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Westliche Missionare: Unter dem Schutz Europas

Als der „Mann am Bosporus“ krank war: Westliche Missionare im groß-syrischen Raum des 19. Jahrhunderts.
Christen der syrischen Kirche im Iran am Ende des 19. Jahrhunderts
Foto: via www.imago-images.de (www.imago-images.de) | Christen der syrischen Kirche im Iran am Ende des 19. Jahrhunderts.

Das Osmanische Reich sank als „kranker Mann am Bosporus“ ab Ende des 18. Jahrhunderts vom Schrecken der Christenheit zum Spielball der europäischen Mächte herab. Damals entfalteten die christlichen Staaten des Westens zahlreiche Aktivitäten im Osmanenreich und rivalisierten untereinander um Einfluss. Gerade der groß-syrische Raum – er umfasst neben dem Gebiet des heutigen Staates Syrien auch den Libanon, Palästina/Israel und Jordanien – bot zahlreiche Ansatzpunkte für europäische Interventionen. Die strategisch wichtige Lage an der Mittelmeerostküste und den Wegen zum Indischen Ozean, die heterogene, verschiedenen Religionsgemeinschaften angehörende Bevölkerung mit traditionell nach Westen orientierten christlichen Gruppen und die heiligen Stätten dreier Religionen in und um Jerusalem spielten hier eine Rolle.

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Osmanisches Reich

Religion und Politik waren seit jeher im Nahen Osten eng verflochten – durch seine Religionszugehörigkeit war die Stellung eines Menschen in der Gesellschaft definiert. Der sunnitische Islam war die Staatsreligion im Osmanischen Reich – es war per Definition ein „islamischer Staat“, in welchem anderen Religionen und ihren Anhängern, also etwa Christen, eine inferiore Position zukam. Gerade die christlichen Gemeinschaften suchten in diesem Kontext den Kontakt zu und die Zusammenarbeit mit Europa. Diese seit dem Mittelalter bestehenden Kontakte intensivierten sich im 19. Jahrhundert und gewannen an politischer Relevanz, mehr und mehr wurden die europäischen Staaten zu Schutzmächten orientalischer Christen. Denn mit zunehmendem Machtverfall des Osmanenreichs hatten die christlichen europäischen Staaten mehr Möglichkeiten, sich einzumischen und gerade die christlichen Minoritäten sahen ihre Position gestärkt.

Religion und Politik waren eng verflochten

1839 erließ der osmanische Sultan das Edikt von Gülhane, durch das die Rechtsstellung seiner nichtmuslimischen Untertanen wesentlich verbessert wurde. Zu dieser Maßnahme hatte die wachsende Unruhe gerade in den christlichen Provinzen des Osmanenreiches geführt und auch das Drängen der europäischen Mächte. Deren Christenschutzpolitik gewann nun an Momentum. Europäische religiöse Orden waren seit den Kreuzzügen im syrischen Raum. Im Zeitalter der „orientalischen Frage“ (19. Jahrhundert) verstärkte sich ihre Präsenz, vervielfachten sich ihre Aktivitäten, nahm ihr Einfluss auf die Christen des Orients zu. Dies wurde möglich unter dem Schutz der europäischen Mächte, die ihrerseits die Orden und ihre Geistlichen als Werkzeuge und Garanten ihres Einflusses in der Levante betrachteten. Im Laufe der Zeit gewann die Tätigkeit der europäischen Kleriker ein immer stärker politisches Profil, geriet in die Spannungen, Divergenzen und Rivalitäten der „orientalischen Frage“.

Frankreich stand im Zentrum der Christenschutzpolitik in Syrien, während, vor allem in anderen Teilen des Osmanischen Reiches, Russland seine orthodoxen Schützlinge unter seine Fittiche nahm. Die libanesischen Maroniten lagen im Mittelpunkt des französischen Interesses, sie waren seit den Kreuzzügen mit Rom uniert und bildeten einen wesentlichen Faktor für Frankreichs Rolle in der Levante. Katholische Missionare hatten aber auch zahlreiche Orthodoxe zur Konversion veranlasst, wodurch eine „griechisch-katholische“ (melchitische) Kirche entstanden war, für die sich Frankreich auch verantwortlich fühlte.

Nationale Interessen

Geistliche der katholischen Orden waren es, die die tägliche Kirchenarbeit leisteten, die Kontakte zu einheimischen Klerikern und zur christlichen Bevölkerung pflegten, die Bildungsarbeit betrieben und in vielen Lebensbereichen tätig waren. Deshalb war es Frankreich wichtig, dass diese Kirchenmänner im französischen Sinn tätig waren. Denn es gab durchaus Konkurrenz, etwa durch Österreich oder durch italienische Staaten wie Sardinien-Savoyen (das Königreich Italien wurde erst 1861 gegründet).
Frankreich betrachtete beispielsweise die Jesuiten mit Misstrauen, da diese oft zu unabhängig oder zu sehr im Interesse anderer Staaten agierten, jedenfalls im französischen Sinn nicht ganz zuverlässig waren. Paris vertraute eher auf die Lazaristen, wie der französische Zweig der „Congregatio Missionis“ hieß, die als sehr patriotisch und zuverlässig im französischen Geist galten.

Dabei waren Spannungen mit Russland vorprogrammiert, das als Protektor der Orthodoxen die katholischen Missionsaktivitäten nicht gerne sah. Auch in Jerusalem kam es immer wieder zu Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften, die dann Auseinandersetzungen zwischen ihren Schutzmächten zur Folge hatten. Bezeichnend ist, dass die Entfernung eines silbernen Sterns aus der Geburtskirche in Bethlehem zu einem konfessionellen Konflikt führte, der dann zum Auslöser des Krimkriegs wurde (1853–56), weil Russland ein generelles Christenprotektorat anstrebte. Belanglose Streitigkeiten religiöser Natur konnten zu großen internationalen Krisen eskalieren.

Geistliche aus Europa waren es, die schnell humanitäre Hilfe leisteten, wenn bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen oder andere Katastrophen dies erforderten. Auch hier standen Franzosen im Vordergrund, es gab Rivalitäten mit anderen europäischen Katholiken. Oft sammelten sie Spenden speziell für den Orient in Europa.

Schulen, humanitäre Hilfe und Politik

Aber auch in politischen Kontexten spielten Kirchenleute immer wieder eine Rolle. Ein Abbé Bourgade war beispielsweise aktiv involviert in die Erstellung und Verbreitung einer französischen Propagandazeitung im Orient des 19. Jahrhunderts, des „Aigle de Paris“. Als Maroniten um Munitionslieferungen aus Frankreich baten angesichts kriegerischer Auseinandersetzungen mit den Drusen im Libanongebirge, waren es französische Geistliche, die diesen Wunsch unterstützten. Besonders wichtig waren die Leistungen der Orden im Erziehungswesen. Zahlreiche Schulgründungen gehen auf sie zurück, wodurch sie die Möglichkeit schufen, nachhaltigen Einfluss in den Köpfen und Herzen zu verankern und eine Europa-orientierte Elite heranzuziehen. 1834 wurde in Ayntura, nach langem Vorlauf, ein Lazaristenkolleg gegründet, das zu der ersten höheren Bildungseinrichtung des Libanongebirges wurde. Eine Institution der Jesuiten ist die „Université Saint Joseph“, die 1875 gegründet wurde und noch heute einen hervorragenden Ruf hat.

Waren die Katholiken die Pioniere in der Ordens- und Missionsarbeit, kamen später auch evangelische Missionare dazu, welche oft englische oder preußische Unterstützung erhielten. Dazu kamen amerikanische Missionare, die 1866 das „Syrian Protestant College“ gründeten, aus dem die heute noch renommierte Amerikanische Universität Beirut hervorging. Der württembergische Pfarrer Johann Ludwig Schneller gründete 1860 das „syrische Waisenhaus“ in Jerusalem, Nachfolgeeinrichtungen entstanden im Libanon und in Jordanien, wo die „Schneller-Schule“ bis heute berühmt ist. Die Familie Schneller bildete eine regelrechte Dynastie im Orient und der Ur-Urenkel von Johann Ludwig Schneller, Dr. Martin Schneller, war deutscher Botschafter in Jordanien Anfang des 21. Jahrhunderts.


Der Autor ist Verfasser von „Frankreich und die syrischen Christen 1799–1861“, das 2021 als Kindle-Buch neu herausgegeben wurde.

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