Frank J. Schäpel malt im Grunde nur, was ist. Seine Kunst zeigt reale Ereignisse, statt Fantasiewelten zu entwerfen. Als Vorlage für seine Gemälde nutzt er fotografisches Material - mal farbig, mal schwarz-weiß; sein Stil ist entsprechend realistisch. Dennoch geht es dem Künstler, dessen hohes technisches Können sofort ins Auge springt, offenbar nicht um eine fotorealistische Verdopplung der Bilder. Stattdessen ist immer ein malerischer Duktus zu erkennen, der, statt sich in Details zu verlieren, das Wesen der abgebildeten Ereignisse einzufangen versucht.
Schäpel, Jahrgang 1973, ist ein Meisterschüler von Georg Baselitz und lebt seit den Neunzigern in Berlin. Als realistische und gegenständliche Kunstwerke sind seine Gemälde eigentlich leicht zugänglich – und das nicht nur für Kunstexperten. Schwer verdaulich, gerade deswegen aber auch besonders faszinierend sind die Themen, denen er sich widmet. Das zeigt sich auch beim Besuch in seinem Köpenicker Atelier. Dort hängen gerade frisch fertiggestellte Bilder zum Trocknen an der Wand. Neben einigen kleinformatigeren Arbeiten, die Atombombenexplosionen zeigen, zieht vor allem ein größeres Werk die Blicke auf sich: Eine junge blonde Frau kauert auf ihrem Sitz in einem Bus und blickt mit panischem Blick zu der hinter ihr stehenden dunklen Gestalt auf.
Es ist eine Szene aus dem verstörenden Video des Mordes an Iryna Zarutska in Charlotte, North Carolina. Die Aufnahmen der Sicherheitskamera verbreiteten sich in den sozialen Medien und ließen den Fall in den USA zum Politikum werden. Der schwarze Täter Decarlos Brown Jr. hatte der jungen Frau, die als Kriegsflüchtling aus der Ukraine in die USA gekommen war, anlasslos von hinten in den Hals gestochen. Im Nachhinein soll er seine Tat mit den Worten kommentiert haben: „I got that white girl“ – „Ich habe das weiße Mädchen erwischt“.
Wer in Deutschland nur den öffentlich-rechtlichen Rundfunk konsumiert, dürfte kaum von dieser Tat gehört haben. Täter- und Opferprofil passen nämlich genauso wenig in die herrschenden Großerzählungen wie die aus diesem Fall resultierende Frage nach einem Rassismus gegen Weiße. Die brennende Kathedrale von Notre-Dame, die Verhaftung einer Frau am Strand von San Sebastián während des Corona-Lockdowns oder auch das Bild der gesprengten Nordstream-Pipeline (kaum mehr als Verwirbelungen auf der Wasseroberfläche) – all diese Begebenheiten wurden von den omnipräsenten Kameras dieses Erdballs festgehalten und ins Netz gespeist.
Die Masse der Bilder aber ist so groß, dass die Eindrücke schon nach Kurzem wieder verschwunden sind, auch weil es kaum jemanden gibt, der bereit wäre, sie festzuhalten. Schäpel jedoch gelingt es, genau diese Momente – die man vielleicht als realitätsinterne Störungen beschreiben könnte – der digitalen Bilderflut und damit dem Vergessen zu entreißen. Indem er sie malt, nüchtern und ohne jede propagandistische Verzerrung, bewahrt er sie auf und enthebt sie gewissermaßen der Zeit. Es ist vor allem Schäpels dokumentarisch anmutender Realismus, durch den seine Bilder ihre enorme Wucht erhalten: Sie konfrontieren den Betrachter mit Phänomenen, die von Mainstreammedien am liebsten ignoriert werden.
Dass ein solcher Zugang im linksgedrehten Kunstbetrieb nicht auf große Gegenliebe stößt, ist keine Überraschung. Anfang September hätte in Bellinzona in der Schweiz eine Einzelausstellung der Werke Schäpels beginnen sollen. Sie war über ein Jahr lang angekündigt; sechs Wochen vor Beginn wurde die Ausstellung stillschweigend von der Webseite gelöscht. Auf Nachfrage des Künstlers erhielt dieser die nichtssagende Auskunft, man plane schlicht das Programm um: „That’s it.“
Kunst, die über das Politische hinausgeht
Allerdings ist Schäpel kein politischer Künstler im engen Sinne. Denn die übersehenen, ausgeblendeten, ignorierten Realitäten, denen er seine Aufmerksamkeit widmet, gehen weit über das Politische hinaus. So handelt etwa ein Großteil seines Werkes von UFO-Sichtungen und Marienerscheinungen. Beides sind weltumspannende Phänomene, die von Tausenden von Menschen bezeugt worden sind. Schäpels Werke zu diesen Themen haben nichts von esoterischem Kitsch. Stattdessen zeichnen auch sie sich durch einen nüchternen, realistischen Zugriff aus. Zum dokumentarischen Ansatz des Künstlers gehört , dass er sich in das, was er malt, zuvor geistig vertieft.
Bevor Schäpel zum Pinsel greift, recherchiert er. In seinem Atelier stapeln sich die Bände zu UFO-Sichtungen und Erscheinungen der Gottesmutter. Schäpel unterscheidet, wie es sich für einen Dokumentator gehört, nicht zwischen kirchlich anerkannten und nicht anerkannten Erscheinungen: Er malt beispielsweise die wartende Menge beim „Sonnenwunder“ von Heroldsbach im Jahr 1949, die ekstatischen Seherinnen im spanischen Garabandal in den 1960ern, die geblendet in den Himmel schauenden Zeugen des Sonnenwunders von Fatima im Jahr 1917 oder auch die junge Marie Claire Mukangango während ihrer Verzückung, als ihr 1982 die Gottesmutter in Kibeho, Ruanda, erschien.
Katholische Akademien, Gemeindezentren und Bistumsbüros, die nach ernst zu nehmender zeitgenössischer Kunst jenseits von Kitsch und einer plumpen Ästhetik des Hässlichen suchen, wären bestens beraten, ihre Räumlichkeiten mit den Werken Schäpels zu schmücken. Über die Gründe, warum sie dies bisher nicht tun, lässt sich nur spekulieren. Jedenfalls kam bis heute trotz Bemühungen des Malers kein Auftrag und keine Ausstellung im kirchlichen Kontext zustande.
Was aber haben UFOs eigentlich mit Maria zu tun? Schäpel ist um eine Antwort nicht verlegen: Bei allen Unterschieden ähnelten sich die Sichtungen unbekannter Flugobjekte und Erscheinungen der Gottesmutter darin, dass es sich um Anomalien handelt – um Ausnahmeerscheinungen, die aber zumindest als Phänomene trotzdem wirklich sind und daher ernst genommen werden wollen. Ein naturwissenschaftlich verengtes Wirklichkeitsverständnis, das solche Phänomene aus Prinzip leugnet, statt ihnen auf den Grund gehen zu wollen, sei, wie Schäpel erklärt, in Wahrheit gar nicht wissenschaftlich. Stattdessen lobt er die katholische Kirche, die schon vor Jahrhunderten die Berichte über Wunder und andere übernatürliche Erscheinungen nicht einfach leichtfertig geglaubt, sondern mit rationaler Strenge überprüft und dokumentiert habe. Trotz aller Ähnlichkeiten auf der Erscheinungsebene sieht der Künstler einen fundamentalen Unterschied zwischen UFO-Sichtungen und Marienerscheinungen: Erstere verwiesen auf eine geschöpfliche Intelligenz und Technologie, die die unsere übersteigt, Letztere aber auf die Präsenz und Intervention des Schöpfers selbst.
Das Übernatürliche ist überall
Nicht zuletzt aufgrund seiner Beschäftigung mit Marienerscheinungen ist Schäpel überzeugt, dass der direkte, wundersame Eingriff Gottes in unsere Welt sich bis heute fortsetzt. Im Laufe der Unterhaltung mit dem Maler drängt sich der Gedanke auf, dass das Übernatürliche geradezu omnipräsent ist, wenn man nur die Augen offenhält. Protestantisch aufgewachsen, hat Schäpel sich in den letzten Jahren dem katholischen Glauben angenähert.
Die Auskunft, dass er inzwischen den Rosenkranz betet und immer wieder auch die heilige Messe besucht – am liebsten in ihrer überlieferten Form – überrascht dann am Ende des Gesprächs mit diesem außergewöhnlichen Künstler kaum noch. Wer derart von allen Scheuklappen befreit auf die Realität blickt wie Frank J. Schäpel, kann vermutlich gar nicht anders, als früher oder später eine im Wortsinn „katholische“, das heißt: „das Ganze umfassende“ Sicht auf die Welt zu gewinnen.
Der Künstler wird auf der Buchmesse „Seitenwechsel“, die vom 8. bis 9. November in Halle stattfindet, am Stand der „Galerie Zentrale Randerscheinung“ anzutreffen sein: www.messe-seitenwechsel.de
Seine eigene Webseite lautet: www.frankschaepel.de
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