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"In den Familien wird das Ja zum Leben deutlich"

Familien machen den Herzschlag Gottes für unsere Zeit spürbar, meint Österreichs Familienbischof Glettler. Beim Weltfamilientreffen seien aber auch Krisen und Schwierigkeiten benannt worden.
Bischof Hermann Glettler
Foto: Eibner-Pressefoto/EXPA/Groder via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | "Wir dürfen als Kirche Menschen, die in zweiter Ehe leben, nicht ausschließen – ganz im Gegenteil", meint der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler.

Was ist Ihr Fazit vom Weltfamilientreffen 2022 in Rom?

Der Grundton des Kongresses war Ermutigung. Das dichte Programm bot eine Fülle von Statements und Zeugnissen. Die meisten Impulse kamen von Ehepaaren, nicht von Bischöfen. Thematisch reichte die Palette von der Ehevorbereitung bis hin zur Begleitung von Familien, wo es Suchterkrankungen und andere Belastungen gibt. Berührende Beispiele von Versöhnung wurden erzählt. Es gab wertvolle Hinweise für eine sensible Sexualpädagogik und ebenso Überlegungen zu Risiken und Chancen im Zeitalter der Digitalisierung. Der Cocktail der Zeugnisse hat mich bewegt. Zum vertiefenden Austausch hätte ich mir Zeit gewünscht. Wie ein roter Faden zog sich durch alle Beiträge die Frage nach der spezifischen Berufung christlicher Ehen und Familien. Mir scheint, dass wir in unserer pluralen Gesellschaft vielfältige Zugänge in der Familienpastoral brauchen.

Was bedeutet das Motto des Weltfamilientreffens: Familienliebe als Berufung?

Familien machen – trotz der offensichtlichen Brüchigkeit und den vielen Patchwork-Situationen – den Herzschlag Gottes für unsere Zeit spürbar. Das ist entscheidend. Es nützt nichts, von frommen Idealvorstellungen zu träumen. In den Familien wird das Ja zum Leben deutlich, ein Ja, das Gott durch alle Schwierigkeiten hindurch nicht zurücknimmt. Neben der „Berufung zur Liebe“ wurden beim Weltfamilientreffen auch ungeschminkt die Krisen und Schwierigkeiten benannt, die Familien heute durchleben. Das macht die Zeugnisse so authentisch und anschlussfähig, auch für Kirchenferne. 

"Christliche Ehe ist doch keine Privatveranstaltung,
sondern ein Auftrag zur Weltgestaltung"

Worin genau liegt die Berufung christlicher Eheleute?

Sie stehen inmitten einer nervösen und polarisierenden Gesellschaft für einen verlässlichen Bund und für Zusammenhalt. Christliche Eheleute machen einen Raum auf, in dem Gott sich mit seiner zärtlich starken Liebe einmischen kann. Christliche Ehe ist doch keine Privatveranstaltung, sondern ein Auftrag zur Weltgestaltung – so ähnlich hat es Papst Franziskus bei der Eröffnung formuliert. Wo Eheleute einen Raum öffnen, in dem noch ein Dritter gegenwärtig ist, nämlich Christus, dort ist auch Raum für andere – für Kinder, für Notleidende, für Heimatlose. Bewegend war das Zeugnis einer kinderreichen Familie, die ukrainische Flüchtlinge aufgenommen hat. In der Zeit der Pandemie wurden Familien und familiäre Gemeinschaften als Zufluchtsorte erlebt. Sie waren Umschlagplatz für alles, was Menschen belastet und bewegt. Auch viel Unsicherheit. Gelebte Berufung hat Alltagsrelevanz – selbst in einem phasenweise familiären Chaos ist Gott gegenwärtig. Wir sollten versuchen, das konkrete Leben der Familien zu teilen.

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Wie kann das konkret passieren?

Ja, es ist nicht leicht, den Schatz des „Evangeliums der Familie“ über die Rampe zu bringen, das heißt ihn auch jenen Paaren zugänglich zu machen, die sich von der Kirche abgewendet haben. Es geht um einen möglichst barrierefreien Empfang für Familien, um eine „Kultur des Empfangs“, wie dies mehrmals beim Kongress benannt wurde. Das erste Paar, das in Rom gesprochen hat, war noch nicht verheiratet. Sie sind erst durch die Taufe der Kinder langsam auf die Spur des Glaubens gekommen. Aber leider haben sie sich bei keiner Pfarre wirklich willkommen gefühlt. Das gibt zu denken. Es braucht neue Netzwerke von und für Familien. Es wird vermutlich nicht mehr mit die klassischen Familienrunden gehen. Ich möchte gerne Formate von familiären „Weggemeinschaften“ anregen, bei denen ein Impuls aus dem Evangelium im Mittelpunkt steht, aber eingebettet in eine gute Zeit, um unkompliziert Erfahrungen auszutauschen.

Welches Zeugnis von Ehepaaren hat sie am meisten berührt?

Sehr bewegt hat mich das Zeugnis eines Paares aus Südafrika, das faktisch vor der Scheidung stand. Total verhärtet und voneinander enttäuscht, haben sie ihrer Beziehung keine Chance mehr gegeben. Irgendwie ist es ihnen dann doch gelungen, eine externe Mediation in Anspruch zu nehmen. Und dies erfolgreich. Sie mussten einander die aufgestauten Konflikte und Vorwürfe zumuten. Langsam hat sich ein Weg der Versöhnung geöffnet. Ausgehend davon ist mir bewusst geworden, wie wichtig die vielfältigen Initiativen sind, die präventiv auf Kommunikation setzen und Hilfestellungen anbieten, um die eheliche Liebe wieder aufzuwecken. Ich denke an die Angebote von Marriage Encounter, Schönstatt, Ehe-Alpha, „Liebe und Wahrheit“ und viele mehr – nicht zu vergessen der breite Fächer diözesaner Angebote, inklusive Familienberatung und therapeutische Hilfestellungen. 

"Eheleute und Familien sollten viel stärker
als aktive Player im pastoralen Alltag vorkommen"

Dazu braucht es offensichtlich auch Ehepaare und Familien, die sich ehrenamtlich in der Begleitung anderer engagieren.

Ja, das ist eine Herausforderung, weil wir dies nicht gewohnt sind. Es geht um eine freundschaftliche Begleitung. Eheleute und Familien sollten überhaupt viel stärker als aktive Player im pastoralen Alltag vorkommen. Insofern war der internationale Familienkongress in Rom auch ein Testfall, ob wir eine pastorale Synodalität leben wollen – also wirkliches Hinhören, Mitgehen, Begleiten und Ermutigen. Es braucht nicht eine Sender-Empfänger-Logik von Priestern zu Laien, sondern ein unkompliziertes, wertschätzendes Miteinander, welches die Kompetenz der Eheleute ernstnimmt. Dazu müssen wir Eheleute gewinnen, die mit einem gesunden Selbstbewusstsein sagen: Wir möchten andere begleiten. Nicht weil sie besser wären, sondern weil sie bereit sind, ihre Lebens- und Glaubenserfahrungen zu teilen. 

Nehmen Sie weitere Anregungen für die Familienpastoral mit?

Mir ist die Bedeutung einer soliden Ehevorbereitung erneut bewusst geworden. Sie muss von den Bedürfnissen der Paare ausgehen und gleichzeitig stärker als bisher eine verständliche Einführung in den christlichen Glauben versuchen. Das ist nicht leicht, weil wir mit immer mehr individuellen Vorstellungen und Sonderwünschen konfrontiert sind. Dennoch: Die Sehnsucht nach einer treuen und verlässlichen Beziehung ist vorhanden. Daran können wir anknüpfen. Selbst dann, wenn es zu einem definitiven Bruch und zu einer Scheidung gekommen ist, ist ein Neubeginn möglich. Wir dürfen als Kirche Menschen, die in zweiter Ehe leben, nicht ausschließen – ganz im Gegenteil! Es ist auch notwendig, die Pfarrgemeinden noch stärker in die Verantwortung für junge Paare einzubinden. Vor allem nach den meist schönen Trauungen den Kontakt mit den Paaren zu halten. Mein Fazit: Familien sind in ihrer Unterschiedlichkeit hundertprozentig Gottes Herzensanliegen in einer brüchigen Welt: Gott lässt niemanden fallen! 

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