Was bleibt zu diskutieren, wenn nach einem zwischenzeitlich spannenden Wahlkampf die Erregungskurve wieder nach unten neigt, und die Umfragen keine nennenswerte Dynamik ausweisen? Um die „Zukunft“ sollte es beim „letzten Duell vor der Wahl“ zwischen Olaf Scholz und Friedrich Merz ganz staatstragend gehen, versprachen Jan Philipp Burgard und Marion Horn, die das Aufeinandertreffen am Mittwochabend auf Welt TV moderierten. Angesichts der jüngsten, krassen geopolitischen Umwälzungen hätte es zumindest außenpolitisch noch Vieles zu besprechen gegeben, was zuletzt unterbelichtet blieb.
Wie etwa gedenkt sich ein künftiger Kanzler zur Frage europäischer Truppen in der Ukraine zu positionieren, jetzt, da offensichtlich ist, dass die Amerikaner kein Problem mit einer Lösung im Sinne Russlands haben? Es wäre ein für beide Kandidaten unangenehmes Thema von existenzieller Bedeutung gewesen, das, wie auch beide Politiker zugaben, ihnen momentan gar den Schlaf raube. Doch statt hier inhaltlich zu vertiefen, entschied sich der Sender, noch einmal Wirtschaft und innere Sicherheit beziehungsweise Migration zum Thema zu machen. Entsprechend gutgelaunt-routiniert lief dann das letzte „Kanzlerduell“ auch ab. Neue Erkenntnisse blieben am Ende des Duell-, Quadrell- und Fragemarathons also aus, gerade der Herausforderer Friedrich Merz blieb blass.
Nur heiße Luft
Beispiel Bürgergeld: Der Begriff sei „falsch“, werde als bedingungsloses Grundeinkommen verstanden, kritisierte Merz. Besser sei „neue Grundsicherung“. Inhaltliche Spezifika einer Bürgergeldreform blieb der CDU-Kandidat jedoch schuldig. „Das zeigt, dass dahinter nur heiße Luft ist“, kommentierte Scholz nicht unzutreffend. Es brauche mehr öffentlich geförderte Jobs, schlug der Kanzler, ebenfalls wenig überzeugend, vor. Doch von Merz kam außer der Beteuerung, Faulenzertum nicht zu „akzeptieren“, gar nichts Konkretes.
Harte Ansagen vermied Merz auch in Sachen Migration. Scholz‘ routiniertes, zum x-ten Male dargebotenes Eigenlob in Sachen Migration konterte er mit Verweis auf 500 Gefährder, für deren Abschiebung es kein Instrument gebe. „Die laufen da draußen frei rum“. Und es gebe 40.000 sofort Ausreisepflichtige, aber die könne man natürlich nicht alle in Abschiebegewahrsam nehmen, weshalb man sich auf die Straftäter konzentrieren solle. Klingt reichlich zahm nach Merz zwischenzeitlicher Bundestagseskalation mit AfD-Stimmen und dem „5-Punkte-Plan“, welcher ja die sofortige Inhaftierung von ausreisepflichtigen Personen beinhaltete? War es auch.
Ob er denn einen Koalitionsvertrag nur dann unterschreiben werde, wenn seine fünf Punkte dabei seien, wollte Horn folgerichtig von Merz wissen. „Ja, wir müssen den Zuzug begrenzen, die Vorschläge dazu habe ich gemacht“, fing Merz an, und konkreter wurde es nicht. „Wir müssen in den nächsten vier Jahren zwei große Probleme dieses Landes lösen, das ist die Migration und das ist die Wirtschaft“. Andernfalls werde man 2029 „endgültig in den Rechtspopulismus abrutschen“. Er sei daher „sehr klar“, dass er nur einen Koalitionsvertrag unterschreiben werde, in dem die Migrationswende und die Wirtschaftswende enthalten seien. Die Wiederholung von Forderungen wie der nach dem „faktischen Einreiseverbot“ vermied Merz.
„Man muss nicht immer alles sagen“
Apropos Koalitionsvertag: Die zuletzt mit dem unerwarteten Aufstieg der Linkspartei wahrscheinlicher werdende Option einer linken Koalition unter Scholz‘ Führung wies dieser um Größenordnungen weniger kategorisch zurück als Merz etwa Minderheitsregierungen unter Duldung durch die AfD. Er könne sich „überhaupt nicht vorstellen“, mit BSW und Linker zu koalieren, das seien schließlich Parteien, die die Ukraine alleinlassen wollten, weshalb diese Möglichkeit „außerhalb aller Debatten“ sei. Nachfrage Burgard: „Also Sie würden ausschließen, mit einer der beiden Parteien im Bund zu koalieren?“ Antwort Scholz: „Das ist kein Plan, den irgendjemand von uns hat, und deshalb braucht man da sich auch keine Sorgen machen. Ganz klar. Eindeutig, Ja. Ich habe mich sehr klar geäußert.“ Den politrhetorischen running gag, sich selbst immer dann große Klarheit zu attestieren, wenn diese gerade nicht aus den eigenen Worten hervorging, hatte Merz also nicht gepachtet.
Unklar blieb auch die Auflösung der großen Gretchenfrage, vor der die CDU nach der Wahl aller Voraussicht nach stehen wird: Mit wem will sie den Politikwechsel, von dem nach Merz ja immerhin das Überleben der politischen Mitte abhinge, eigentlich durchsetzen? Mit den Ampelparteien Rot und Grün? Auch im letzten großen Duell fiel Merz dazu nicht mehr ein als magisches Denken: wenn nur der Abstand der CDU zu ihren Koalitionspartnern groß genug werde, würden diese seinen Weg „möglicherweise doch auch im eigenen Interesse mitgehen“. Passend dazu formulierte Merz seine Antwort auf eine der Schlussfragen, ob es schlimmer sei zu lügen, oder belogen zu werden: „Man muss nicht immer alles sagen, was man weiß, aber was man sagt, muss stimmen“.
Offenbar meint Merz zu wissen, dass er der nächste Kanzler wird. Und dass sein Politikwechsel gerade an der Seite einer marginalisierten, auf vorzeigbare Erfolge angewiesenen SPD eine nahezu unlösbare Aufgabe werden dürfte, muss man ja vor der Wahl nicht sagen.
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