Der deutsche katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck sieht die Kirche heute in einer ähnlich dramatischen Situation wie im Jahr 1858, als die Gottesmutter Maria der kirchlichen Überlieferung zufolge in Lourdes dem Bauernmädchen Bernadette Soubirous erschienen ist. Das sagte der Essener Bischof am Samstagvormittag in einer Predigt vor Soldaten in dem südfranzösischen Wallfahrtsort aus Anlass der 63. internationalen Soldatenwallfahrt.
Gebet in kleinen Räumen
„Der Missbrauchsskandal raubt uns, was uns selbstverständlich ist“, sagte Overbeck in einem Pontifikalamt, zu dem die Katholische Militärseelsorge der Bundeswehr in die Cité Saint Pierre oberhalb von Lourdes eingeladen hatte. Die Soldatenwallfahrt steht in diesem Jahr unter dem Motto „Lasst uns eine Kirche bauen“ – angelehnt an die Worte der Gottesmutter an die Hl. Bernadette, in Lourdes eine Kapelle zu errichten.
Dieser Auftrag „weist darauf hin, dass die Kirche konkret sein muss“, sagte der deutsche Militärbischof. Von den kleinen Hauskirchen über riesige Kathedralen sowie unzählige Kapellen, Gebetsräume oder Pfarrkirchen: Überall sei die Identität dieser Räume dieselbe – sie schafften Identität für die als Volk Gottes zusammengerufene Gemeinschaft.
Das sei aber gerade in der Militärseelsorge eine besondere Herausforderung, denn in einer „Pendlerarmee“ wie der Bundeswehr sei der gemeinsame sonntägliche Kirchgang an einem speziell dafür ausgestatteten Ort kaum noch möglich. Also mache man sich als Kirche sprichwörtlich in der Kaserne auf den Weg, sie finde als Gebet in kleineren Räumen statt.
Heimat für Menschen
Damit Kirche weiter ein Ort sein könne, der für viele Menschen eine Heimat sei, müssten auch Fragen nach Macht und Gewaltenteilung geklärt werden. Der Geist schaffe Einheit, nicht Einheitlichkeit, so Bischof Overbeck. „Nichts ist schlimmer als Ideologie, nichts ist schlimmer als Rechthaber.“ Stattdessen brauche es die Fähigkeit zum Kompromiss. Deswegen dürfe die Kirche die Demokratie nicht schlechtreden. „Eine solche Kirche wünsche ich mir auf Dauer“, betonte Overbeck. Kompromisse hätten in der Demokratie einen hohen Wert. „Es gehört zu den großen Herausforderungen, Kirche heute nicht identitär – also politisch am rechten Rand – zu leben, sondern als Identität von Jesus Christus her.“
Der Militärbischof lud die Soldaten zu einer intellektuellen Auseinandersetzung mit kirchlichen und gesellschaftlichen Fragen ein. „Haben Sie Freude am Nachdenken“, rief er den Gottesdienstbesuchern zu. Von den Fragen unserer Zeit wie den Einsatz künstlicher Intelligenz, so Overbeck, habe die Hl. Bernadette Soubirous keine Ahnung gehabt. Sie sei eine in sich gehende, spirituelle Frau gewesen.
Eine Kapelle bauen
„Auf einfache und bescheidene Weise hat hier im Jahr 1858 durch das Lebensgeschick und den Auftrag Marias an Bernadette Soubirous, hier eine Kapelle zu bauen, in Lourdes Vieles seinen Anfang genommen“, sagte der Militärbischof. Wenn hier nach den Schrecknissen und Abgründen des Zweiten Weltkriegs Soldaten zur Friedenswallfahrt zusammenkämen, bezeuge man damit, „wer wir alle als Christen gemeinsam sind: Menschen in der Freundschaft mit Gott und untereinander.“ DT/ogi
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