Beim Gebet des Angelus am Festtag des heiligen Stephanus hat es Papst Leo selbst gesagt: „Wer heute an den Frieden glaubt und den unbewaffneten Weg Jesu und der Märtyrer gewählt hat, wird oft lächerlich gemacht, aus der öffentlichen Debatte verdrängt und nicht selten beschuldigt, Gegner und Feinde zu begünstigen. Der Christ hat jedoch keine Feinde, sondern Brüder und Schwestern, die auch dann Brüder und Schwestern bleiben, wenn man sich nicht versteht.“
Der Papst selbst war der Erste, der es gewagt hat, in seinen Ansprachen zu Weihnachten für einen Frieden zu werben, an den die mediale Öffentlichkeit im Westen nicht mehr so richtig glaubt. Dabei meinte er nicht den Frieden der Engel oder der Erlösten im Jenseits, auch nicht die Totenruhe, wenn Sieger wie Besiegte ins Grab gesunken sind, sondern den Frieden auf Erden, jetzt und in der Welt, wie sie heute ist.
Mit dem Frieden ist nichts verloren
Und er tat das, indem er den Gedanken einer langen päpstlichen Tradition, dass „mit dem Frieden nichts verloren ist, mit dem Krieg aber alles verloren sein kann“ (Pius XII.), mit dem verband, um den sich bei der christlichen Weihnacht alles dreht: um den Fleisch gewordenen Sohn Gottes – an den im Westen erst so recht kaum noch einer glaubt. Ob man in Papst Leo damit einen Mahner gegen die Kriegsrhetorik der Großen (Donald Trump hat das Pentagon gerade in „Kriegsministerium“ umbenennen lassen) oder einen einsamen Propheten in einer gottvergessenen Zeit sehen will: Jedenfalls hat er lautstark und unüberhörbar sein Amt und seine Person ganz in die Waagschale der christlichen Botschaft zu Weihnachten geworfen, dass Jesus Christus der Friedensfürst ist und auch heute in der Geschichte wirkt, wenn die Seinen ernst machen mit dem, was im Evangelium steht.
Es war nicht mehr der Trubel und Schwung des Heiligen Jahrs, der die weihnachtlichen Feiern trug. Die Heiligen Pforten sind bis auf die im Petersdom inzwischen geschlossen, der Strom der Wallfahrer, der das Jahr über Massen nach Rom und zu den päpstlichen Basiliken geführt hatte, ist in den Weihnachtstagen abgebrochen. Die Heilige Nacht feiert man zu Hause in den Familien, nicht auf Pilgerfahrt. Bevor am Heiligen Abend um 22 Uhr die Christmette begann, hatten sich einige Tausend Menschen vor dem Petersplatz eingefunden. Sie standen wortwörtlich im Regen, in der Vatikanbasilika war kein Platz mehr für sie.
Die erste Lektion: Eine Liebe, die verändert
Papst Leo kam eigens zu ihnen heraus, auf die Altarinsel vor der Fassade des Doms, um ihnen seinen „Respekt und Dank“ für ihr Kommen auszusprechen. „Jesus Christus, der für uns geboren worden ist, bringt uns den Frieden, bringt uns die Liebe Gottes“, sagte der Papst zu der Menge. Damit war das Grundthema dieser Tage angesprochen. Hineinbitten in die Basilika konnte er seine Zuhörer nicht, 6.000 Menschen, darunter Hunderte von Geistlichen, füllten den Petersdom bis auf den letzten Platz.
Vor ihnen entfaltete Leo XIV. seine erste Botschaft als Papst zu Weihnachten: Nicht von einer Kirche, die den Menschen „ein Stück weit begleitet“, sondern vom neuen Leben, das alle erfassen und durchdringen will: Weihnachten sei „nicht eine Idee für die Lösung jedes Problems, sondern eine Geschichte der Liebe, die uns miteinbezieht. Angesichts der Erwartungen der Völker sendet er ein Kind, damit es ein Wort der Hoffnung sei; angesichts des Leids der Armen sendet er einen Wehrlosen, damit er Kraft zum Aufstehen sei; angesichts von Gewalt und Unterdrückung entzündet er ein mildes Licht, das alle Kinder dieser Welt mit Heil erleuchte.“
Gott habe sich den Menschen ähnlich gemacht und damit die unendliche Würde jedes Einzelnen offenbart. „Während der Mensch Gott werden will, um über seine Mitmenschen zu herrschen“, so der Papst, „will Gott Mensch werden, um uns von jeder Knechtschaft zu befreien. Genügt uns diese Liebe, um unsere Geschichte zu verändern?“
Genau diese Frage kam einem bei den Feiern mit dem Papst im weihnachtlichen Rom immer wieder in den Sinn: Können die Christen den Lauf der Geschichte ändern, wenn alles nur noch auf Abschreckung und Aufrüstung setzt, auf die Gewalt der Waffen, um die Konflikte dieser Welt zu lösen?
Die zweite Lektion: Das Mitleiden als erster Schritt
Am Morgen des Weihnachtstags die zweite Predigt des Papstes: Bis Mitte der neunziger Jahre hatte Johannes Paul II. die Messe auch am Weihnachtsmorgen im Petersdom zelebriert, dann ließ es seine Gesundheit nicht mehr zu. Die Päpste Benedikt und Franziskus ließen dann ebenfalls einen Kardinal die morgendliche Weihnachtsmesse feiern, aber Leo XIV. nahm jetzt die alte Tradition wieder auf.
Den Prolog des Johannesevangeliums vom Wort, das Fleisch geworden ist, deutete der Papst im Spiegel der heutigen Zeit. Dieses Fleisch sei in der Nacktheit eines Kindes erschienen, sowohl in Bethlehem wie später auf Golgotha habe ihm sogar das Wort gefehlt. Doch „das menschliche Fleisch verlangt nach Fürsorge, es ruft nach Annahme und Anerkennung, es sucht nach Händen, die zu Zärtlichkeit fähig sind, und Köpfen, die bereit sind, Aufmerksamkeit zu schenken, es sehnt sich nach guten Worten“.
Für Papst Leo ist die Aufmerksamkeit für die Not der anderen der erste Schritt: Angesichts der Hilflosigkeit vieler Menschen weltweit beginne der Friede mit dem Mitleiden, mit der Annahme des gebrechlichen Fleisches. „Dabei kommen uns unweigerlich die Zelte in Gaza in den Sinn“, sagte der Papst, „die seit Wochen dem Regen, dem Wind und der Kälte ausgesetzt sind, ebenso wie die Zelte vieler anderer Flüchtlinge und Vertriebener auf allen Kontinenten oder die notdürftigen Unterschlüpfe Tausender Obdachloser in unseren Städten. Gefährdet ist das Fleisch der wehrlosen Bevölkerungen, die unter den zahlreichen noch andauernden oder schon beendeten Kriegen leiden, die Trümmer und offene Wunden hinterlassen haben.“
Leo XIV. appellierte an die Gläubigen, sich von dieser Not wirklich berühren zu lassen, das sei der Anfang jeden Wegs zum Frieden: „Wenn die Hilflosigkeit anderer unser Herz berührt, wenn der Schmerz anderer unsere felsenfesten Überzeugungen zum Einsturz bringt, dann beginnt schon der Friede. Der Friede Gottes entsteht aus einem Schrei, der wahrgenommen wird, aus einem Weinen, das gehört wird: Er entsteht inmitten von Ruinen, die nach neuer Solidarität rufen, er entsteht aus Träumen und Visionen, die als Prophetien den Lauf der Geschichte wenden.“ So motiviere das Weihnachtsfest aufs Neue eine missionarische Kirche und führe sie auf die Wege, die das Wort Gottes ihr vorgezeichnet habe: „Wir dienen keinem anmaßenden Wort – davon gibt es schon überall genug –, sondern einer Gegenwart, die das Gute weckt und dessen Wirksamkeit kennt.“
Die dritte Lektion: Sich verantworten
Die dritte Ansprache des Papstes zu Weihnachten kam dann gleich im Anschluss an die Messe, beim Segen „Urbi et orbi“, den Papst Leo am Donnerstag von der Loggia aus spendete. „Bereits bei der Geburt Jesu“, sagte er vor einem Millionen von Menschen umfassenden Weltpublikum, „zeichnet sich die grundlegende Entscheidung ab, die das gesamte Leben des Sohnes Gottes bis zu seinem Tod am Kreuz bestimmen wird: die Entscheidung, nicht uns die Last der Sünde tragen zu lassen, sondern sie selbst für uns zu tragen, sie auf sich zu nehmen. Das konnte nur er tun.“
Aber gleichzeitig habe Christus auch gezeigt, was jeder Einzelne tun könne, nämlich jeweils seinen Teil der Verantwortung zu übernehmen. So wie Gott den Menschen ohne sein Zutun erschaffen habe, zitierte Papst Leo den heiligen Augustinus, so könne er uns nicht ohne unser Zutun retten, „das heißt ohne unseren freien Willen zur Liebe. Wer nicht liebt, wird nicht gerettet, er ist verloren“. Wer seinen Bruder nicht liebe, den er sehe, könne Gott nicht lieben, den er nicht sehe. „Schwestern und Brüder“, fasste Papst Leo zusammen, „dies ist der Weg des Friedens: die Verantwortung. Wenn jeder von uns – auf allen Ebenen –, anstatt andere zu beschuldigen, zuerst seine eigenen Fehler erkennen und Gott um Vergebung bitten und sich gleichzeitig in die Lage der Leidenden versetzen und sich mit den Schwachen und Bedrängten solidarisieren würde, dann würde sich die Welt verändern.“
Bei seinen Friedensgrüßen begann der Papst mit dem schlimmsten Krieg: „Wir beten besonders für das leidende ukrainische Volk: Möge das Dröhnen der Waffen verstummen und mögen die beteiligten Parteien, unterstützt durch das Engagement der internationalen Gemeinschaft, den Mut finden, einen ehrlichen, direkten und respektvollen Dialog zu führen.“ Er betete für alle, die unter Ungerechtigkeit, politischer Instabilität, religiöser Verfolgung und Terrorismus leiden: „Ich denke dabei besonders an unsere Brüder und Schwestern im Sudan, im Südsudan, in Mali, Burkina Faso und in der Demokratischen Republik Kongo.“
Dann nannte er Lateinamerika, bat für „die geliebte Bevölkerung von Haiti, dass jede Form von Gewalt im Land ein Ende findet“, erwähnte Kambodscha und Thailand, Myanmar und rief Jesus Christus für „die Völker Südasiens und Ozeaniens an, die von den jüngsten verheerenden Naturkatastrophen schwer heimgesucht wurden, welche ganze Bevölkerungsgruppen hart getroffen haben“. Am Ende dann das Heilige Land und die vielen Menschen, die alles verloren haben: die Bewohner von Gaza, das jemenitische Volk und alle, „die aus ihrer Heimat fliehen, um anderswo eine Zukunft zu suchen, wie die vielen Flüchtlinge und Migranten, die das Mittelmeer überqueren oder den amerikanischen Kontinent durchqueren“. Zuletzt richtete Papst Leo seinen Friedensgruß zu Weihnachten an die Gläubigen auf dem Petersplatz und an die Millionen, die den Segen „Urbi et orbi“ über die Medien verfolgten. Nicht in 60 Sprachen, wie das noch Johannes Paul II. und Benedikt XVI. getan hatten, aber immerhin auf zehn: Italienisch, Französisch, Englisch, Deutsch, Spanisch, Portugiesisch, Polnisch, Arabisch, Chinesisch und Latein.
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