Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Völkermord

Spielfilm „Quo vadis, Aida?”: Die Weltgemeinschaft hat versagt

Der Spielfilm „Quo vadis, Aida?” rekonstruiert das Massaker von Srebrenica 1995 aus der Perspektive einer UN-Dolmetscherin.
Dolmetscherin mit Megaphon
Foto: Christine A. Maier | Als Dolmetscherin für die UN-Friedenstruppen befindet sich Aida (Jasna Durièi) in den chaotischen Zuständen, als sich Mitte Juli 1995 die Armee der „Republika Srpska“ der bosnischen Kleinstadt Srebrenica nähert.

Die bosnische Regisseurin Jasmila Žbanić gewann mit ihrem Spielfilmdebüt „Esmas Geheimnis (Grbavica)“ (DT vom 6.7.2006) bei den Filmfestspielen Berlin 2006 den Goldenen Bären. Durch eine eher distanzierte Kameraführung zeigt der Film unaufdringlich die Wunden des Bosnienkrieges: die zerschossenen Häuserfassaden und vor allem das Leid der vergewaltigten Frauen.

In ihrem aktuellen Film „Quo Vadis, Aida?“ behandelt die in Sarajevo geborene Jasmila Žbanić eine besonders grausame Episode des Bosnienkriegs, die Einnahme der Kleinstadt Srebrenica durch die serbische Armee, aus der Sicht der UN-Dolmetscherin Aida (Jasna Durièi).

Lesen Sie auch:

Genozid in Srebrenica

Der Name Srebrenica steht für das schwerste Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg: Unter der Führung von Ratko Mladić von der Armee der „Republika Srpska“ wurden mehr als 8 000 Menschen hingemetzelt und in Massengräbern verscharrt. Die Vereinten Nationen stuften das Massaker von Srebrenica als Genozid ein. Mladić konnte viele Jahre untertauchen, wurde aber schließlich 2011 gefasst und im November 2017 vom Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien des Völkermords für schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt.

In „Quo vadis, Aida?“ ist zwar Mladić (Boris Isaković) mehrfach zu sehen, allerdings eher in einer Nebenrolle. Denn Žbanićs Film erzählt aus der Sicht von Aida und ihrer Familie. Sie arbeitet als Dolmetscherin für die niederländischen UN-Truppen, die zum Schutz der bosnischen Bevölkerung vor der Armee der „Republika Srpska“ nach Srebrenica entsandt wurden, und in der Nähe der Stadt ihr Hauptquartier aufgestellt haben.

„Žbanić zeigt darüber hinaus
die unrühmliche Rolle der UN-Friedenstruppe“

Als Dolmetscherin hat die Frau mittleren Alters Zugang zu wichtigen Informationen, muss aber abwägen, was davon richtig, was aber – in der heutigen Sprache – „Fake News“ ist. Denn dies könnte überlebenswichtig für ihren Mann Nihad (Izudin Bajrović) und die zwei Söhne sein. Als sich die Truppen von Ratko Mladić der Stadt nähern, stellen sich die Zusicherungen der Blauhelme als Makulatur heraus. Die gesamte Bevölkerung versucht, ins Hauptquartier der UN-Truppen zu kommen, wodurch Chaos ausbricht. Denn selbstverständlich ist dort nicht Platz genug für alle. Eine erste Zuspitzung erfolgt, als Aidas Ehemann, Direktor der örtlichen Schule, zusammen mit einigen wenigen Bewohnern Srebrenicas die Stadt bei den Verhandlungen mit Mladićs Armee vertreten soll.

Im Gegensatz zu Žbanićs Erstlingsfilm „Esmas Geheimnis (Grbavica)“ ist in „Quo vadis, Aida?“ die Kamera nah an den Protagonisten; sie filmt häufig sogar aus der Mitte des Geschehens heraus. Dabei unterstützt die Kamera entscheidend das Drehbuch in der Eskalation der Ereignisse, die dann Mitte Juli 1995 ihren furchtbaren Höhepunkt erreichen.

Ohne Gegenwehr von der serbischen Armee überrollt

 

Žbanić zeigt darüber hinaus die unrühmliche Rolle der UN-Friedenstruppe, die völlig überfordert, von ihren Vorgesetzten ausgeliefert und von der Armee der „Republika Srpska“ nicht nur überrollt, sondern regelrecht gedemütigt werden. In dieser Hinsicht erinnert „Quo vadis, Aida?“ an „Shooting Dogs“ (DT vom 19.5.2007), den Film über das Massaker in Ruanda 1994, nur ein Jahr vor dem Genozid von Srebrenica.

Die Perversität eines solchen Krieges unter Nachbarn wird an wenigen, aber eindrücklichen Stellen deutlich. So etwa, als bei der erwähnten Verhandlungen zwischen Mladićs Truppen und den Vertretern von Srebrenica ein serbischer Offizier in einer Verhandlungsführerin eine ehemalige Klassenkameradin wiedererkennt. Oder auch, als ein serbischer Soldat realisiert, dass Aida seine ehemalige Lehrerin war.

Ein hochdekorierter Film

Žbanićs Film feierte seine Premiere 2020 im Rahmen der 77. Internationalen Filmfestspiele von Venedig, wo er in den Wettbewerb um den Goldenen Löwen eingeladen und mit dem „SIGNIS Award“ der „World Catholic Association for Communication“ ausgezeichnet wurde. Darüber hinaus wurde der Film für den Oscar 2021 als „Bester internationaler Film“ nominiert. Zu den vielen Auszeichnungen, die „Quo vadis, Aida?“ erhielt, zählt auch der Hauptpreis beim „Internationalen Frauenfilmfestival Dortmund/Köln“ 2021.

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
José García Massaker von Srebrenica UNO

Weitere Artikel

Israel weiß sich in einem Mehrfrontenkrieg gegen die Verbündeten des Iran. Es könnte ihn militärisch gewinnen, aber politisch verlieren.
03.01.2024, 18 Uhr
Stephan Baier
Der Exodus der Karabach-Armenier ist eine humanitäre Tragödie, und zugleich eine historische. Ein Kommentar.
05.10.2023, 07 Uhr
Stephan Baier

Kirche

Die deutschen Bischöfe werden beim Synodalen Ausschuss wohl keine kirchenrechtskonforme Lösung finden. Das Mehrheitsprinzip eröffnet einen rechtsfreien Raum.
25.04.2024, 11 Uhr
Regina Einig