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Ökumene: Was über Grenzen hinweg verbindet

Die Ökumene ist nicht tot. Sie lebt weiter in den Märtyrern und denen, die daran glauben, dass in der Person Jesu Gott Mensch geworden ist.
Ökumene geht weiter: Kardinal Koch empfängt Segen vom Generalsekretär des Lutherischen Weltbundes
Foto: imago stock&people | Die Zeit der ökumenischen Meilensteine scheint einer Zeit der Stolpersteine im interkonfessionellen Gespräch gewichen zu sein, kann man den Äußerungen Kardinal Kochs entnehmen.

Eines kann man den im Gespräch mit der "Tagespost" geäußerten Einschätzungen und Erfahrungen von Kardinal Kurt Koch – immerhin Roms „Chef-Ökumeniker“ – entnehmen: Die Zeit der ökumenischen Meilensteine scheint einer Zeit der Stolpersteine im interkonfessionellen Gespräch gewichen zu sein. Neue Gräben innerhalb einzelner „Kirchtümer“ haben sich aufgetan. Innerhalb der orthodoxen Welt haucht das hohepriesterliche Gebet um Einheit, „damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast“, auf den Schlachtfeldern der Ukraine genauso sein Leben aus wie im Zerwürfnis der Anglikaner wegen Frauenweihe und homosexuellen Verbindungen. In Indien tobt ein Ritenstreit, und durch die katholische Kirche des Westens gehen Haarrisse, die den anglikanischen Verwerfungen ziemlich ähneln.

So wundert es nicht, dass in Deutschland, dem Ursprungsland der Reformation, die klassische konsens-theologische Ökumene, die noch Gemeinsames wiedergewinnen und exakt formulieren wollte, in einer „versöhnten Verschiedenheit“ aufgegangen ist, die das Ziel der Einheit zu vergessen scheint. Hauptsache, man hat sich lieb. Ist das Jahrhundert des interkonfessionellen Dialogs nun beendet? Ist die Ökumene tot?

Die Ökumene geht weiter

Nein. In zweierlei Hinsicht geht die Ökumene weiter. Die erste ist tragisch: Sie betrifft die Ökumene der Märtyrer. In der Welt von heute werden viele Christen wegen ihres Glaubens verfolgt. Wo man sie unterdrückt, vertreibt oder tötet, fragt man nicht, welches Gebetbuch sie haben. Und wenn Christen in Bedrängnis geraten, rücken sie zusammen. Auch wenn sie unterschiedlicher Konfessionen sind. Äthiopischen Orthodoxen sagte Papst Franziskus 2016 im Vatikan: „So wie in der Frühkirche das Blut der Märtyrer zur Saat für neue Christen wurde, so ist heute das Blut der vielen Märtyrer aller Kirchen zur Saat der Einheit der Christen geworden.“ Dieses Bekenntnis zur geheimnisvollen Ökumene der Märtyrer hat der Papst seither mehrfach wiederholt.

Die andere Form der Ökumene ist nicht minder zeichenhaft. Überall da, wo Christen daran glauben, dass mit dem Nazarener Jesus Gott Mensch geworden und der Schöpfer aller Dinge in die Menschheitsgeschichte eingetreten ist, haben sie sich etwas zu sagen und können miteinander hoffen und beten. Der heute gerade in der katholischen Kirche deutscher Zunge so heftig grassierende Neo-Arianismus reduziert das Christentum auf eine Lehre: Da war ein frommer Jude namens Jesus. Nix Genaues weiß man nicht. Dann kam Paulus und formte daraus eine Theologie, die zum Fundament einer Kirche für alle Völker wurde. Päpste, Konzilien und religiöse Genies haben diese Lehre immer wieder ihrer Zeit angepasst, so wie das Katholisch-Sein auch heute wieder vor großen „Reformen“ steht. Die Bischöfe in Deutschland, die nicht diesem neo-arianischen Bekenntnis huldigen, kann man wahrscheinlich an den Fingern einer Hand abzählen.

Das Christentum ist weder Lehre, Idee noch Moral

Das Christentum ist aber keine Lehre, auch keine Idee oder eine Moral. Sein Kern ist ein Ereignis in der Geschichte, das auf eine Person zurückgeht: Jesus Christus. Und dieser Jesus hat seinen Aposteln ein Vermächtnis hinterlassen, das eben nicht zu „reformieren“, sondern zu entfalten ist. Da wo dieser Gottessohn Menschen ergriff wie den heiligen Franz von Assisi, trug er ihnen auf, „seine“ Kirche wieder aufzubauen – und nicht eine Kirche der Theologen oder Reformatoren. Wer diesen Glauben an den Eingriff Gottes in die Menschheitsgeschichte durch die Person Jesu Christi teilt, findet überall Schwestern und Brüder – auch über die Grenzen der Konfessionen hinweg.

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