In seinem Hirtenwort zum Neuen Jahr, das am Sonntag in der Diözese Essen verlesen und auf der Bitumsseite veröffentlicht worden ist, bedauerte der Essener Bischof Franz-Josef Overbeck die „Talfahrt des Christentums“ und drängte zur Weiterentwicklung der kirchlichen Landschaft.
Vor dem Hintergrund der sinkenden Kirchenmitgliedszahlen und der gegenwärtigen Kirchenkrise, die „die Wurzeln unseres Selbstverständnisses als Christinnen und Christen, vor allem aber als katholische Kirche“ berühre, appellierte er an die Gläubigen, „endlich damit aufzuhören, an einer verklärten Gestalt von ‚Volkskirche‘ festzuhalten, die es so nicht mehr gibt und auch nicht mehr geben wird“. Vielmehr gelte es, „in den nächsten fünf bis 15 Jahren Veränderungen weiter gemeinsam gestalten“.
Es gibt kein Patentrezept zum Aufbau der Kirche
Ein Allheilmittel oder Patentrezept, um den Trend einer sogenannten „Entkirchlichung“ der Gesellschaft zu stoppen, gebe es nicht, so Overbeck, weder durch die „dringend notwendigen Reformen, die der synodale Weg beschreibt“ noch durch „die flammenden Appelle zu einer Neuevangelisierung“, die oft so klingen würden, „als bräuchte den Menschen einfach nur besser erklärt werden, woran sie glauben sollen, damit sie es dann auch tun“. Die Kirchenkrise sei „schlicht und ergreifend eine Realität, die bleibt“, zeigte sich der Bischof überzeugt.
Der „dramatische Umbruch, den wir zu bestehen haben“, gehe „viel tiefer als jede ‚Krise“. Was „lange Zeit als unantastbar und unveränderlich galt, steht heute in Frage“. Es gelte, aushalten zu müssen, „dass eine zunehmende Mehrheit in unserem Land keiner Religionsgemeinschaft mehr angehören will“, sagte der Bischof mit Blick auf die aktuelle Kirchenstatistik. Wer meine, „den Zustand einer vermeintlich guten alten Kirchen-Zeit mit autoritärem Druck wieder herstellen zu wollen“, erliege einer Illusion, warnte Overbeck, und verschließe „den Blick für die Realität der Welt von heute“.
Vorsorge für die Zukunft treffen
Jeder Versuch, „im Namen einer angeblich unveränderlichen Tradition bedingungslos alle Veränderungen zu verhindern“, sei zum Scheitern verurteilt, so Overbeck. Wörtlich sagte er: „Tradition ist wie ein Fluss, dessen Wasser sich aus unterschiedlichen Quellen speist, aber doch aus dem Grund der Erde stammt – und dann stets in Bewegung bleibt.“
Der Bischof verwies auf den Konzilstheologen Karl Rahner, der „kurz nach dem II. Vatikanischen Konzil darauf hingewiesen“ habe „dass es unter Katholikinnen und Katholiken eine Grundtendenz gebe, mit aller Kraft ,das Überkommene‘ verteidigen zu wollen statt „Vorsorge für eine Situation“ zu treffen, die stets im Kommen sei.
Hoffnug auf Christus setzen
In diesem Kontext kritisierte der Ruhrbischof, dass innerkirchliche Debatten zuweilen mit Unbarmherzigkeit geführt würden. Manche Themen würden „zu Schauplätzen äußerst intensiver und verletzender Anfeindungen, oft getarnt im Mantel vermeintlicher Rechtgläubigkeit“, wobei Christen einander das Katholisch-Sein absprechen würden. „Das widerspreche „auf fundamentale Weise dem Evangelium“, stellte er fest und widersprach Aussagen von Gläubigen, die sagten, dass Missbrauch kirchenpolitisch für eigene Zwecke instrumentalisiert würde.
Trotz der Kirchenkrise gilt es laut Overbeck „dem Kommenden mit Zuversicht“ zu begegnen – in der Gewissheit, „dass wir auf Gott, der für uns Mensch geworden ist, vertrauen können“. Das sei der Glaube, „der uns trägt und der uns auch in Zeiten des Wandels Kirche sein und gestalten lässt“.
Das Bistum Essen wurde 1958 gegründet. Laut aktueller Statistik bezeichnen sich in dem Bistum rund 680.000 Menschen als katholisch, etwa 30.000 besuchen die heilige Messe. Das Bistum rechnet damit, dass es bis 2040 weniger als 320 Priester geben wird. Bischof Overbeck setzt sich für die teilweise drastischen Änderungen in der kirchlichen Lehre ein, wie sie auf dem deutschen Synodalen Weg etwa mit Blick auf Frauenordination und Homosexualität formuliert wurden. DT/dsc
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