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„Antisemitismus ist in der Rap-Szene weit verbreitet“

Der jüdische Rapper Ben Salomo stieg wegen am eigenen Leib erfahrenen Antisemitismus aus der deutschen Rap-Szene aus. Im Interview erklärt er, weshalb Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem ist – und wie er diesem die Stirn bietet. 
Rapper Ben Salomo kritisiert Judenfeindlichkeit in der Musikindustrie und der Gesellschaft
Foto: www.bensalomo.de | Deutsch-Rap als potenzielles Einfallstor für antisemitische Aussagen: Rapper Ben Salomo kritisiert Judenfeindlichkeit in der Musikindustrie und der Gesellschaft.

Ben Salomo ist jüdischer Rapper und lebt in Berlin. Schon in der frühen Phase seiner Musikerkarriere thematisiert er seine jüdische Identität in seinen Liedern. 2018 zog er sich aufgrund des persönlich erfahrenen Antisemitismus aus der deutschen Rap-Szene zurück. Heute veröffentlicht er seine Musik Plattenlabel-unabhängig über die Sozialen Medien und hält Vorträge an Schulen und Bildungseinrichtungen zur Antisemitismusaufklärung und -prävention.

Herr Salomo, Sie sind Musiker – genauer gesagt Rapper – und sind damit recht erfolgreich. Besonders bemerkenswert ist, dass Sie als bekennender Jude Ihre jüdische Identität auch offen in Ihrer Musik und in Ihren Texten thematisieren. Welchen Stellenwert nimmt Ihre jüdische Identität für Sie ein?

Meine jüdische Identität spielte schon immer eine Rolle in meinem Leben. Meine Familie war zwar nicht besonders religiös, aber unsere jüdische Kultur war trotzdem präsent. Gewisse Ereignisse wie die Bar Mizwa und einige der größeren jüdischen Feiertage waren wichtig. Durch den jüdischen Kindergarten und später die jüdische Gemeinde hatte ich immer Kontakt zur jüdischen Kultur. Dennoch haben wir uns nicht sonderlich von den anderen hier in Berlin unterschieden. Als ich anfing, Musik zu machen und meine ersten Rap-Texte schrieb, flossen ab und zu unterschwellig Elemente meiner jüdischen Identität ein. Mit dem Alter hatte ich mehr das Gefühl, ein Ausdrucksmittel für meine Perspektive zu brauchen - auf meinem ersten Album „Es gibt nur Einen“ von 2016 tauchte es besonders deutlich auf. Es spielt darauf an, dass ich bis zu dem Zeitpunkt der erste und einzige öffentlich bekennende Jude in der deutschen Rap-Szene war. Damit nahm ich eine kritische Haltung zum Antisemitismus in der deutschen Gesellschaft und Musikszene ein. Heute spielt in jedem meiner Lieder die jüdische Perspektive eine wesentliche Rolle.

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Sie haben sich aus der deutschen Rap-Szene zurückgezogen, in der Antisemitismus zum Alltag gehört. Wie äußert sich dieser Antisemitismus konkret beziehungsweise wie kann man ihn sich vorstellen?

Zunächst muss klar sein, dass die Rap-Szene nicht nur aus Rappern besteht. Sie sind nur die sichtbare Spitze des Eisbergs. Da kommen antisemitische Aussagen in Musikvideos, Texten und auf Social Media nicht selten vor. Dazu gehören die Verbreitung von Verschwörungserzählungen, sei es im Text, oder in der audiovisuellen Bildsprache der Musikvideos. Hinter den Rappern stehen Management, Labels, Produzenten et cetera, die diese Aussagen durch ihre Zuarbeit unterstützen. Sie sind Teil des Systems und im besten Fall schweigen sie zum von den Künstlern artikulierten Antisemitismus. Im schlimmsten Fall unterstützen sie ihn, indem sie strukturell zuliefern. Viele Rapper verbreiten Israelhass in Texten und Aussagen hinter den Kulissen, womit der Kunstraum verlassen wird. Das ist nicht mehr nur eine Rolle, sondern man geht in die reale Sprecherrolle. Und ganz unten steht die Fanbase, der fruchtbare Boden, auf den diese Narrative letztlich fallen. So entsteht dieser Kreislauf, der den Antisemitismus in der Rap-Szene zu einem strukturellen Problem macht. Die Rapper geben dieses Gedankengut weiter, diese Lügen und Gerüchte über Juden. Und die Fans nehmen diese Lügen und Gerüchte auf. So schleichen sich diese judenfeindlichen Ansichten bei Leuten ein, die eigentlich von sich aus keine antisemitische Haltungen haben. 

"Für mich war der Antisemitismus deutlich zu spüren, w
eil ich als einziger Jude in dieser Szene
zu einer Projektionsfläche für all
diese antisemitischen Hirngespinste wurde."

Wie hat sich dieser Antisemitismus-Kreislauf in der Rap-Szene auf Sie ausgewirkt?

Für mich war der Antisemitismus deutlich zu spüren, weil ich als einziger Jude in dieser Szene zu einer Projektionsfläche für all diese antisemitischen Hirngespinste wurde. Als Macher von „Rap am Mittwoch“ (ein ehemaliges dreiwöchentlich stattfindendes Rap-Internetfernsehformat, das in verschiedenen Städten audiovisuell aufgezeichnet wurde, Anm. der Redaktion) wurde mir angehängt, ich beute die Rap-Szene aus. Auf mich wurde dieses Narrativ des jüdischen Ausbeuters projiziert. Als Israeli wurde ich wie ein außenpolitischer Sprecher Israels behandelt, dabei wurde ich dort nur geboren - aufgewachsen bin ich in Deutschland. 

Mit welchem Blick betrachten Sie gegenwärtig Israel?

Ich bin insofern solidarisch mit Israel, dass das Existenzrecht Israels für mich absolut indiskutabel ist. Das reicht manchen schon, um mich mit Anfeindungen gegen Israel zu konfrontieren. Es ging so weit, dass mein Auto in Berlin vor „Rap am Mittwoch“ in Brand gesteckt wurde. Damit ist mir ein deutliches Signal gesendet worden, wie willkommen ich in dieser Szene war. Je erfolgreicher ich mit meiner Veranstaltung wurde, desto mehr wurde ich diesen Leuten ein Dorn im Auge. Weil sie sich einbildeten, mein Erfolg rühre daher, dass ich Jude bin. Diese Vorstellung, Juden seien alle gleich und miteinander in einer politischen oder interessengemeinschaftlichen Agenda verbunden, ist weit verbreitet. Das ist aber Schwachsinn, weil Juden auch Individuen sind. Es heißt nicht umsonst: zwei Juden, drei Meinungen. In der Rap-Szene ist diese verzerrte Wahrnehmung der Juden leider sehr weit verbreitet. 

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Wie ist es möglich, dass antisemitische Texte oder Haltungen in der deutschen Musikszene geduldet oder gar gefeiert werden, insbesondere vor dem deutschen Versprechen des "Nie wieder"?

Es gibt Menschen in Deutschland, die von diesem „Nie wieder“ nichts wissen wollen. Dann gibt es weitere Menschen, die nicht wissen, was damit gemeint ist. Nur wenige wissen, dass es eigentlich „nie wieder Antisemitismus“ bedeutet. Der Antisemitismus führt zu Krieg. Nie wieder Konzentrationslager? Okay, aber wie kam es zu Konzentrationslagern? Die Vorstufen dahin sind die Verbreitung von solchen Lügen und Gerüchten über Juden, ihre Religion, Bräuche oder über jüdische Einzelpersonen. In der modernen Form des Antisemitismus zielt die Verleumdung und Propaganda auf die jüdische Nation Israel. Im „Spiegel“ gab es vor einigen Jahren eine Titelstory, in der man vom jüdischen Leben in Deutschland als „die unbekannte Welt nebenan“ schrieb. Dabei unterscheiden sich die meisten Juden nicht von der Mehrheitsgesellschaft. Antisemitische Haltungen prägen immer noch die Wahrnehmung. Da wundert es nicht, dass irgendwelche Rapper ebenfalls Ansichten haben und sie in der Musik verbreiten. Ich habe Antisemitismus in diesem Land erlebt, seit ich elf Jahre alt bin. Der Antisemitismus Index zeigt deutlich, dass Juden pro Kopf die meisten Diskriminierungen erfahren. Es ist unfassbar, wir reden von hunderten antisemitischen Vorfällen pro Tag. 


Gibt es zum Antisemitismus denn auch Kritik aus der Szene, gibt es Resonanz oder wird es einfach nur zur Kenntnis genommen? 

Es gibt kaum Kritik. Nur ein paar wenige Künstler äußern sich musikalisch gegen Antisemitismus. Dazu zählt die Antilopen Gang, die vor kurzem diesen großartigen Song „Oktober in Europa“ veröffentlicht hat. Ansonsten kommt keine Kritik. Insbesondere im Gangsta-Rap (ein Musikgenre, das klischeehaft die Lebensumfeld eines Gangsters beschriebt, Anm. der Redaktion) wird Antisemitismus verteidigt oder behauptet, das sei Kunstfreiheit. Teilweise wird versucht, mit Strategien der Täter-Opfer-Umkehr den Antisemitismus zu relativieren. In etwa so, wie manche Politiker etwas Antisemitisches sagen, aber dann behaupten, sie seien keine Antisemiten. Es existieren leider nur wenige Stimmen, die sich im deutschen Rap kritisch zu antisemitischen Inhalten äußern. Ich bin eine davon, aber ich bin nicht mehr in der deutschen Rap-Szene, weil es dort zu wenig Solidarität gibt. 

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Deutsch-Rap wird von einem jüngeren Publikum viel und oft gehört. Stellen antisemitische Inhalte im Hip-Hop, Ihren Erfahrungen bei der Antisemitismusprävention an Schulen zufolge, eine Gefahr für das Weltbild und die Wahrnehmung Jugendlicher dar? 

Ich würde sagen, dass das definitiv eine Gefahr ist. Im Jahr 2021 hat die Universität Bielefeld eine Studie veröffentlicht, in der dargelegt wurde, dass 56 Prozent der Jugendlichen, die regelmäßig Gangsta-Rap hören, dazu neigen, antisemitischen und frauenverachtenden Aussagen zuzustimmen. Am Anfang nehmen sie das vielleicht nicht wirklich wahr. Aber wenn sie diese Inhalte regelmäßig im Gangsta-Rap hören, Fans dieser Rapper werden, ihnen auf Social Media folgen und sie sie als Idole sehen, die ihnen die Welt erklären und denen sie vertrauen, beginnen sie diese Ansichten zu übernehmen. Und das stelle ich auch bei meinen Veranstaltungen fest: Es gibt einige Jugendliche, die zugeben, viel Gangsta-Rap zu hören, und dann antisemitische Aussagen während der Veranstaltung reproduzieren - Dinge wie etwa, dass Terrororganisationen wie die Hamas oder Hisbollah Freiheitskämpfer sind. Sobald es um Juden geht, scheinen die geistigen Verrenkungen für einige Menschen logisch zu werden. Man könnte vielleicht sagen, Gangsta-Rap und die darin vermittelten Haltungen sind wie eine Einstiegsdroge, um dann in weitere problematische Ideologien reinzurutschen. Etwa wie Antisemitismus, Frauenverachtung, Homophobie, Demokratiefeindlichkeit, autoritäre ideologische Strukturen und Islamismus. Auch letzteres spielt im Gangsta-Rap leider immer wieder eine sehr große Rolle. 

Aus welcher politischen Richtung kommt Ihrer Meinung nach vor allem der Judenhass in Deutschland?

Er kommt aus allen Richtungen. Es gibt den linken, israelfeindlichen Antisemitismus, sowie den Islamistischen Antisemitismus. Und natürlich existiert auch der rechtsextreme Antisemitismus. Der islamistische und linke Antisemitismus, artikuliert sich besonders an Israel. Grundsätzlich sage ich aber, dass die Frage danach, aus welcher Ecke der Antisemitismus kommt, uns nur in die Irre führt. Denn es ist irrelevant. Letztendlich kooperieren alle antisemitischen Haltungen miteinander, egal aus welcher Richtung sie kommen. Durch das gemeinsame Feindbild des Juden und Israel reichen sich alle Extreme und die schweigende Mitte der Gesellschaft die Hände. Sie ergeben zusammen ein Gesamtbild des Antisemitismus, das immer brandgefährlich ist für uns Juden, aber auch für die Demokratie und unsere freiheitliche Gesellschaftsordnung.

Woran erkennt man Antisemitismus und wie geht man als Einzelperson am besten damit um?

Um wirkungsvoll auf Antisemitismus reagieren zu können, muss man den Antisemitismus zunächst erkennen. Das ist nicht immer einfach, insbesondere wenn man sich nicht intensiv mit dem Thema des Antisemitismus auseinandergesetzt hat. Darum ist es wichtig, sich darüber zu bilden, etwas Zeit zu investieren und auch Bücher dazu zu lesen. Ich würde die Definition der IHRA (International Holocaust Remembrance Alliance, Anm. d. Red.) zum Antisemitismus zu Grunde legen, die sehr hilfreich für das Erkennen von Antisemitismus ist. Und wenn man dann auf Grundlage dieser Definition Antisemitismus wahrgenommen und erkannt hat, ist es wichtig, zu widersprechen - deutlich ein Stoppzeichen zu setzen und nachzufragen, warum so etwas gesagt wird. Auch in den Sozialen Medien solche Kommentare nicht unkommentiert stehen lassen, sondern widersprechen und dagegen argumentieren. Denn es ist wichtig zu verstehen, dass Antisemitismus zwar mit uns Juden anfängt, da aber noch nicht aufhört. Wir sind die erste Gruppe, die das trifft - aber am Ende erfasst das unsere gesamte freiheitliche Gesellschaft und zerstört unsere Demokratie. Deswegen ist das Bekämpfen von Antisemitismus ein Auftrag an die ganze Gesellschaft. 

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