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§218 StGB darf nicht gestrichen wreden

Eine Fachtagung in Berlin demonstriert, warum die Empfehlungen der Regierungskommission zum Schwangerschaftsabbruch keine Lösungen bieten.
Schwangere Justitia und Paragraf 218
Foto: Sascha Steinach via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Eine Frage der Abwägung? Dann müsste aber das Lebensrecht des Kindes zumindest in einer der Wagschaalen liegen, nicht nur das Selbstbestimmungsrecht der Frau.

Seit nunmehr 75 Jahren sagt das Grundgesetz: "Die Würde des Menschen ist unantastbar" (Art. 1) und "Jeder hat das Recht auf Leben" (Art. 2). Alle Menschen stehen unter dem Schutz der Verfassung, auch ungeborene Kinder. Denn die von Menschen abstammenden Lebewesen sind in jeder Phase ihrer Entwicklung logischerweise ebenfalls Menschen. Jede Frau, die ein Kind geboren hat, weiß das, und jeder, der sich etwas bemüht, die vor- und nachgeburtliche Entwicklung des Menschen zu verstehen, kann das ebenfalls wissen. Kinder werden nicht vom Klapperstorch gebracht, sie wachsen und reifen als Lebewesen der Art "Mensch" im Mutterleib heran.

Wer in den natürlichen Vorgang der Schwangerschaft eingreift und vorsätzlich einen ungeborenen Menschen tötet, macht sich nach §218 Abs. 1 StGB prinzipiell strafbar. Geht es nach den Vorschlägen der von der Regierungskoalition eingesetzten "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin", soll die Tötung ungeborener Kinder ("Schwangerschaftsabbruch") in der "Frühphase der Schwangerschaft" künftig aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber nach Ansicht der Kommission bis zur Lebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes (ca. 22. Schwangerschaftswoche) einen "weiten Gestaltungsspielraum". Gehe er "nachvollziehbar von einem Vorrang der Grundrechte der Frau gegenüber dem Lebensrecht des Embryos/Fetus" aus, könnten Abtreibungen auch im mittleren Abschnitt der Schwangerschaft für rechtmäßig erklärt werden.

Wann ist der Mensch ein Mensch?

Diese Thesen waren in der vergangenen Woche Gegenstand einer Fachtagung in Berlin, zu der die Katholische Akademie, die Forschungsstelle für Katholisches Kirchenrecht des Erzbistums Berlin, die Görres-Gesellschaft und die Juristen-Vereinigung Lebensrecht eingeladen hatten. Die Juristin Katharina Weilert vom Forschungsinstitut der evangelischen Studiengemeinschaft (Heidelberg) wies in ihrem Einführungsvortrag darauf hin, dass es sich beim geltenden §218 StGB eher um symbolisches Strafrecht handle, das in Verbindung mit der Beratungspflicht der Menschenwürde des ungeborenen Lebens nur noch minimal Ausdruck verleihe. Die Vorschrift mache aber deutlich, dass ein Schwangerschaftsabbruch kein "reines Gesundheitsproblem" sei. Der Bericht der Kommission gehe dagegen von einer prinzipiellen Stufung des Lebensschutzes aus, so dass zeitweise überhaupt keine Güterabwägung mit den Rechten der Schwangeren erfolgen müsse. Wann nach Ansicht der Kommission im Laufe der Schwangerschaft die "Menschwerdung" stattfinde und damit auch der Menschenwürdeschutz beginne, bleibe offen. Hierdurch werde das ungeborene Kind nicht mehr als Rechtssubjekt betrachtet und folglich gebe es im Grunde auch keinen "Schwangerschaftskonflikt" mehr, der aufgelöst werden müsse.

Der Moraltheologe Franz-Josef Bormann von der Universität Tübingen kritisierte den Kommissionsbericht ebenfalls. Wenn es nur um "reproduktive Selbstbestimmung" gehe, dann werde das eigentliche Problem von vornherein ausgeblendet. Den zentralen Wertekonflikt zwischen dem Leben des ungeborenen Kindes und den Interessen der Schwangeren dürfe man nicht verschleiern. Die Grundidee, den Rechtsschutz nach dem Reifegrad des Ungeborenen abzustufen, könne man bei Hilfspflichten berücksichtigen, nicht aber bei der geforderten Unterlassungspflicht: der Pflicht, das Kind nicht zu töten.

Kommissionsmitglieder verteidigen Bericht

Im Rahmen der anschließenden Podiumsdiskussion kamen zwei exponierte Mitglieder der Kommission zu Wort. Frauke Brosius-Gersdorf, Rechtsprofessorin in Potsdam, erklärte, dass man sich der Frage, ob dem ungeborenen Leben bereits Menschenwürde zukomme, intensiv gewidmet habe. Sie sei aber bewusst offengelassen worden, weil für die Bewertung des Schwangerschaftskonflikts allein das Recht auf Leben maßgeblich sei. Dieses könne gegen das Selbstbestimmungsrecht der Schwangeren abgewogen werden. Wenn auf Seiten des ungeborenen Lebens die Menschenwürde zu berücksichtigen sei, käme eine Abwägung gegen die Interessen der Schwangeren nicht in Betracht. Deshalb könne hierin keine Lösung gesehen werden.

Liane Wörner, Strafrechtsprofessorin an der Universität Konstanz, betonte, dass es wesentlich um Zumutbarkeitsfragen gehe. Je länger die Schwangerschaft andauere, desto eher sei der Frau das weitere Austragen des Embryos zuzumuten. Umgekehrt bedeute dies aber, dass Abbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft straffrei bleiben müssten. Das wurde von anderen Podiumsteilnehmern vehement bestritten. Die Zuspitzung des Problems auf die weibliche Selbstbestimmung und Zumutbarkeitsgesichtspunkte führe dazu, dass der Schutz des ungeborenen Lebens auf der Strecke bleibe (Bormann). Ob und ggf. wann sich der Embryo zum Menschen entwickle, sei eine zentrale Frage und könne nicht offenbleiben; zur Begründung der These vom "wachsenden Lebensschutz" finde man im Kommissionsbericht keine überzeugenden Argumente (Weilert).

Alternativen zum Strafrecht? Fehlanzeige

Dem schloss sich der Göttinger Medizinrechtler Gunnar Duttge an. Um überhaupt zu einem angemessenen Abwägungsprozess gelangen zu können, müsse die Statusfrage geklärt werden. Wenn eine der Waagschalen, mit denen Justitia häufig dargestellt werde, leer bleibe, komme von vornherein keine Abwägung zustande. Der Kommissionsbericht biete für den Wegfall der strafrechtlichen Verankerung des Lebensschutzes Ungeborener auch keine Alternative an. Der hohe Wert des Rechtsgutes spreche für das Strafrecht als richtigen Ort der normativen Wertung.

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Liest man im Kommissionsbericht nach, dann ist tatsächlich nichts darüber zu finden, wie die Appellfunktion des Strafrechts durch Regelungen an anderer Stelle ausgeglichen werden könnte. Laut Wörner sei für die Ausarbeitung derartiger Vorschläge keine Zeit gewesen. Ob dieser Darstellung gefolgt werden kann, erscheint jedoch zweifelhaft. Schließlich ist es einfacher, eine bestehende Regelung als "unzumutbar" darzustellen, als eine eigene, wesentlich überzeugendere Lösung vorzulegen. Da die Kommission keine Vorschläge macht, wie, der Schutz ungeborener Kinder außerhalb des Strafrechts gewährleistet werden kann, verhindert ihr Schweigen auch jede Kritik an den möglichen "Alternativen zum Strafrecht". Die Formulierung im Vorwort des Kommissionsberichts, man habe "geprüft, ob und gegebenenfalls wie die Regulierung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuches getroffen werden kann" ist jedenfalls unrichtig.

Gesetzentwurf in dieser Legislatur unwahrscheinlich

Abschließend kamen bei der Berliner Tagung bei einer weiteren Podiumsdiskussion Vertreter der politischen Parteien zu Wort. Nach Ansicht der  SPD-Abgeordneten Leni Breymaier muss der §218 StGB "raus aus dem Strafgesetzbuch". Stattdessen müsse die "Versorgung mit Abtreibungsmöglichkeiten" verbessert werden. Dem schloss sich Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) an. Zu einer selbstbestimmten Familienplanung gehöre eine flächendeckende Versorgung mit Abtreibungspraxen und der kostenfreie Zugang zu Verhütungsmitteln. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses des Bundestages, Elisabeth Winkelmeier-Becker (CDU), sprach sich dagegen für eine Beibehaltung der geltenden Regelung zum Schwangerschaftsabbruch aus. Es bestehe faktisch schon Straffreiheit. Die Regelung im Strafrecht sei wichtig für das Bewusstsein, dass es bei einem Schwangerschaftsabbruch um ein hohes Rechtsgut gehe. Eine Gesetzesänderung sei nicht notwendig: "Wir haben eine gute, funktionierende Regelung, die schlüssig ist." Der FDP-Abgeordnete Thorsten Lieb betonte, dass die Auswertung des umfangreichen Kommissionsberichts Zeit benötige. Er nehme in seiner Fraktion "keine Stimmung für eine fundamentale Änderung der Gesetzeslage wahr".

Schenkt man dieser Einschätzung Glauben, ist es eher unwahrscheinlich, dass noch in der laufenden Legislaturperiode mit einem konkreten Gesetzentwurf zu rechnen ist. Mit einer bloßen "Streichung" des §218 StGB wäre es nicht getan. Eine Neuregelung müsste mindestens Spätabtreibungen erfassen und halbwegs nachvollziehbare Regelungen zum Schutz ungeborener Kinder jenseits des Strafrechts vorsehen. Wie ein entsprechendes Konzept aussehen könnte, ist völlig unklar. Insoweit hat die Kommission nichts geliefert. Stattdessen hat sie den ersten Schritt getan, um den letzten Rest an Rechtsschutz zu beseitigen, den der geltende §218 StGB noch bietet.

Es gibt kein Recht auf Abtreibung

Hinter der Arbeit der Kommission stehen Kräfte, die sich schon seit Jahren bemühen, die Tötung ungeborener Kinder als "normale Gesundheitsdienstleistung" auszugestalten. Dazu gehören verschiedene Einzelmaßnahmen: der Abbau strafrechtlicher "Hürden", die verpflichtende Ausbildung aller Mediziner in Abtreibungstechniken, die Kostenübernahme durch die Krankenkassen und die flächendeckende Versorgung mit Abtreibungseinrichtungen. Werden diese Bausteine zusammengefügt, käme es über kurz oder lang zur Schaffung eines "Rechts auf Abtreibung". Am Ende wäre dies aber kein Fortschritt, sondern Selbstbetrug. Der "Schwangerschaftsabbruch" verliert seinen Charakter als Tötungshandlung nicht dadurch, dass er straflos bleibt oder von der Krankenkasse bezahlt wird. Der Sache nach wird es sich - von wenigen Fällen der vitalen Indikation abgesehen - niemals um ein "Recht" handeln, allenfalls um das "Recht des Stärkeren".

Ein Rechtsstaat sollte natürlich nicht nur auf das Strafrecht setzen, um die Tötung ungeborener Kinder zu verhindern. Ergänzend, oder vielleicht sogar vorrangig, sollten andere Lösungswege gesucht werden. Wo bleibt der Ehrgeiz der Politik, Schwangerschaftskonflikte zu verhindern oder abzumildern? Die Streichung des §218 StGB hilft dabei nicht.

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