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Attentat auf Johannes Paul II. : Warnschuss aus dem Osten?

Vor 40 Jahren trafen Johannes Paul II. drei Kugeln. Die Ostblockstaaten nahmen den Papst als Gefahr wahr und schleusten Geheimagenten als Priester getarnt in den Vatikan ein. Das Attentat nutzten sie, um gezielt Desinformationen zu streuen.
Papst-Attentat von 1981
Foto: Ansa (ANSA) | Am 13. Mai 1981 schoss der türkische Attentäter Ali Agca auf Papst Johannes Paul II.. Italienische Waffenexperten haben viele Jahre später festgestellt, dass mit den verwendeten Projektilen der Papst möglicherweise ...

Der sowjetische Diktator Josef Stalin fragte 1945 auf der Konferenz von Jalta: „Wie viele Divisionen hat der Papst?“ Es war seine witzig gemeinte Antwort auf den Vorschlag des britischen Premierministers Winston Churchill, Papst Pius XII. beim Aufbau einer europäischen Nachkriegsordnung einzubinden. Das Stalin-Zitat erhielt eine neue aktuelle Bedeutung, als am 16. Oktober 1978 der polnische Kardinals Karol Wojtyla zum Papst gewählt wurde. Dieser hatte zwar immer noch keine Divisionen.

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Geheimagenten der Ostblockstaaten in kirchlichen Einrichtungen

Doch Papst Johannes Paul II. war vom ersten Tag seines Pontifikats von den kommunistischen Ostblockstaaten als große Gefahr wahrgenommen worden. Das wurde vor den Augen der ganzen Welt spätestens offenbar, als er Anfang Juni 1979 zu einer apostolischen Reise in sein Heimatland Polen kam und in seinen Predigten und Ansprachen dem polnischen Volk eine bessere Zukunft in Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit verhieß. Angesichts der politischen Unruhen und Auseinandersetzungen mit den kommunistischen Machthabern wurden solche Botschaften von den über 20 Millionen herbeigeströmten Gläubigen als Ermutigung und Einladung aufgefasst, sich an den von der polnischen Gewerkschaftsbewegung Solidarnosć angeführten nationalen Protestbewegungen zu beteiligen.

Nahezu alle östlichen Geheimdienste hatten seit Ende des Zweiten Weltkrieges damit begonnen, Agenten in den kirchlichen Einrichtungen und im Vatikan zu platzieren beziehungsweise anzuwerben. Dies war auch deswegen möglich geworden, weil der Heilige Stuhl an einer Internationalisierung der Kurienmitarbeiter interessiert war und seit Papst Johannes XXIII. vermehrt auch Osteuropäer als Mitarbeiter beschäftigte. Selbstverständlich war es bekannt, dass als Priester und Priesteramtskandidaten aus Osteuropa getarnte Agenten gekommen waren. Viele wurden enttarnt, weil ihr Lebensstil nicht den Idealvorstellungen eines Priesters entsprach.

Keine Beteiligung der Priesteragenten an dem Attentat

Die Lebenserinnerungen des aus Polen stammenden russischen Topagenten und Priesteramtskandidaten im Jesuitenorden, Tomasz Turowski, der noch vor seiner Priesterweihe 1984 vom KGB abgezogen wurde und inzwischen im spanischen Exil lebt, belegen das gesteigerte Interesse der osteuropäischen Geheimdienste seit Amtsantritt des polnischen Papstes. Die meisten dieser Priester waren sprachbegabt, erwarben sich als Übersetzer das Vertrauen der päpstlichen Kurie und bekamen auf diese Weise Zugang zu vertraulichen und geheimen Dokumenten. Aber solche Priesteragenten waren an dem Attentat auf Papst Johannes Paul II. am 13. Mai 1981 unbeteiligt, sie wussten nicht einmal von derlei Vorbereitungen.

Der türkische Attentäter Mehmet Ali Agca war 18 Monate vor dem Attentat aus weiterhin ungeklärten Gründen aus einem Gefängnis in der Türkei entkommen, wo er die Strafe für einen Auftragsmord der rechtsradikalen „Grauen Wölfe“ an einen liberalen Journalisten verbüßen sollte. Bestens geschützt und gut organisiert, hielt sich Ali Agca nun in verschiedenen, meist osteuropäischen Ländern auf. Seine dortigen Begegnungen waren im Nachhinein nur schwer zu rekonstruieren; es gehörte mit zur Tarnung des Attentäters. Offenbar ging es während dieser Reisen mehrfach um die Bedrohungen für den Warschauer Pakt, die vom Papst ausgingen. So wurde Ali Agca von verschiedenen Menschen indoktriniert und radikalisiert, ohne dass es je einen konkreten Mordauftrag gegeben hatte.

Sollte der Papst nur verletzt, aber nicht getötet werden?

Doch nachdem Ali Agca unmittelbar nach der Tat auf dem Petersplatz überwältigt und festgenommen wurde, war er es selbst, der gegenüber Journalisten und auch später im Prozess immer wieder falsche Fährten legte. Dazu gehörte auch die von ihm gestreute Information – oder besser: Desinformation –, er sei in Bulgarien „ausgebildet“ worden. Der italienische Richter, der Ali Agca zu lebenslanger Haft verurteilte, äußerte später: Ali Agca habe ständig geschauspielert und alle an der Nase herumgeführt. Er sei kein Killer gewesen und nicht verrückt, zwar exzentrisch, aber bei klarem Verstand. Und noch etwas stand von Anfang an fest: Ali Agca war kein Einzeltäter.

Italienische Waffenexperten haben viele Jahre später festgestellt, dass mit den verwendeten Projektilen der Papst möglicherweise nur verletzt aber nicht getötet werden sollte. Dann wäre dieses Attentat nur eine Warnung an den Papst gewesen, eine Warnung an den politischen Gegner osteuropäischer Staaten, die – wie etwa Polen – kurz vor dem Kriegszustand und schließlich vor der Auflösung standen? Das klingt unglaubwürdig. Aber Ali Agca hatte auch dieses im Prozess behauptet.

Schweigen deutscher Vatikan-Journalisten

Die auf den Vatikan angesetzten Agenten entwickelten nach dem Attentat derartig umfangreiche Aktivitäten wie selten zuvor. Es wurden Informationen gesammelt und Desinformationen gestreut. Die Desinformationskampagne des US-amerikanischen Geheimdienstes CIA war aufgegangen, demzufolge der Bulgarische Geheimdienst das Attentat zu verantworten hätte. Diese Geschichte war so gut erzählt, dass sie anschließend als geheimdienstliches Ermittlungsergebnis an die CIA zurück gelangte und im politischen Washington als glaubwürdig erachtet wurde. Die Hyperaktivitäten der Geheimdienste in Rom erwecken in der Rückschau den Eindruck, als wenn die auf den Vatikan angesetzten Agenten endlich mal was zu tun bekamen, statt immer nur Papstworte und zur Veröffentlichung vorbereitete Enzykliken übersetzen und in die osteuropäischen Hauptstädte schicken zu müssen.

Auffallend schweigsam waren nach der bisherigen Aktenlage die drei Agenten der Staatssicherheit der DDR. Sie kamen alle aus der Bundesrepublik Deutschland und arbeiteten im Hauptberuf als Journalisten für die deutsche Ausgabe der Vatikanzeitung L'Osservatore Romano oder für die Kirchliche Nachrichtenagentur (KNA). Erst im Herbst 1981 berichteten sie wieder.

Papst JP II. nach Attentat anerkannt

Der Heilige Stuhl änderte seine diplomatische Agenda gegenüber dem Ostblock nach dem Attentat nicht. Warum auch: Der Papst hatte ja überlebt. Johannes Paul II. war zeitlebens zutiefst davon überzeugt, dass er seine Rettung der Muttergottes zu verdanken hatte, die am 13. Mai 1917, also 64 Jahre zuvor, in Fatima erschienen war. Tausende Römer hatten sich am Abend des Attentats und in den Tagen danach zum Gebet für den Papst auf dem Petersplatz versammelt. Ärzte der Gemelli-Klinik in Rom hatten für sein Überleben gekämpft. Italienische Staatsanwälte und Richter, die vorher an spektakulären Mafia-Prozessen beteiligt waren, befassten sich hochprofessionell mit dem Attentäter und möglichen Hintermännern. Eine Veränderung brachte das Attentat dann doch mit sich: Für die Italiener war der Pole auf dem Stuhle Petri, mit dem sie bis dahin gefremdelt hatten, plötzlich einer der Ihrigen geworden – wenn auch „un Italiano di Polonia“.

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