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Müller: Christen müssen sich nicht für ihre Geschichte rechtfertigen

Der Terminus „christliches Abendland“ entfalte eher bei denen eine ausgrenzende Wirkung, die den christlichen Glauben ablehnen oder relativieren, meint Kurienkardinal Gerhard Müller. Die vielen Stellungnahmen seien zwar politisch korrekt, jedoch theologisch absurd.
Müller: Für Christen kein Grund, sich für ihre Geschichte zu schämen
Foto: Sebastian Kahnert (dpa-Zentralbild) | Als geschichtliche Erscheinung habe das christliche Abendland gar keine zustimmende oder ablehnende Haltung verdient, so Müller gegenüber dieser Zeitung.

Kurienkardinal Gerhard Müller hat sich in der Debatte um den Begriff „christliches Abendland“ zu Wort gemeldet. Der Widerspruch gegen den Terminus komme von ungewohnter Seite. Denn als geschichtliche Erscheinung habe das christliche Abendland gar keine zustimmende oder ablehnende Haltung verdient, so Müller gegenüber dieser Zeitung. „Über die karolingische Renaissance bildete sich im Mittelalter in Mystik und Scholastik, der christlichen Kunst, Architektur und Staatsphilosophie die Gemeinschaft der Völker in Westeuropa aus zur Gestalt der abendländischen Christenheit unter der Führung der römischen Kirche und des Papstes.“

"Man suchte ein Menschen-Reich ohne Gott"

Wesentlich für das Selbstverständnis sei die eschatologisch-endzeitliche Auffassung der Geschichte als Ort und Prozess der Durchsetzung des Reiches Gottes und der Bürgerschaft in ihr gegenüber dem irdisch-weltlichen Reich und Denken gewesen, so der Kurienkardinal. Seit der Aufklärungszeit sei dieses Bild der Geschichte jedoch auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen. „Man suchte ein Menschen-Reich ohne Gott, ein Paradies auf Erden ohne seine Gnaden zu errichten.“

Für Christen gebe es keinen Grund, meint Müller, sich des Evangeliums zu schämen und sich für ihre Geschichte vor einem irreligiösen oder andersgläubigen Tribunal zu rechtfertigen. „Wir dürfen nicht Jesus verleugnen aus Angst, als zu dogmatisch, rechtgläubig oder unaufgeklärt verschrien zu werden“, so der 71-Jährige.

Zweifel an der Einzigkeit Jesu Christi

Somit entfalte der Terminus „christliches Abendland“ mehr bei denen eine ausgrenzende Wirkung, die den christlichen Glauben ablehnen oder relativieren, als bei denen, die in ihm die bleibende Verpflichtung sehen, das Evangelium Christi allen Menschen zu bezeugen und vorzuleben. „Was hinter dem Nebel so vieler politisch korrekter und doch theologisch so absurder Stellungnahmen auftaucht, ist der Zweifel an der Einzigkeit Jesu Christi“, gibt Müller zu bedenken.

Die Debatte angestoßen hatte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx. Von der Rede vom „christlichen Abendland“ halte er nicht viel, so der Erzbischof von München und Freising. Der Begriff sei „vor allem ausgrenzend“ und verkenne die „große Herausforderung, in Europa dafür zu sorgen, dass verschiedene Religionen mit jeweils eigenen Wahrheitsansprüchen friedlich zusammenleben“. Marx äußerte sich bei einer Diskussion mit dem Publizisten Michel Friedman im Theater „Berliner Ensemble“.

DT/mlu

Die Hintergründe zu diesem Thema finden Sie in der Wochenausgabe der Tagespost.

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