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Die Wahrheit über die Kreuzzüge

Bei manchen Gesprächen und Diskussionen werden die Europäer gern aufgrund des Einsatzes ihrer christlichen Vorfahren im Heiligen Land gerügt. Tatsächlich ging es damals oft brutal zu und die Päpste gaben den Rittern ihren Segen. Für einseitige moralische Schuldzuweisungen besteht aber kein Grund. Von Michael F. Feldkamp
Der Fall von Akkon im Jahr 1291: Ausschnitt eines Gemäldes von Dominique Papety
Foto: IN

Der Begriff „Kreuzzug“ wurde in den letzten Wochen und Monaten häufiger in der politischen Diskussion verwendet. 

Was waren die Kreuzzüge?

Bis heute assoziieren wir für gewöhnlich mit dem Begriff religiöse Fanatiker, die für eine vermeintlich gerechte oder richtige Sache einen heiligen Krieg führen und hierbei auch rücksichtslose Gewalt anwenden. Der historische Bezug sind dann tatsächlich die sogenannten Kreuzzüge des 12. und 13. Jahrhunderts, mit dem Ziel, die heiligen Stätten der Christenheit, die Orte, an denen der historische Jesus gewirkt hat und gestorben ist, aus den Händen islamischer Eroberer zu befreien.

Warum gab es die Kreuzzüge?

Die Idee zu derartigem kriegerischen Engagement im Heiligen Land ist älter. Schon Papst Gregor VII. (1187–1187) soll die Absicht zu einem Kriegzug ins Heilige Land gehabt haben. Der Investiturstreit behinderte die Ausführung.

Der Grund war offenbar: Seit dem 7. Jahrhundert war das ganze Heilige Land Ziel muslimischer Eroberungskriege. Zwar erfolgte die Übergabe der Stadt Jerusalem 638 an Kalif Omar noch gewaltlos, doch waren ihr grausame Feldzüge vorausgegangen, bei denen seit 634 die ländlichen Gebiete von Gaza bis Caesarea von muslimischen Kampfverbänden ausgeraubt und zerstört worden waren. Die Christen konnten sich im Heiligen Land nur halten, wenn sie hohe Kopfsteuern zahlten. Ihre religiösen Stätten wurden mit Ausnahme der Grabeskirche in Jerusalem zerstört oder in Moscheen verwandelt.

Aber auch der Bau der Grabeskirche verfiel zusehends. 938 war im Atrium der Grabesbasilika eine Moschee eingerichtet worden. Kurze Zeit später kam es zu antichristlichen Ausschreitungen in Jerusalem, bei denen die Grabeskirche geplündert wurde. 969 übernahmen dann fanatische schiitische Fatimiden aus Nordafrika die Herrschaft in Ägypten und Palästina und steckten die Grabeskirche in Brand. Die Kuppel stürzte ein und zerstörte die Rotunde über dem Grab. Bis 984 wurde die Rotunde schließlich notdürftig wiederhergestellt.

Eine erhoffte Rückeroberung Jerusalems durch den byzantinischen Kaiser scheiterte, worauf im Gegenzug die Übergriffe auf die Christen bis Anfang des 11. Jahrhunderts eine neue Eskalationsstufe erreichten. 1008 verbot der Kalif al-Hakim (996–1021) die Palmenprozession am Palmsonntag. Ein Jahr später gab er den Befehl, die Grabeskirche niederzureißen, sogar das Felsengrab wurde fast vollständig zerstört. Übrig blieb ein Trümmerfeld.

Der gleiche Kalif ließ jedoch schon bald darauf wieder Gottesdienste auf dem Trümmerfeld zu und erlaubte schließlich sogar den Wiederaufbau der Grabeskirche. Es ist anzunehmen, dass er damit den Frieden in seiner eigenen Familie wieder herstellen wollte, denn seine Mutter stammte aus einer christlichen Familie und sein Onkel Orestes war von 986 bis 1006 sogar Patriarch von Jerusalem gewesen. Um 1048 erstand auf Veranlassung von Patriarch Nikephoros I. (1020–ca. 1048) eine neue Grabrotunde; das Martyrion Konstantins des Großen blieb jedoch eine Ruine.

Der erste Kreuzzug

Als in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts die Christen im Heiligen Land wieder einmal massiv von Seldschuken und Fatimiden verfolgt wurden, rief Papst Urban II. (1088–1099) am 27. November 1095 auf der Synode von Clermont auf Drängen des oströmischen Kaisers Alexios I. Kommenos (1081–1118) zum Ersten Kreuzzug auf.

Drei Voraussetzungen trugen zum Erfolg des Kreuzzugsaufrufs bei. Erstens: Am Beginn stand ohne Zweifel die große Verehrung der Stadt Jerusalem, die seit dem Wirken Jesu Christi in der internationalen Pilgerbewegung ihren besonderen Ausdruck fand. Zweitens: Schon vor den Kreuzzügen war in Südfrankreich eine besondere Verkirchlichung des lokalen Rittertums erfolgt, das sich zum Schutz der Kirche und auch von Kirchgebäuden gebildet hatte. Stand für die Ritter der Schutz eines Gotteshauses zunächst im Mittelpunkt, war es durch den Kreuzzugsaufruf des Papstes gelungen, mit dem Rittertum eine europaweite Bewegung zu begründen. Der Papst machte sich das in Südfrankreich bewährte System zum Schutz von Kirche und Kirchbauten durch fromme Ritter zu nutze. Die Menschen, die dem Kreuzzugsaufruf folgten, wussten, wovon der Papst sprach, als er auf der Synode von Clermont zum Schutz der heiligen Stätten und zur Befreiung der Christen im Heiligen Land aufrief. Der Aufruf wirkte wie ein Ventil. Urban II. gelang es, die lange bestehenden Streitigkeiten unter den französischen Rittern und Adeligen zu beenden, indem er ihnen neue Herausforderungen eröffnete und ein gemeinsames neues Ziel vor Augen führte, für das es sich zu kämpfen lohnte.

Drittens: Der Erfolg der Massenbewegung bestand schließlich auch darin, dass die Päpste die Kreuzzüge an ihr Papstamt banden. Für ein erfolgreiches Mitwirken gewährten sie als Belohnung Privilegien und Ablässe. Darüber hinaus ermöglichten sie den Kreuzfahrern mit der Begünstigung des geistlichen Rittertums einen sozialen Aufstieg und Anerkennung. Hinzu kam, dass die Kreuzzüge nicht nur im Namen Gottes geführt wurden. Vielmehr ging es bei dem Krieg um die irdische Hinterlassenschaft Christi selbst, jene Orte, an denen er gewirkt hatte. Die Teilnahme am Kreuzzug wurde zum sichtbaren Ausdruck der imitatio Christi.

Konkretes Vorbild für die Kreuzzugsbewegung war aber auch der bei der spanischen Reconquista praktizierte enge Zusammenschluss örtlicher Ritter mit dem Papst, der für den „heiligen Kampf“ einen besonderen Ablass gewährte. Trotz des spanischen Vorbilds stellte sich der Erste Kreuzzug (1095–1099) für die Zeitgenossen als ein neuartiges Ereignis dar.

Das erste Kreuzfahrerheer erreichte drei Jahre nach dem Kreuzzugsaufruf am 7. Juni 1099 Jerusalem; der Chronist Raimund von Aguilers bezifferte es mit etwa 1 200 bis 1 500 Rittern sowie 12 000 Kämpfern. Die Eroberung von Jerusalem dauerte drei Tage. Wilhelm von Tyrus (1130–1186), der spätere Kanzler des Königreichs Jerusalem und einer der bedeutendsten Geschichtsschreiber des Mittelalters, berichtete – allerdings nicht aus eigener Anschauung – über die Eroberung der Stadt Jerusalem:

„Sofort nach dem Durchbruch durch die Mauer durchzogen der Herzog (Gottfried von Bouillon) und die Seinen, die Schwerter gezückt, mit Schild und Helm bedeckt, die Straßen und Plätze der Stadt. Alle Feinde, die sie finden konnten, streckten sie mit der Schärfe ihres Schwertes nieder, ohne auf Alter, Rang und Geschlecht Rücksicht zu nehmen. Überall lagen so viele Erschlagene herum, dass man keinen anderen Weg oder Durchgang finden konnte als über Leichen. So kamen unsere Fürsten, umgeben von kriegerischem Volk, auf verschiedenen Wegen in die Mitte der Stadt bis hin zum Tempel, drangen in sein Inneres ein und stießen dort nieder, was sie fanden, ohne jemanden zu schonen und erfüllten alles mit Blut.“

Was hier als blutrünstige Tat mit großer Dramaturgie und ohne zu moralisieren geschildert wird, ist von der historischen Forschung wiederholt als stark übertrieben zurückgewiesen worden. Dass das Gemetzel in Jerusalem drei Tage gedauert haben soll, scheint unwahrscheinlich. Es war wohl nur am selben und darauffolgenden Tag erfolgt. Die Zahl „Drei“ sollte möglicherweise einen mystischen Zusammenhang mit den drei Tagen zwischen Kreuzestod und Auferstehung Jesu Christi herstellen.

Zum Zeitpunkt der Eroberung haben in Jerusalem nur noch wenige Zivilpersonen gewohnt. Viele muslimische Bewohner waren längst nach Damaskus geflohen. Auch ist belegt, dass die gefangen genommenen Muslime nach Kairo, Alexandrien oder Askalon verkauft worden waren. Die Annahme, es könnte sich hier um zigtausende Gefallene handeln, scheint irrig und gar eine literarische Stilisierung der Geschichtsschreiber gewesen zu sein, die den Zeigeschmack bediente. Egal ob Könige, Ritter oder Pilger, so schreibt der Historiker Kaspar Elm, sie alle wollten die „bewusste Gegenüberstellung von Gewalttat und Frömmigkeit“.

Derartige Berichte finden sich umgekehrt auch bei arabischen Historikern, wenn sie beschreiben, wie muslimische Kämpfer ihre Siege über die Christen auskosteten, indem sie die Männer umbrachten sowie die Frauen vergewaltigten und dann versklavten. Die Grausamkeiten der Christen waren aus ihrer Sicht legitimiert durch die von Papst Urbans II. geschürten Ressentiments in Europa und schienen gerechtfertigt durch das hohe Bedrohungspotenzial, das vom Gegner ausging.

Der Dritte Kreuzzug

Das fränkische beziehungsweise lateinische Heer unterlag erst 1187 in der Schlacht bei Hattin dem ersten ägyptischen Sultan Saladin (1171–1193). Die Erinnerung an diese Schlacht, an der insgesamt über 60 000 Krieger beteiligt gewesen sein sollen, wird bis heute im arabisch-islamischen Kollektivgedächtnis gepflegt. Der von Kaiser Friedrich I. Barbarossa (1155–1190), König Richard I. Löwenherz von England (1189–1157) und König Philipp II. von Frankreich (1180–1223) durchgeführte Dritte Kreuzzug (1189–1192) führte immerhin zur Rückeroberung von Akkon, nicht aber zu der von Jerusalem. In Akkon bestand das sogenannte „Zweite Königreich Jerusalem“ bis 1292 weiter, auch wenn seit 1225 die Könige gar nicht mehr im Heiligen Land ansässig waren.

Die einander schnell abwechselnden Herrschaftsverhältnisse und damit verbundenen permanenten kriegerischen Auseinandersetzungen im Heiligen Land waren auch in Folge von erheblichen geopolitischen Veränderungen im gesamten Nahen Osten entstanden. In dieser Zeit drängten verschiedene zentralasiatische Volksgruppen in diese Gegend, so zum Beispiel die Türken von Konia, unterschiedliche Zweige der Seldschuken und die Choresmier. Manche neuen Sultanate und Territorialherrschaftsgebiete gingen schneller unter, als sie errichtet worden waren. Alle aber nahmen innerhalb kürzester Zeit den Islam an und entwickelten in ihrem neuen Glauben großen Fanatismus, der gegenüber Andersgläubigen – und eben auch gegenüber den Kreuzfahrerstaaten – zu massiven Feindseligkeiten führte.

Der Vierte Kreuzzug

1204 strebte Dschingis Khan († ca. 1227) die Weltherrschaft an; er übertraf alles bisher an Grausamkeiten erlebte. Zu dieser Zeit startete der Vierte Kreuzzug (1202–1204), in dessen Verlauf die christlichen Kreuzfahrer ausgerechnet das christliche Konstantinopel eroberten. Der von den Venezianern initiierte Vierte Kreuzzug galt als der merkwürdigste seiner Art; er war ohne die Zustimmung des Papstes durchgeführt worden und war Ausdruck der innereuropäischen Machtkämpfe zwischen der West- und der Ostkirche und nicht mit dem Islam.

Die damals in Konstantinopel geplünderten Schätze und Reliquien gehören heute noch zu den bedeutendsten venezianischen Sehenswürdigkeiten. Die Grausamkeiten der lateinischen Kreuzzügler gegen die Menschen und Einrichtungen der Ostkirche in Konstantinopel unterschieden sich nicht von jenen gegen den Islam. Und der Sacco di Roma von 1527 war dagegen langweilig!

Der Kinderkreuzzug

Nicht in der Zählung der Kreuzzüge enthalten ist der sogenannte Kinderkreuzzug von 1212, der mit der Versklavung tausender Jungen und Mädchen nach Alexandria endete.

Der Fünfte Kreuzzug

Im Fünften Kreuzzug 1217–1229 konnte die Stadt Damiette an der östlichen Nilmündung erobert werden. Im Vertrag zwischen Kaiser Friedrich II. (1194–1250, 1212 König; 1220 Kaiser) und Sultan al-Kamil (1180–1238, 1218 Sultan von Ägypten) 1229 wurde schließlich die Rückgabe eines Teils des Heiligen Landes und Jerusalems an die Franken vereinbart. 1244 wurde Jerusalem dann durch türkische Choresmier erobert und konnte auch im Sechsten Kreuzzug (1248–1254) von König Ludwig IX. „der Heilige“ von Frankreich (1214–1270, 1226 König) nicht zurückerobert werden. 1291 wurden die Kreuzfahrer mit dem Fall von Akkon durch den letzten Sultan von Ägypten aus der Dynastie der Ayyubiden, al-Malik al-Aschraf Muzaffar ad-Din Musa († 1254) dauerhaft aus dem Heiligen Land vertrieben.

Zwar bezieht sich der Begriff „Kreuzzug“ meist auf die kriegerischen Unternehmungen im Heiligen Land, doch schon im 13. Jahrhundert fand der Begriff Kreuzzüge auch auf andere Kriege des Papstes gegen innere und äußere Feinde der Kirche Anwendung; so zum Beispiel gegen die süditalienischen Normannen (1135), die Albigenser (1209–1229), die Serben (1227, 1234) und Stedinger Bauern (1234).

Keiner der Kreuzzüge war ein gewöhnlicher Krieg und keiner war ein „gerechter Krieg“ (bellum iustum) zur Sicherung von Recht oder gar Frieden, auch wenn sie alle im Namen Gottes geführt worden waren. Bassam Tibi kommt bei seinen Betrachtungen über die gegenseitigen Gewaltausübungen zwischen Islam und Christentum im Heiligen Land zu der Auffassung, dass heute wenigstens „jeder der beiden Parteien das Recht“ entzogen sei, „die anderen moralisch anzuklagen.“

Der Autor ist Historiker. In diesem Monat erscheint sein Buch „Vom Jerusalempilger zum Grabesritter“ über die Geschichte des Ritterordens vom Heiligen Grab. Patrimonium Verlag, 2016, ca. 240 Seiten, ISBN 978–3–86417-055-3, EUR 14,80

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