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Eggert-Orgel in der Berliner Herz-Jesu-Kirche

Die Eggert-Orgel in der Berliner Herz-Jesu-Kirche ist die älteste erhaltene Orgel in einer katholischen Kirche der Hauptstadt.
Eggert-Orgel in der Berliner Herz-Jesu-Kirch
Foto: Gierens | Der handgeschnitzte Eichenprospekt auf der Empore fügt sich harmonisch in die 1898 fertiggestellte Kirche ein.

Die Orgel ist das „Instrument des Jahres 2021“. Jedes Jahr verleiht die Konferenz der Landesmusikräte in Deutschland diesen Titel, um Neugier und Aufmerksamkeit für ein bestimmtes Instrument zu wecken. Aus diesem Anlass stellen wir Ihnen in einer Serie in unregelmäßigen Abständen interessante und außergewöhnliche Orgeln in deutschen Kirchen vor. Heute geht es in eines der bunten Szeneviertel Berlins. Im Stadtteil Prenzlauer Berg steht die Herz-Jesu-Kirche, 1897/98 mit frühchristlich-byzantinischen Elementen erbaut. Sie beherbergt die älteste erhaltene katholische Kirchenorgel Berlin: Eine neo-romantische Eggert-Orgel von 1899.

Diese Orgel sollte es eigentlich schon gar nicht mehr geben. In den 1980er Jahren begann die Gemeinde Herz Jesu im damaligen Ostteil Berlins, fleißig Geld für eine Neuanschaffung zu sammeln, erzählt Matthias Kohl. Er arbeitet als Sekretär und Verwalter im Pfarrbüro der Gemeinde, ist hier getauft worden und kennt die Kirche von Kindesbeinen an. Zwei Gutachter, so erzählt er, hatten dazu geraten, das altehrwürdige Instrument durch ein neues zu ersetzen. Die Orgel war im Laufe der Jahrzehnte stark beschädigt, zu DDR-Zeiten nie generalüberholt worden und litt unter den Trocknungsschäden durch die alte Kirchenheizung. Bereits im März 1980 bestellte die Pfarrei Herz Jesu eine neue Orgel bei der Firma Schuke in Potsdam, doch die wurde – glücklicherweise – nie geliefert.

„Der 1982 an die Gemeinde berufene Pfarrer Norbert Kaczmarek hatte erkannt,
welcher Schatz da auf der Empore der Kirche thront“

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Der Orgelbauer, so wollte es das SED-Regime, musste einen Großteil seiner Werke gegen harte Devisen in den Westen verkaufen. Wie Matthias Kohl berichtet, hat der Orgelbauer selbst von dem Geld nichts gesehen, aber der notorisch klamme Staat profitierte davon. Und die Gemeinde Herz Jesu war nicht in der Lage, hier preislich mithalten zu können. Außerdem sollte erst die Kirche renoviert werden, schließlich wollte man eine neue Orgel nicht unter ein undichtes Kirchendach stellen. Doch schon der 1982 an die Gemeinde berufene Pfarrer Norbert Kaczmarek hatte erkannt, welcher Schatz da auf der Empore der Kirche thront: Das größte noch erhaltene Instrument der damaligen Orgelbaufirma Franz Eggert aus Paderborn, 40 Register auf drei Manualen und Pedal, 2281 Pfeifen in einem wertvollen, handgeschnitzten Eichenprospekt.

Es gab sogar einen zaghaften Versuch, das Instrument über die Mauer hinweg zu restaurieren. Eggerts Nachfolgefirma Siegfried Sauer in Höxter (Nordrhein-Westfalen) bot einen Transport in die Bundesrepublik und eine Restaurierung an, doch die Gemeinde lehnte ab. Erst die Wende rettete die Orgel dann endgültig: Zwar war das Geld für die Neuanschaffung fast zusammengekommen, wurde durch die Währungsunion am 1. Juli 1990 aber um die Hälfte abgewertet. Dafür sollte die Orgel dreimal so teuer sein wie bisher. Die Bestellung von 1980 wurde storniert, die Eggert-Orgel war gerettet – und dennoch weiterhin in einem desolaten Zustand.

Je älter, desto dringender die Renovierung

Immer mehr Register fielen aus, eine Sanierung dringend notwendig – „wie ein Gebiss, in dem die Zähne fehlen“, erinnert sich Matthias Kohl. Doch nun gab es Fördergelder für die Kirchenrestaurierung – der Innenraum wurde gereinigt, eine neue Heizung angeschafft und das Landesdenkmalamt gab einen ordentlichen Zuschuss für die Renovierung. 1998 erhielt die Firma Scheffler aus Frankfurt (Oder) den Auftrag, doch die Gemeinde war mit dem Ergebnis nicht zufrieden, erzählt der heutige Organist Thorsten Putscher. Erst eine zweite Sanierung Anfang der 2000er Jahre durch die Firma Orgelbau Fleiter aus Münster brachte den gewünschten Erfolg.

Der Klang war ideal für das späte 19. Jahrhundert

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Dass Thorsten Putscher seit gut zweieinhalb Jahren in dieser Kirche seinen Dienst tut, hängt vor allem mit diesem besonderen Instrument zusammen, erzählt er im Gespräch. „Das war mit ein Grund, mich hier zu bewerben. Man bewirbt sich meistens zu einem Instrument.“ Denn die Eggert-Orgel ist ein Kind ihrer Zeit: Sie hat nicht die sonst üblichen hellen Klänge, sondern erklingt breiter, weicher – ideal für die Musik des ausgehenden 19. Jahrhunderts – Reger, Brahms, Schubert oder Schumann. „Auch barocke Musik klingt auf dieser Orgel gut“, weiß Thorsten Putscher. Er schätzt die besondere „Farbe“ dieses Instruments, das weiche, eher in die Breite gehende Klangbild. Dass diese Klangfarbe erhalten werden konnte, geht auf die Restaurierung der Nachwendezeit zurück. 1936 erhielt die Firma Steinmeyer in Oettingen (Bayern) den Auftrag, die Orgel dem damaligen Zeitgeschmack entsprechend klanglich „aufzuhellen“. 13 Register wurden verändert oder ausgetauscht, sodass die Orgel ihren ursprünglichen Charakter für einige Jahrzehnte verlor.

Heute ist das Instrument glücklicherweise wieder weitgehend im Originalzustand. Sogar die beiden Kalkanten (Balgtreter), mit denen das Gebläse der pneumatischen Kegelladen-Orgel angetrieben wurde, sind im Originalzustand erhalten und nach wie vor voll funktionstüchtig, wie Matthias Kohl in dem Turmraum neben der Orgel demonstriert. Notwendig sind sie schon sehr lange nicht mehr: 1912 genehmigte sich die Gemeinde einen Elektromotor, sodass keine kräftigen Männer mehr nötig waren, die mit Muskelkraft die Bälge treten mussten.

Das Filetstück ist eine der wenigen erhaltenen romantischen Orgeln

Heute finden regelmäßig Orgelkonzerte in Herz Jesu statt, um das Instrument, das zu den wenigen erhaltenen romantischen Orgeln in Deutschland gehört, der Öffentlichkeit zu präsentieren. Die Eggert-Orgel ist in der Hauptstadt schon ein „echtes Filetstück“, wie Organist Putscher betont. Und sie passe hervorragend in den riesigen Kirchenbau. Im Grunde habe sich der Architekt seinerzeit die Orgel zum Raum bestellt.

Eine solche Rarität zu erhalten, macht aber auch heute wiederum Arbeit. Im Sommer steht eine Generalreinigung an, um das Instrument auch künftig in seiner Klangfülle zu erhalten. Dass es dazu überhaupt kommen konnte, diesen Schatz bis heute zu bewahren, ist laut Gemeindesekretär Matthias Kohl auch ein Ergebnis der permanenten Mangelwirtschaft der DDR. „Armut“, so ist er überzeugt, „ist eben doch der beste Konservator.“


Herz Jesu, Fehrbelliner Str. 99, 10119 Berlin (Prenzlauer Berg), am U-Bahnhof Senefelderplatz.

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