschlachteter Ochse oder ein Genrebild „Im Fischerhaus“ - dokumentieren diesen Themenbereich.
Dem Walchensee und den damit korrespondierenden Bildern ist der dritte Raum gewidmet. Seit 1919 verbrachte Corinth hier mit seiner Familie die Sommer- und Winterferien. Vor allem das „Walchensee-Skizzenbuch“ enthält Zeichnungen aus dem Familienleben, die hier entstandenen Werke trugen wesentlich zu Corinths Ruhm bei.
„Venus und Grazien“ ist das Thema im vierten Raum. Wie der Titel ausdrückt, geht es um Darstellungen der römischen Göttin der Liebe, Schönheit und Fruchtbarkeit. Über fast seine gesamte Zeit als Künstler hat Corinth immer wieder in verschiedenen Techniken diese Figur dargestellt. „Bangen und Hoffen“ im Raum fünf bezieht sich auf die Erfahrung der Todesnähe nach dem am 19. Dezember 1911 erlittenen Schlaganfall. Zu sehen sind hier auch Werke zum Thema „Paradies“. Im großen Saal sind schließlich Porträts und mehrfigurige Kompositionen zu sehen – unter anderem „Diogenes“ (1896), „Salome“ (1899/1900) oder „Das große Martyrium“ (1907). Auch zu diesen erzählerischen, groß angelegten Szenen gibt es Skizzen und Grafiken, die über die Entstehung Auskunft geben.

Spuren und Bezüge

Lovis Corinths heftige Malerei hat bis heute ihre Wirkung auf die Kunst nicht verloren. Der gestische Farbauftrag wurde zum vielfach variierten Stilmittel. Georg Baselitz oder Anselm Kiefer sind ohne ihn als Wegbereiter kaum denkbar. Die Berliner Neuen Wilden vom Anfang der 80er Jahre wie Rainer Fetting, Helmut Middendorf, Salomé, Bernd Zimmer, Walter Dahn und Jiří Georg Dokoupil beriefen sich über 50 Jahre nach seinem Tod auf den Künstler aus Ostpreußen. Gerhard Richter transformierte die Stofflichkeit des Farbauftrags in seine abstrakten Werke. Auch in populären Œuvres finden sich seine Spuren, so bei Klaus Fußmann, Christopher Lehmpfuhl oder Oskar Koller. Von den Nationalsozialisten wurde Corinths Malerei als “entartet” gebrandmarkt. Der Chefideologe des Nazi-Regimes Alfred Rosenberg widmete ihm in seiner “Mythus”-Schrift eine Einschätzung aus nationalsozialistischer Warte: „Eine gewisse Robustheit zeigte L. C., doch zerging auch dieser Schlächtermeister des Pinsels im lehmig-leichenfarbigen Bastardtum des syrisch gewordenen Berlins.“) 

Die Ausstellung ist bis zum 18. Januar im Kunstforum Ostdeutsche Galerie (Dr.-Johann-Maier-Straße 5, 93049 Regensburg) zu besichtigen. Öffnungszeiten sind Dienstag bis Sonntag von 10 bis 17 Uhr, Donnerstag von 10 bis 20 Uhr – auch am 26. Dezember und 6. Januar. Geschlossen ist am 1. November sowie am 24., 25. und 31. Dezember und an Neujahr. Eintritt: Sechs Euro, ermäßigt vier Euro; Familienkarte zwölf Euro. Erschienen sind dazu ein Ausstellungs- und ein Bestandskatalog. Parallel läuft die Partnerausstellung im Zentralinstitut für Kunstgeschichte (ZI) München „Corinth werden! Der Künstler und die Kunstgeschichte“ (bis Ende März 2026). Weitere Informationen, auch zum Begleitprogramm und speziellen Führungen, unter www.kunstforum.net.

Der promovierte Autor war bis 2021 Direktor des Schlesischen Museums zu Görlitz und schreibt zu allgemein-historischen und kunstgeschichtlichen Themen.

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