Der Jesuitenpater Klaus Mertes sieht den Umgang von Papst Franziskus mit den Missbrauchsfällen in der katholischen Kirche kritisch. Die „hervorragenden Impulse“, die von Franziskus gekommen seien – wie etwa die päpstlichen Lehrschreiben „Laudato si“ oder „Amoris laetitia“ - würden inzwischen überschattet von dem Eindruck, „dass er bei aller guten Absicht letztlich nicht begreift, worin der Missbrauch in seiner systemischen Dimension besteht“, erklärt Mertes im Gespräch mit der vom Familienbund der Katholiken herausgegebenen Zeitschrift „Stimme der Familie“. Dies sehe er „mit Trauer“, so Mertes.
Mertes: Täter kommen aus dem Inneren
Um seinen Eindruck zu belegen, nennt Mertes, der seit September 2011 Direktor der Jesuitenkollegs St. Blasien im Schwarzwald ist, die Rede, der Papst zum Schluss des Vatikan-Gipfels zum Missbrauch im Februar in Rom gehalten hat. „Die Kernbotschaft, die ich gehört habe, lautete: Der Täter ist das absolute Böse. Er muss hart bestraft, ja wörtlich: aus der Kirche ausgemerzt werden. Und dann muss Prävention gemacht werden, und das heißt: Die Maschen müssen so eng gemacht werden, dass kein Täter mehr durchschlüpfen kann.“
An dieser Strategie sei alles haarscharf daneben, kritisiert der Jesuitenpater. Zum einen komme der Täter nicht von außen rein, sondern aus dem Inneren. Darüber hinaus gehe es nicht nur um Täter, sondern auch um das Vertuschen. Von der systemischen Frage werde jedoch abgelenkt. Und „wenn man mit der Reinigungsrhetorik an das Thema herangeht – das haben ja Johannes Paul II. und Benedikt XVI. auch immer schon gemacht –, dann stärkt man die irreführende Vorstellung, die Kirche sei eigentlich rein. Das Schmutzige kommt von außen. Das muss weggeputzt werden, und dann ist die Kirche wieder rein, so wie früher, bevor der Schmutz reinkam“. In dieser Vorstellung gebe es keine Veränderungsperspektive. „Wenn man in guter Absicht bei der Analyse des Problems danebenschießt, verschärft man das Problem“, so Mertes.
Mertes fordert massive Reformen er katholischen Kirche
Mertes hatte 2010 als ehemaliger Leiter des Berliner Canisius-Kollegs Fälle von Missbrauch an der Schule öffentlich gemacht und zahlreiche neue Erkenntnisse über Missbrauchstaten in Kirche und Gesellschaft zutage gefördert. Er gehört zu denjenigen, die im Zuge der Missbrauchskrise massive Reformen der Kirche forderten, darunter eine Lockerung des Zölibats, die Öffnung des Priesteramtes für Frauen sowie ein Umdenken in der kirchlichen Sexualmoral.
DT/mlu
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