Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Kanada

„Marias Land“

In der Region Québec, an der rauen Küste von Kap Crow, erwartet die Besucher ein besonderes Marienheiligtum: ein kanadisches Lourdes
Maria Küste
Foto: Andreas Drouve | Das Ehrentempelchen für Maria hoch über der Küste.

Die Küste ist wild, die Luft glasklar, jeder Winter lang und hart. Oft fegen Stürme über den Sankt-Lorenz-Golf, peitschen Wellen gegen die Felsen. Selbst im Sommer sind Möwen die einzigen Besucher an den umliegenden Stränden; die eisige Wassertemperatur übersteigt selten drei Grad Celsius. Die Besiedlung ist dünn. Verstreute Dörfer bestehen aus Holzhäusern. Es sind propere Anwesen, aber keine Luxusbauten, umzogen von Wiesen, nicht umzäunt. Mal steht ein Boot zum Verkauf davor, mal ein Motorrad. Einer der Orte hier im Osten Kanadas in der Region Québec, kurz vor dem Übergang nach Labrador, heißt Lourdes-de-Blanc-Sablon – und überrascht mit seinem Lourdes-Heiligtum, tausende Kilometer entfernt vom Original im Südwesten Frankreichs.

Lesen Sie auch:

Das Heiligtum im kanadischen Lourdes kommt ohne Basilika aus. Es gibt kein heiliges Wasser, keinen Kommerz, keine Pilgermassen. Und doch ist es ein ganz besonderer Platz, der wie magisch hineinzieht. Das Areal ist ein Freiluftgelände, das etwas erhöht über dem Ort und der Küste um das Kap Crow liegt und aus zwei Teilen besteht: dem Kreuzweg unterhalb eines Felsenhügels und dem Ehrentempelchen hoch auf dem Fels mit der weißen Marienfigur.

In Großbuchstaben prangt darunter ein monumentales „Ave“ auf der Hügelflanke. Die Geschichte der Lourdes-Jungfrau über dem Kap Crow reicht ins Jahr 1916 zurück; die Skulptur stammte aus Frankreich. Ein Jahr später war ihr steinerner Baldachin fertig. 1946 platzierte man ein Licht davor, was seinerzeit außergewöhnlich war. Elektrizität gab es nur im Pfarrhaus, in der Schule und im Telegraphenbüro; erst 1961 folgte der Anschluss der Privathäuser ans Stromnetz. Bischof Lionel Scheffer (1903–1966), der erste Apostolische Vikar von Labrador, bezeichnete Lourdes-de-Blanc-Sablon wegen des Sanktuariums als „Marias Land“. Eine Infotafel erläutert: „Über die Jahre stieg die Verehrung der Menschen für die gesegnete Mutter, sie spürten ihren Schutz bei den täglichen Aufgaben.“ Beistand konnten die Bewohner der unwirtlichen Gegenden immer gut gebrauchen.

„Rosenkranz der Fischer“

Wer als Besucher kommt, parkt neben einem Wohnhaus, geht eine Treppe hinauf und stößt zunächst auf den Kreuzweg. Die Stationen sind über einen Holzplankenpfad miteinander verbunden. Der Weg verläuft durch typisch gedrungene Vegetation mit wilden Erdbeeren, Blaubeeren, Labrador-Teepflanzen und Moosen. Vögel zwitschern und Schmetterlinge tanzen.

Die Verbundenheit mit der Natur verstärkt die Andacht und Besinnung. Einige Bänkchen laden zur Rast ein. Zum Glück vertreibt der Wind die berüchtigten Kriebelmücken, deren Stiche heftigen Juckreiz verursachen. Die Anlage des Kreuzwegs geht auf das Jahr 1989 zurück. Die metallenen Tafeln der Stationen mit den Leiden Christi sind ausdrucksvoll. Aus derselben Zeit stammt nebenan der sogenannte „Rosenkranz der Fischer“, ein kleiner Rundweg um ein Fischerboot. Die Abgrenzungen durch Seile mit Bojen symbolisieren den Rosenkranz.

Vor einem Seil ist ein silbern glänzendes Christuskreuz in einem Felsblock am Boden verankert. Der Wind spielt in den Fahnen von Kanada und Québec. Kreuzwege andernorts führen aufwärts, dieser hier nicht. Er endet kurz vor dem Felsenhügel, auf den eine rot-gelb lackierte Holztreppe in einem Bogen hinaufleitet. Das harte Klima hat den Farben sichtlich zugesetzt. Man gewinnt an Höhe und nähert sich nicht nur Maria, sondern auch der heiligen Bernadette, die 1858 in Lourdes die Marienerscheinungen gewahr wurde. Eine leuchtend weiße Skulptur der jungen Seherin kniet am äußersten, unzugänglichen Felsenrand im Grün; sie hat die Hände zum Gebet gefaltet und blickt ergeben hinauf. Der Fels verlangt nach Sicherheitsabstand – es geht ungeschützt in die Tiefe.

Maria unterm Baldachin

Umgeben von saftgrünen Wiesenflächen steht Maria unter einem kreuzgekrönten, weiß gestrichenen Baldachin auf einem Podest. „Unsere liebe Frau von Lourdes, beten Sie für uns“, liest man darunter auf Französisch. Ein Kübel aus Kunstblumen verdeckt den unteren Teil des Schriftzugs. Das Bildnis Mariens ist blendend weiß und menschengroß. Sie ist ins Gebet vertieft und hält den Kopf gen Himmel gerichtet. Von ihrem rechten Arm hängt ein blauer Rosenkranz hinab. Ihr Umhang reicht bis zu den nackten Füßen. Bei der Ausgestaltung der Gottesmutter soll ein Werk des spanischen Barockmalers Bartolomé Esteban Murillo Inspirationen gegeben haben. Die Aussicht über die Weite des Küstenlands ist fantastisch, und dieses Plätzchen in jederlei Hinsicht ist der Höhepunkt des Heiligtums. Die Sonne glitzert über dem Meer. Felsige Landvorsprünge schieben sich ins Wasser. Das Rauschen der Brandung spielt seine ewige Melodie. Ein Strand zeichnet einen weiten Bogen. In der Ferne ziehen sich Waldinseln über seichte Hügel. Der Wind trägt Möwengekreisch heran. Hier oben atmet man frische Luft und Friedensstimmung in der Einsamkeit – eine Atmosphäre ganz anders als im „echten“ Lourdes. Wenige Gehminuten entfernt stößt die Pfarrkirche von Lourdes an die Ortsdurchgangsstraße.

Skulptur
Foto: Andreas Drouve | Die Skulptur von Bernadette an der Felskante.

Das hallenartige Gotteshaus datiert aus dem Jahr 1965. Die Architektur ist zweckmäßig-nüchtern, vorne rechts im Innern ist die berühmte Grottenszene von Lourdes dargestellt. Das Licht fällt durch bescheidene Buntglasfenster in Rechteckformen hinein. Ein Kerzenopfer kostet fünf kanadische Dollar. Im Vorraum der Kirche zweigt eine Treppe auf die Orgelempore ab. Dort erinnert ein frei zugängliches Minimuseum an Leben und Wirken von Bischof Scheffer, der bis heute hohe Verehrung genießt. Bei seiner Ernennung 1946 zum Apostolischen Vikar Labradors waren die riesigen Landstriche weit entfernt vom Rest der Zivilisation und nur mühsam erreichbar. Folgt man den Ausführungen im Museum, war für Scheffer die Bildung essenziell, um Fortschritte zu erreichen. Er ließ neue Schulen erbauen und kümmerte sich persönlich um die Auswahl engagierter und kompetenter Lehrer. Bei der Verbreitung christlicher Inhalte und den Kontakten zu jenen, die in der Mission tätig waren, geriet das Radio zu einem wichtigen Instrument.

Lesen Sie auch:

Im Winter waren viele Gemeinden durch Eis und Schnee über Monate von der übrigen Welt abgeschnitten – aus heutiger Sicht mit Straßen und Datenautobahnen kaum unvorstellbar. Am Herzen lag Scheffer auch der Bau eines Krankenhauses, das in Lourdes-de-Blanc-Sablon schräg gegenüber der Kirche liegt und bis in die Gegenwart einen weiten Einzugsbereich bedient. Unterwegs war Scheffer mit Booten, Hundeschlitten, Kanus und zu Fuß und soll – so liest man im Museum – stets von einer „exzellenten Reise“ gesprochen haben. Doch die Strapazen erforderten Kraft. Probleme mit der eigenen Gesundheit stellte er still hintenan; Scheffer war Diabetiker. Infrastruktur, ärztliche Versorgung, Kommunikation: Das kanadische Lourdes mit dem Bildnis der Maria von Lourdes hoch über dem Kap Crow ist ein guter Ort, um für all das dankbar zu sein, was man auch in unserem eigenen Leben längst als selbstverständlich erachtet.


Der Verfasser ist freier Autor und Journalist. Er lebt seit vielen Jahren in Spanien und ist auf die Themen Reise, Religionen & Kulturen spezialisiert.

Katholischen Journalismus stärken

Hat Ihnen dieser Artikel gefallen? Stärken Sie katholischen Journalismus!

Unterstützen Sie die Tagespost Stiftung mit Ihrer Spende.
Spenden Sie direkt. Einfach den Spendenbutton anklicken und Ihre Spendenoption auswählen:

Die Tagespost Stiftung-  Spenden

Die Printausgabe der Tagespost vervollständigt aktuelle Nachrichten auf die-tagespost.de mit Hintergründen und Analysen.

Themen & Autoren
Andreas Drouve Bischöfe Christentum Jesus Christus Lourdes Mutter Jesu Maria

Weitere Artikel

Auch dieses Jahr haben tausende Freiwillige Kranke und Familien zur Wallfahrt der französischen Augustiner von Mariä Himmelfahrt nach Lourdes begleitet.
24.08.2025, 11 Uhr
Franziska Harter
Das Glaubensdikasterium bekräftigt ein Ratzinger-Urteil aus dem Jahr 1996. Was „Mittlerin der Gnaden“ bedeutet und warum man immer von der „Mutter der Glaubenden“ sprechen darf.
04.11.2025, 11 Uhr
Guido Horst
Alles steht auf dem Spiel, wenn es um unser ewiges Heil geht. Ein Gespräch mit Pater Bernhard Gerstle über das Sterben und wie Katholiken sich darauf vorbereiten können.
01.11.2025, 17 Uhr
Elisabeth Hüffer

Kirche

Kein synodales Gremium dürfte für sich beanspruchen, gemeinsam beraten und entscheiden zu wollen. Ganz bewusst wird mit Unschärfen gearbeitet, um das eigene Anliegen voranzubringen.
24.11.2025, 20 Uhr
Heribert Hallermann
Die Satzung des Synodalen Ausschusses wird als geistgewirktes Werk gefeiert, doch Einmütigkeit ersetzt weder kirchenrechtliche Legitimität noch geistliche Unterscheidung.
24.11.2025, 18 Uhr
Dorothea Schmidt