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Die Empfehlungen zur §218-Reform sind unannehmbar

Warum die "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" statt bei guter Wissenschaft bei schlechter Metaphysik gelandet ist.
Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin übergibt Abschlussbericht
Foto: IMAGO/Christian Ditsch (www.imago-images.de)

Es lässt sich nicht ändern. Dem Bericht der "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" muss widersprochen werden. Nicht in jedem einzelnen Punkt. Sondern, viel gravierender, grundlegend. Denn ob beabsichtigt oder nicht, in ihm vertreten ihre Mitglieder Standpunkte, die kein Katholik und noch viel schlimmer, überhaupt kein Mensch, also ein mit Vernunft begabtes Geschöpf, teilen kann. Worin also besteht das Unannehmbare, das die Mitglieder der Kommission in ihrem Bericht vorlegen?

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Nun, das Unteilbare und Unannehmbare besteht darin, dass seine Verfasser den Gesetzgeber und   weil in der Demokratie alle Macht vom Volke ausgeht, letztlich auch uns   in der irrigen Ansicht zu missionieren suchen, es könne statthaft und mehr noch, rechtmäßig sein, unschuldige und wehrlose Menschen im Frühstadium ihrer Existenz zu töten.

Ein Uterus kann nicht schwanger werden

Nun könnte der aufmerksame Leser einwenden, in dem Bericht der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin sei davon an keiner Stelle die Rede. Und das wäre völlig zutreffend. An keiner Stelle ihres Berichts sprechen die Mitglieder der Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin davon, dass es statthaft, und mehr noch, rechtmäßig sei, unschuldige und wehrlose Menschen im Frühstadium ihrer Existenz zu töten. Stattdessen empfehlen sie "nach eingehender Berücksichtigung des Sachstands sowie ausführlicher Würdigung der relevanten ethischen und rechtlichen Aspekte" und "ausgehend von verfassungs-, europa- und völkerrechtlichen Vorgaben, von ethischen Überlegungen und unter Berücksichtigung medizinischer und psychosozialer Aspekte sowie der Versorgungssituation für schwangere Frauen" dem Gesetzgeber, und damit letztlich auch uns, "den Schwangerschaftsabbruch" in der "Frühphase" [zu] erlauben (Rechtmäßigkeit und Straffreiheit)".

Nur macht es das nicht besser, sondern schlimmer. Denn sieht man einmal davon ab, dass "Rechtmäßigkeit und Straffreiheit" eine Tautologie darstellen, weil Strafe, so überhaupt, nur das Unrechtmäßige, niemals aber das Rechtmäßige verdient, so lügen die Mitglieder der Kommission, dem Gesetzgeber und damit letztlich dem Volk (jedenfalls seinem wahlberechtigten Teil), hier, wenn auch womöglich unbewusst, so doch, nach Lage der Dinge, gewaltig in die Tasche.

Denn wer einen Schwangerschaftsabbruch "medizinisch" als "Entleerung des schwangeren Uterus" definiert, wie die Kommission dies in ihrem Bericht tut, der bestimmt ihn nicht bloß unter. Er bestimmt ihn auch gänzlich falsch. Schon deshalb, weil ein Uterus gar nicht "schwanger" werden kann. Schwanger werden oder sein, das kann nur eine Frau. Auch "geschwängert" wird, um im Bild zu bleiben, nicht etwa der Uterus, was bereits rein anatomisch unmöglich wäre, sondern die Frau. Zwar können Menschen, Frauen wie Männer mit Vielem "schwanger gehen". Im biologischen Sinne können aber allein Frauen schwanger werden. Und wenn, dann immer nur als Folge der Zeugung eines Kindes. Korrekt definiert stellt daher ein Schwangerschaftsabbruch die vorgeburtliche Tötung eines Menschen dar.

Nicht schwanger werden ist möglich

Die Tötung eines wehrlosen und unschuldigen Menschen kann aber, ganz gleich in welchem Stadium seiner Existenz er sich befindet, niemals statthaft sein. Wäre es "rechtmäßig", einen unschuldigen, wehrlosen Menschen zu töten, gäbe es überhaupt nichts, was dann noch "unrechtmäßig" wäre. Auch steht es einem Rechtsstaat nichtzu, seine Bürger aus der Verantwortung für ihre Handlungen zu entlassen. Schwanger werden kann eine Frau, außer nach einer Vergewaltigung, nur in Folge der einvernehmlichen geschlechtlichen Vereinigung mit einem zeugungsfähigen Mann und auch das nur binnen der wenigen fruchtbaren Tage ihres Zyklus.

Da heute zudem jeder weiß, dass a) die Jungfrauengeburt, so sie denn überhaupt noch geglaubt wird, ein einmaliges historisches Ereignis darstellt und b) Kontrazeptiva nur einen relativen und keinen absoluten "Schutz" vor einer Empfängnis bieten, weiß auch jeder, dass eine mögliche Folge einer geschlechtlichen Vereinigung in der Zeugung eines Menschen besteht. Zu diesem "Risiko" müssen und können sich Menschen verhalten. Selbst wer ihm ganz entkommen will, hat dazu heute mehr als nur eine Möglichkeit: Als da wären Enthaltsamkeit, Sterilisation und gleichgeschlechtlicher Sex. Während Katholiken die letzten beiden Optionen verboten sind, verlangt der weltanschaulich neutrale Staat dergleichen von seinen Bürgern nicht. Eine "reproduktive Selbstbestimmung", die diesen Namen verdient, müsste hier ansetzen und kann nicht erst dort beginnen wollen, wo ein Schwangerschaftstest positiv ausfällt.

Zumal in einem freiheitlichen Staat wie der Bundesrepublik Deutschland niemand gezwungen wird, gemäß der Sexualmoral der katholischen Kirche zu leben. Er muss ihr nicht einmal Beachtung schenken und kann sie, von der Wiege bis zur Bahre, daher auch vollumfänglich ignorieren. Mehr noch: In einem freiheitlichen Staat darf vom Geschlechtsakt auch jeder so gering denken, wie er mag. Drastischer formuliert: In einem solchen Staat hat niemand das Recht, jemand anderen daran zu hindern, sich mit dem Dreikampf aus "Fressen, F*cken, Fernsehen" zufrieden zu geben.

Die Menschenwürde muss man sich nicht verdienen

Gefragt sind Staat und Rechtsordnung aber spätestens dort, wo jemand anderem daraus ein Schaden zu erwachsen droht. Denn aus einer würdelosen Betrachtung des Geschlechtsaktes (bei welchem sich die Beteiligten im besten Falle wechselseitig als Mittel zum Zweck benutzen) folgt nun einmal keineswegs, dass auch seine sämtlichen möglichen Folgen würdelos sein müssten.

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Würde muss ein Mensch sich nicht erst verdienen. Sie kommt ihm buchstäblich qua Existenz zu. Deshalb beginnt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948, die im Übrigen ohne jeden Gottesbezug auskommt, auch mit den Worten "Die Anerkennung der inhärenten Würde", also der mit dem Menschsein gegebenen Würde, "und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Menschheitsfamilie ist die Grundlage für Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt." Würde besitzt eine Person daher auch nicht deshalb, weil sie von ihren Erzeugern "geplant", "gewollt" oder "erhofft" wurde. Es ist interessant, dass dieser abwegige Gedanke heute vor allem von jenen verfochten wird, die den Gedanken der Gottesebenbildlichkeit des Menschen als Würdebegründung verwerfen.

Das Recht auf Leben gilt jedem

Laut dem Bundesverfassungsgericht genügen "die von Anfang an im menschlichen Sein angelegten potenziellen Fähigkeiten, um die Menschenwürde zu begründen". Daher kann es dekretieren: "Wo menschliches Leben existiert, kommt ihm Menschenwürde zu; es ist nicht entscheidend, ob der Träger sich dieser Würde bewusst ist und sie selbst zu wahren weiß." Mehr noch: "Leben im Sinne der geschichtlichen Existenz eines menschlichen Individuums besteht nach gesicherter biologisch-physiologischer Erkenntnis jedenfalls vom 14. Tage nach der Empfängnis (Nidation, Individuation) an. Der damit begonnene Entwicklungsprozess ist ein kontinuierlicher Vorgang, der keine scharfen Einschnitte aufweist und eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Entwicklungsstufen des menschlichen Lebens nicht zulässt. Er ist auch nicht mit der Geburt beendet; die für die menschliche Persönlichkeit spezifischen Bewusstseinsphänomene z. B. treten erst längere Zeit nach der Geburt auf."

Deshalb könne auch "der Schutz des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ["Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit"] weder auf den  fertigen  Menschen nach der Geburt noch auf den selbstständig lebensfähigen nasciturus beschränkt werden. Das Recht auf Leben wird jedem gewährleistet, der  lebt ; zwischen einzelnen Abschnitten des sich entwickelnden Lebens vor der Geburt oder zwischen ungeborenem und geborenem Leben kann hier kein Unterschied gemacht werden.  Jeder  im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist  jeder Lebende , anders ausgedrückt: jedes Leben besitzende menschliche Individuum;  jeder  ist daher auch das noch ungeborene menschliche Wesen", so die Richter weiter.

Ein naturalistischer Fehlschluss

Der die beiden Urteilen des Bundesverfassungsgerichts tragende verfassungsrechtliche Gedanke ist die prinzipielle Gleichwertigkeit ungeborenen und geborenen Lebens. Die Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin glaubt, und das ist einer der entscheidenden Punkte, die ihre Empfehlungen unannehmbar machen, diese Einsicht verwerfen zu können. So etwa, wenn sie explizit schreibt: "Dem Lebensrecht des Embryos/Fetus kommt geringeres Gewicht zu als dem Lebensrecht des Menschen nach der Geburt." Dabei stellt sich die Kommission auf den Standpunkt, angesichts der "existenziellen Abhängigkeit des Ungeborenen vom Körper der Schwangeren" spreche viel dafür, "dass das Lebensrecht pränatal mit geringerem Schutz zum Tragen kommt als für den geborenen Menschen". In Wirklichkeit spricht gar nichts dafür. Und das nicht nur, weil eben niemand wie die Jungfrau zum Kinde kommt.

Wer aus dem biologischen Faktum (der Angewiesenheit des Embryos auf den Uterus der Frau) auf ein Sollen schließt (nämlich den frühen Schwangerschaftsabbruch "rechtmäßig" zu stellen), der begeht einen naturalistischen Fehlschluss. Umgehend ließe sich dieser nur, durch die Einführung einer weiteren Prämisse. Die aber müsste dann lauten: Frühe menschliche Embryonen sind keine Menschen. Dann und nur dann könnte der frühe Schwangerschaftsabbruch, der dann auch keine vorgeburtliche Tötung eines Menschen wäre, "rechtmäßig" gestellt werden. Allerdings wäre sodann zu klären, wodurch ein Noch-Nicht-Mensch zum Menschen würde. Durch das Passieren eines "magischen Geburtskanals"? Durch das Erlangen einer weiteren Fähigkeit, wie die, bei verbleibender Angewiesenheit auf Dritte, prinzipielle Überlebensfähigkeit außerhalb des Mutterleibes? Fragen über Fragen, die allerdings auch längst geklärt sind und vor allem eines zeigen: Wer Fakten nicht anerkennen will, weil ihm die Konsequenzen nicht zusagen, der landet am Ende nicht bei guter Wissenschaft, sondern stattdessen bei schlechter Metaphysik.

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Stefan Rehder Bundesverfassungsgericht Lebensrechtsbewegung Menschenwürde Reproduktionsmedizin

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