Das ZDF hat am vergangenen Sonntag erstmals überhaupt einen queeren Gottesdienst live im Fernsehen übertragen. Es war ein froher, vom Ablauf und den liturgischen Formeln her unverfälscht katholischer Gottesdienst mit engagierten Gemeindemitgliedern der Queer-Gemeinde Münster, die diese Messe in der St.-Anna-Kirche im Münsteraner Stadtteil Mecklenbeck gefeiert haben. Man spürte, dass die Mitfeiernden es ehrlich meinten mit Gott – dass sie ihn suchen und ihn lieben, wie zwei Gemeindemitglieder in ihren Zeugnissen bekannten. Es ist richtig, was Papst Franziskus 2013 sagte und woran auch der Zelebrant der Messe, Carsten Weidisch, erinnerte: „Wenn eine Person homo ist, aber Gott sucht und guten Willens ist: Wer bin ich, über sie zu richten.“
Und dennoch warf diese heilige Messe nicht nur einige kritische Fragen auf, sondern zeigte auch ein Problem, das viele queere Glaubensinitiativen begleitet: das Kreisen um das eigene Verletzt-worden-sein und das Verharren in der eigenen Bubble. So droht ausgerechnet die vielbeschworene Vielfalt in eine neue Form von Abgrenzung, etwa gegenüber allen Nicht-Queeren, umzuschlagen. Und der Blick auf Christus und die Lehre der Kirche weicht dem eigenen Ego. Dass Papst Franziskus auch auf die geltende Lehre der Kirche verwies, der zufolge Homosexuelle zur Enthaltsamkeit aufgerufen sind, wurde nicht erwähnt.
„Lebe deine Wahrheit"?
Es ist gut und notwendig, dass die queeren Gläubigen daran erinnert haben, wie falsch es ist, über andere zu urteilen oder sie herabzusetzen. Es ist schön zu sehen, dass sie trotz manch erlittener Verletzungen dem katholischen Glauben treu bleiben. Und es ist notwendig, dass die Kirche aufmerksam, würdevoll und pastoral auf Menschen mit gleichgeschlechtlicher Orientierung zugeht. Doch diese pastorale Öffnung darf nicht mit einer inhaltlichen Umdeutung der kirchlichen Lehre und Botschaft Jesu verwechselt werden. Kirche ist gebunden an Offenbarung, Tradition und das Vermächtnis Jesu.
Wenn Pfarrer Weidisch in seiner Predigt also ermutigte: „Sei du selbst, stehe zu dir, lebe deine Wahrheit, bring sie ein in diese Welt. Sei so, wie du bist, unterwegs,“ dann klingt dies zwar empathisch und ermutigend. Es entsteht jedoch zum einen auch der Eindruck, das kirchliche Lehramt stelle alle Lebensformen sakramental gleichwertig nebeneinander. Zum anderen rückt diese Aussage den Menschen anstatt Christus ins Zentrum. „Deine Wahrheit“ kann es aus christlicher Sicht nicht geben, wenn Christus selbst die Wahrheit ist (vgl. Joh 14,6), der allein Maßstab für Leben und Glauben sein soll. Unsere Identität und unsere Wahrheit liegen in Christus, nicht in uns selbst oder unserer sexuellen Orientierung.
Verletzlichkeit darf nicht zum geistlichen Kompass werden
Auch sollten die eigenen Verletzungsgeschichten weder zum geistlichen Kompass noch zum Kern einer Messe werden. In Münster stellten sie den roten Faden dar. In Fürbitten, Predigt und Zeugnissen war von Diskriminierung und Anfeindung von queeren Personen die Rede. Erlittenes Unrecht ist sicher ernst zu nehmen. Doch der Maßstab des Christen bleibt nicht das eigene Leid, sondern Jesu Wort. Hier zeigt sich ein geistliches Missverständnis: Der Wunsch nach Anerkennung kann leicht den Blick auf Umkehr und Nachfolge verstellen und von Christus auf das eigene Ich verschieben.
Dies zeigte sich auch in der Auslegung des Gleichnisses von Pharisäer und Zöllner. Weidisch konzentrierte sich allein auf die Selbstgerechtigkeit des Pharisäers – und unterschlug die eigentliche Pointe: die Demut des Zöllners, der seine Schuld erkennt und sich für Umkehr und für die Freundschaft mit Gott öffnet. Wer nur auf die „Selbstgerechten“ zeigt, läuft Gefahr, selbst selbstgerecht zu werden. So fehlte auch die Frage, wie die Anwesenden die eigene Bedürftigkeit gegenüber dem Herrn im Blick auf die eigene Sexualität sehen — egal welcher Orientierung.
Wahrheit und Liebe gehören zusammen
Wenn die Eucharistiefeier — wie hier geschehen — zum Ort der Selbstvergewisserung wird, verkennt sie den Sinn der Liturgie. Die Messe ist aber keine Bühne für gesellschaftspolitische Agenden, sondern Feier des Heilsgeheimnisses. Die Sorge um LGBTQ-Menschen stellt ein echtes pastorales Anliegen dar. Doch darf es in der heiligen Messe nicht um den Menschen und seine Verletzungen, um Vielfalt oder Identitätspolitik gehen, sondern um Christus, der sich für uns geopfert und uns erlöst hat.
Die Kirche ist gerufen, alle Menschen mit Wahrheit und Liebe auf ihrem Weg zu Christus zu begleiten. Wahrheit ohne Liebe wird hart, Liebe ohne Wahrheit wird beliebig. Darauf fehlte in der Queer-Messe jeglicher Hinweis. Doch nur, wo Wahrheit und Barmherzigkeit einander die Hand reichen, können echte Versöhnung und geistliches Wachstum geschehen.
Zudem bekennt sich die Kirche längst zur unantastbaren Würde jedes Menschen. Würde steht aber, wie die Liebe, nie ohne Wahrheit. Nur, wo dieser Zusammenhang erhalten bleibt, behält die Kirche ihre geistliche Klarheit und Kraft – und Christus bleibt, was er ist: die Mitte aller Feier und der Herr seiner Kirche.
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