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Obiora Ike: „Ihr könntet das Feuer der Kirche in Afrika haben“

Ein Gespräch über den Synodalen Weg in Deutschland und den Beitrag Afrikas für die Zukunft der Kirche.
Obiore Ike
Foto: Michaela Koller | Obiore Ike liest die Zeichen der Zeit anders als der katholische Mainstream in Deutschland.

Monsignore, Ihr nigerianischer Landsmann Francis Kardinal Arinze hat einen Brief zusammen mit mehr als 70 anderen Bischöfen an die deutschen Mitbrüder im Amt gerichtet. Daraufhin gab es hierzulande bereits kritische Reaktionen. Teilen Sie die darin vorgebrachten Sorgen?

Dieser Brief ist als geschwisterliche Ermutigung und Dialogbeitrag für unsere Freunde in der Kirche in Deutschland und nicht als Kritik zu verstehen. Synodos heißt ja „zusammen gehen“ und nicht, dass der eine zu schnell rennt und der andere zu langsam ist.

Wir sollten gemeinsam einen Weg beschreiten. Es geht um die eine heilige, katholische und apostolische Kirche. Darum ist es wichtig, auf Vorgänge in einem Land im Einvernehmen, in Treue und mit Klarheit zu reagieren. Wir haben das Evangelium, Christus und den Geist Gottes schließlich gemeinsam empfangen. Damit müssen wir Trends in Einklang bringen. Die Unterzeichner schreiben die Wahrheit aus Liebe. Wenn man nicht die Wahrheit hören will, möchte man nicht geliebt werden.

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Die Absender warnen davor, dass der Synodale Weg in Deutschland in eine Sackgasse führe....

Der Synodale Weg in Deutschland muss sich im Kontext des weltweiten synodalen Dialogs, zu dem Papst Franziskus aufgerufen hat, vollziehen. Wenn es nur ein Synodaler Weg für Deutschland wäre, wüsste ich nicht, wie es ausgehen würde. Wenn es aber um den Weg der gesamten römisch-katholischen Kirche geht, dann führt dieser Beitrag mit seiner Orientierung derzeit in Deutschland selbstverständlich in eine Sackgasse. Menschen, denen ich in Afrika von diesen Positionen berichtete, fragten mich, ob ich über Protestanten spreche.

Ich antwortete: Nein, das sind Katholiken. Dann fragten sie mich, warum sie nicht übertreten, denn bei den evangelischen Christen sind diese Forderungen ja schon umgesetzt. Es hat ihnen aber nicht mehr Anhänger gebracht. Diese Meinungen und Wünsche, die da geäußert wurden, werden also nicht ankommen. Die Kirchen in anderen Ländern werden das nicht mittragen, da Jesus Christus für sie Priorität hat und damit die Verbreitung des Evangeliums, in dem Sinne, sich nicht der Welt anzugleichen, sondern die Welt durch den Geist Gottes zu verändern.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, verteidigt den Synodalen Weg in Deutschland und betont die Notwendigkeit, sich der „systemischen Ursachen des Missbrauchs und seiner Vertuschung zu stellen, der so vielen Menschen in der Kirche und durch die Kirche unsägliches Leid zugefügt hat“. Sehen Sie einen anderen Weg als den hierzulande begangenen, um dieses Anliegen verfolgen zu können?

Mit vollem Respekt für Bischof Bätzing, aber das war nicht das zentrale Thema. Wenn es wirklich nur um die Missbrauchsfälle und die Vertuschung ginge, könnte man zum Beispiel auch eine Untersuchungskommission einsetzen. Zudem sind auch andere Ortskirchen von diesem Thema betroffen, teilweise noch stärker. Der Synodale Weg in Deutschland hat sich vielmehr mit vielen Themen beschäftigt, die die Weltkirche betreffen.

Befürchten Sie auch eine Kirchenspaltung?

Eine Kirchenspaltung sehe ich nicht. In der Kirche in Deutschland gibt es verschiedene Meinungen und unter den Bischöfen verschiedene Strömungen.

In dem erwähnten Brief heißt es etwa, dass sich der Synodale Weg sehr auf das Thema „Macht“ fokussiere. Welche Zeichen der Zeit erkennen Sie in Deutschland aus Ihrem weltkirchlichen Blickwinkel?

Eine Kirche muss die Zeichen der Zeit erkennen und sie im Licht des Evangeliums deuten. Zu den Herausforderungen in Europa zählen leere Kirchen, erheblicher Glaubensverlust und wenig familienfreundliche, alternde Gesellschaften, in denen Technik eine umso stärkere Rolle spielt und Menschen ersetzt. Die Menschen in Deutschland versuchen, darauf Antworten, die im Trend liegen, zu geben. Das hilft aber nicht weiter. Die Menschen rennen weiter der Kirche davon, während die Kirchen in Afrika Stadien füllen. Ich habe in meiner Pfarrei sieben Messen am Sonntag. Und im Juni werden 29 junge Männer allein in unserer Diözese zu Priestern geweiht.

Warum ist das so?

...weil die Menschen in einer afrikanischen Kirche von Jesus sprechen. Es geht um den gekreuzigten und auferstandenen Christus und das Evangelium. Darauf fokussieren wir uns und das ist das, was wir zu bieten haben. In den Zeiten der Coronakrise haben wir nicht weniger, sondern mehr Messen gefeiert, um Abstand einhalten zu können und die Gläubigen nicht vor den Fernseher geschickt, damit sie davor sitzen und die Messe anschauen können. Das ist in Europa zum Habitus geworden.

"Die Kirche muss noch viel mehr Medienarbeit leisten
und Journalisten entsprechend ausbilden."

Was wäre dann der afrikanische Beitrag zur Reform der Kirche?

Afrika ist die Zukunft der Weltkirche. Bald werden wir hier zwei Milliarden Menschen sein. Für die afrikanischen Bischöfe gibt es fünf Hauptpunkte für den Synodalen Weg. Das ist zunächst die Verkündigung. Jesus Christus ist der Grund unseres Glaubens und ihn sollten wir verkündigen, den gekreuzigten und auferstandenen Christus, das Brot des Lebens.

Zweitens: Die Kirche von Afrika möchte den Dialog miteinbringen, wie schon bei der ersten Afrika-Synode 1994: den innerkirchlichen Dialog, den Dialog unter den Christen unterschiedlicher Bekenntnisse, den Dialog mit Andersgläubigen, auch Atheisten, mit der Welt, zwischen Kirche und Politik. Im Dialog sollten wir uns nicht selbst aufgeben, sondern unsere Identität und unseren Charakter bewahren. Drittens sprechen die Bischöfe in Afrika sehr stark von Inkulturation. Das bedeutet, Jesus in unserer Kirche und unserer Gesellschaft zu verankern und somit, uns in Tugenden zu üben wie Wahrhaftigkeit, Geduld, Bereitschaft zu verzeihen und sich zu versöhnen sowie Frieden zu stiften.

Viertens müssen die Massenmedien „getauft“ werden. Die Kirche muss noch viel mehr Medienarbeit leisten und Journalisten entsprechend ausbilden. Wir brauchen unsere eigenen Fernseh- und Radiosender, um die Wahrheit gegen Fakenews und politisch gefärbte Halbwahrheiten zu setzen.

Der fünfte Punkt ist die Förderung der ganzheitlichen menschlichen Entwicklung. Dazu muss die Kirche zum Beispiel die Einhaltung der Menschenrechte und eine gute Staatsführung einfordern und dabei das Leben in den Mittelpunkt stellen.
Die Europäer müssen lernen, wenn sie alt und müde sind, den Laden nicht kaputt zu machen, sondern der jungen und frischen Kirche in Afrika, die dem Evangelium noch treu ist, Arbeit abzugeben. Sie sollten sie nicht durch neokoloniale Machenschaften bedrängen.

Wie kann denn ein echter Dialog zwischen den Teilkirchen verfestigt werde?

Die katholische Kirche hat ein Büro für synodale Angelegenheiten. Der Papst ruft eine Synode aus. Während der Vorbereitung erfolgt eine Zusammenfassung dessen, was die Gläubigen zu den Themen beigetragen haben, bevor sich die Bischöfe zu Beratung und Abstimmung zusammenfinden. Wir haben in einer Synode kein Parlament, sondern erleben eine betende, vom Heiligen Geist geleitete, dialogische Freundschaft. Dieser Dialog beginnt mit der Anhörung des Heiligen Geistes im Gebet. Somit ist ein echter Dialog im System der Kirche vorhanden.

Die Kirchen in Afrika bieten die Entsendung ihrer Geistlichen in die Kirchen an, wo Mangel an Berufungen herrscht. Ihr könntet das Feuer der afrikanischen Kirche bei euch haben, mehr heilige Messen feiern und es gebe keine eucharistische Fastenzeit. Dialog bedeutet, zu geben und zu nehmen. Eure Missionare brachten das Evangelium nach Afrika und wir haben es angenommen. Jetzt bieten wir Priester an; aber die meisten Bischöfe lehnen diesen Einsatz ab und setzen lieber Laien ein.


Der Priester und Sozialwissenschaftler Obiora Ike aus Nigeria ist ein Brückenbauer zwischen seinem Herkunftsland und seinem deutschen „Heimatland“, wie er es selbst nennt. Er promovierte in Bonn und ist Direktor der Genfer Stiftung Globethics.net.

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