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Ethan Coen: Stilistische Vielfalt ist der rote Faden seines Schaffens

Von "Fargo" über "The Big Lebowski" bis hin zu "No Country For Old Men": Zum 65. Geburtstag des oscarprämierten Drehbuchautors und Regisseurs. Ethan Coen.
Filmszene aus  „Fargo: Blutiger Schnee“ (1996)
Foto: inlander.com | Mit „Fargo: Blutiger Schnee“ (1996) gelang Ethan und Joel Coen der große Durchbruch. Frances McDormand verkörpert die hochschwangere Polizistin Marge Gunderson, die zwei stümperhafte Killer unnachgiebig verfolgt.

Mit „Fargo: Blutiger Schnee“ (1996) schafften die Brüder Ethan und Joel Coen den endgültigen Durchbruch: Der Film wurde in sieben Kategorien für den Oscar nominiert und konnte in zwei davon (Bestes Originaldrehbuch, Beste Hauptdarstellerin) gewinnen. Für das Drehbuch zeichneten die beiden Brüder verantwortlich.

Der am 21. September 1957 in St. Louis Park, einem Vorort von Minneapolis, Minnesota als Sohn eines Professorenehepaars geborene Ethan und sein drei Jahre älterer Bruder Joel traten lange Zeit in ihren Filmen als eine Art Produktionsgemeinschaft auf: Ethan wurde als Produzent, Joel als Regisseur aufgeführt, aber eine strikte Trennung gab es in ihrer Arbeit nicht, zumal sie das Drehbuch und manchmal auch den Schnitt mit dem Pseudonym „Roderick Jaynes“ gemeinsam verantworteten.

„Bereits ihr erster Langspielfilm zeichnet sich durch die skurrilen Gestalten,
aber auch durch die Bezüge auf andere Filme aus,
hier etwa die Parallelen in Licht- und Tonführung zu ‚Blade Runner‘“

Dass Ethan Coen an der Princeton-Universität Philosophie studierte, erklärt das Hintergründige an Filmen, die lediglich vordergründig blutige Groteske sind, wofür eben „Fargo“ besonders steht. Wenn in der unendlichen Schneelandschaft Minnesotas zwei stümperhafte Verbrecher an ihrer eigenen Unfähigkeit sowie an der beharrlichen Polizeiarbeit einer von Joels Ehefrau Frances McDormand dargestellten hochschwangeren Polizistin scheitern, ist dies eher ein satirischer Kommentar zur conditio humana. Zu „Fargo“, wie zu den meisten ihrer Filme, gehören aber insbesondere auch eine eigenwillige, lakonische Erzählweise und ein surrealistischer Humor.

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Im Kern waren diese Eigenschaften bereits in ihrem Spielfilmdebüt „Blood Simple – Eine mörderische Nacht“ (1984) enthalten, der beim renommierten Sundance-Filmfestival den Großen Preis der Jury gewann. Nicht die Handlung – Ehedrama, Versicherungsbetrug, Psycho-Thriller –ist das Besondere an „Blood Simple“, sondern eher die Hommage an den „Film noir“ der 1940er Jahre, der allerdings insofern mit den Traditionen des Genres bricht, als der Zuschauer statt mit den Protagonisten mitzufiebern, ihnen stets einen Schritt voraus ist. Bereits ihr erster Langspielfilm zeichnet sich durch die skurrilen Gestalten, aber auch durch die Bezüge auf andere Filme aus, hier etwa die Parallelen in Licht- und Tonführung zu „Blade Runner“ (Ridley Scott, 1982). Der Weg im Thriller-Genre von „Blood Simple“ zu „Fargo“ führt durch „Miller's Crossing“ (1990), der europäische Vorbilder zitiert, und „Barton Fink“ (1991), der in Cannes als bislang einziger Film die drei Hauptpreise (Goldene Palme, Beste Regie, Bester Darsteller) gewinnen konnte. „Barton Fink“ erzählt von einem jungen, naiven Autor, der nach seinem ersten Erfolg am New Yorker Broadway von Hollywood als Drehbuchautor engagiert wird, und in einen mysteriösen Mordfall gerät.

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Abrechnung mit Hollywoods Studios

„Barton Fink“ ist eine bitterböse Abrechnung mit dem „Studio-System“ der sogenannten goldenen Zeit Hollywoods. Die Tristesse des schäbigen Hotels, wo Barton Fink untergebracht ist, verweist auf die Skrupellosigkeit des kommerzorientierten Kinos. Die sich unter der schwülen Hitze lösende Tapete etwa wird zur Bildmetapher für den Mythos Hollywood. Den Oscar für den Besten Film gewannen Ethan und Joel Coen – neben dem für Bestes Drehbuch und Beste Regie – mit „No Country for Old Men“ (2007). Der Film um einen Psychopathen und Auftragsmörder lässt Anklänge sowohl an die klassischen Western von Sam Peckinpah als auch an die „Spaghetti“-Western Sergio Leone erkennen. Schwarzer Humor, groteske Pointen, ein gewisser Lakonismus ... erinnern unweigerlich an „Fargo“. Einen Ausflug ins klassische Western-Genre lieferten Ethan und Joel Coen 2010 mit „True Grit“, einer Neuverfilmung des gleichnamigen Romans von Charles Portis (1968), der erstmals 1969 mit John Wayne in der Hauptrolle unter dem Titel „Der Marshal“ verfilmt wurde.

Die Filme der Brüder Coen besitzen jedoch eine ungeheure Bandbreite und eine große stilistische Vielfalt: Von der Actionkomödie „Arizona Junior“ (1988) über die Satire auf die Geschäftswelt „Hudsucker – Der große Sprung“ (1994) und die skurrile Komödie im Althippie-Milieu „The Big Lebowski“ (1998) bis hin zur Südstaaten-Odyssee „O Brother, Where Art Thou?“ (2000). Ein völlig anderes Genre bediente Ethan und Joel Coen mit „Inside Llewyn Davis“ (2013), der aus einer Woche im Leben eines wenig erfolgreichen Folkmusikers im New York der 1960er Jahre erzählt: Eine mit einer Reihe Coen-typischer Charaktere bevölkerte Tragikomödie mit einem ebenfalls Coen-eigentümlichen Sinn für Humor. Die Coen-Brüder arbeiteten außerdem als Drehbuchautoren für andere Regisseure, darunter für Steven Spielberg in „Bridge of Spies – Der Unterhändler“ (2015).

Getrennte Wege nach Jahrzehnten Zusammenarbeit

Nach Jahrzehnten der Zusammenarbeit gehen die Brüder getrennte Wege: 2001 brachte Joel „Macbeth“ als Drehbuchautor, Regisseur und Produzent auf die Leinwand. Ethan, der in diesem Jahr den Dokumentarfilm „Jerry Lee Lewis: Trouble in Mind“ herausgebracht hat, arbeitet ohne seinen Bruder Joel an einem eigenen Projekt, das sich in der Postproduktion befinden soll.
Am 21. September wird Ethan Coen 65 Jahre alt.

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