Logo Johann Wilhelm Naumann Stiftung Interview zu Putin, AfD und "Fiducia supplicans"

Kardinal Müller: Zwischen Tätern und Opfern unterscheiden

Kardinal Gerhard Müller vermisst im Gespräch eine klarere Haltung des Papstes zu der Gewalt, die Putin dem ukrainischen Volk antut. Auch zur AfD-Erklärung der Bischöfe und „Fiducia supplicans“ äußert er sich.
Kardinal Gerhard Müller im ausführlichen Gespräch mit der "Tagespost"
Foto: IMAGO/Grzegorz Galazka (www.imago-images.de) | Kardinal Müller zum jüngsten Papst-Interview: „Ich finde das eigentlich immer ein bisschen fragwürdig, wenn die höchste Autorität der Kirche sich in Interviews äußert.

Von Kenia nach Lemberg und wieder zurück nach Rom, wo er im Augenblick an einem Beitrag zum Jubiläumsjahr des Philosophen Immanuel Kant schreibt: Kardinal Gerhard Müller ist inzwischen 76 Jahre alt, doch von ungebremster Energie. Doch der Aufenthalt in der Ukraine, wo er für junge Theologinnen und Theologen Vorträge hielt, hat ihn zunächst einmal tief erschüttert. Angesichts der Kriegslage seien die Menschen sehr bedrückt und oft verzweifelt, sagt er im Gespräch mit der „Tagespost“. „Ich selber habe drei gefallene Soldaten zum Friedhof begleitet, aber auch mit Müttern gesprochen, die ihre Söhne verloren haben. 700 junge Männer und Frauen aus Lemberg sind hier begraben, die im Krieg gefallen sind.“

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Für den ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation ist es unbegreiflich, „dass dieses Unglück von Menschen verursacht ist, die sich Christen nennen, die sich auf die Taufe Russlands berufen“. Wer getauft sei, so Müller weiter, „kann nicht Gott und dem Teufel zugleich dienen, und die Mörder sind vom Reich Gottes als Todsünder ausgeschlossen.“ 

Müller: Würde mir vom Papst mehr Solidarität mit Ukrainern wünschen

Im „Tagespost“-Interview, das in der kommenden Ausgabe der Zeitung erscheint, spricht er aber auch die Tatsache an, dass sich die von Putins Russland überfallenen Ukrainer nicht genügend von Rom unterstützt sehen. Für ihn liegt das an der „diplomatische“ Haltung des Papstes, nach beiden Seiten hin offen zu sein, nur die Opfer zu beklagen und nicht die Täter zu benennen, „die verantwortlich sind für all dieses Unheil, für die vergewaltigten Frauen, die ermordeten Männer, die verschleppten Kinder, die zerbombten Häuser, die kaputte Infrastruktur, die zerstörten Lebenspläne vieler Menschen, die Familien, die auseinandergerissen worden sind. Hier würde man sich vom Papst und von Rom doch ganz klare Stellungnahmen und mehr Solidarität wünschen.“ 

Das jüngste Interview von Papst Franziskus mit dem Schweizer Fernsehen hat so auch in der Ukraine für Verwirrung gesorgt. Es wurde missverstanden, so als hätte der Papst den Ukrainer die bedingungslose Kapitulation nahegelegt. Der Apostolische Nuntius in dem Land wurde ins ukrainische Außenministerium zitiert. Aber Franziskus hatte – wie so oft – nur zu Verhandlungen aufgerufen. 

Müller dazu: „Ich finde das eigentlich immer ein bisschen fragwürdig, wenn die höchste Autorität der Kirche sich in Interviews äußert. Das ist kein günstiges Format für das höchste kirchliche Lehramt. Auch wenn es sich hier nicht um eine dogmatische Thematik handelt, hat der Papst aber zu Recht auch eine moralische Autorität, vielleicht die höchste moralische Autorität in dieser Welt. Da muss man sich in dieser Schlangengrube der Politik sehr klug benehmen, aber auch sehr eindeutig sein und klar unterscheiden zwischen Tätern und Opfern.“

"Wenn man sich ergibt, dann hat man keinen Frieden"

Der Kardinal sieht für die Ukraine keine Möglichkeit, ohne wirkliche Friedensverhandlungen die Waffen zu strecken. Man wisse dort ganz genau um die Alternative zum Durchhalten: „Wenn man sich ergibt, dann hat man keinen Frieden, sondern einen neuen millionenfachen Gulag mit Vergewaltigung, Verschleppung, Ermordung vieler Menschen und der Beraubung der Freiheit. Die Ukraine würde versklavt werden und auch der Westen darf sich nicht täuschen: Der Bär wäre für eine Zeit lang gefüttert, aber der Hunger kommt wieder. Die Gefahr ist dieses grundsätzlich falsche imperialistische Denken Putins, sich auszuweiten, weil man eine Großmacht sei, und sich das Recht anzumaßen, die Staaten im Vorfeld als Vasallen und nicht als gleichberechtigte Völker zu behandeln.“

Ein deutliches Zeichen des Papstes der Solidarität mit den Angegriffenen, etwa ein Besuch in Butscha, würde Müller begrüßen. „Aber da ist eben auch seine Äußerung, dass er nicht in die Ukraine fahren kann, weil er vorher nach Moskau gehen muss oder will. Ich glaube, da stolpert man über die eigenen Beine“, meint Müller im „Tagespost“-Gespräch. „In Butscha und an vielen anderen Orten sind eben furchtbare Massaker geschehen, und das Böse muss man beim Namen nennen. Da muss eben auch die Diplomatie zurückstehen. Lieber wie Johannes der Täufer den Kopf verlieren als wie Herodes seine Seele.“ 

Zu einem anderen politischen Signal, der Warnung der deutschen Bischöfe vor einer Wahlentscheidung für die AfD, hat Müller ebenfalls eine eher skeptische Haltung. „Als Kirche müssen wir vorsichtig sein, uns nicht sozusagen mit lehramtlicher und moralischer Autorität unmittelbar in den Kampf der Parteien einzumischen. Die Deutsche Bischofskonferenz darf nicht als Wahlhelfer der ,Ampel‘ auftreten und soll gegenüber der weltlichen Macht eine prophetische Distanz bewahren.“

Müller skeptisch zu AfD-Erklärung der Bischöfe

So sei es angebrachter, den mündigen Wählern „Prüfsteine“ vorzulegen, „etwa was die Abtreibung angeht, die ja ein blutiger Krieg ist gegen unschuldige Menschen, die im geschützten Raum ihres Leibes der Liebe ihrer Mütter von Gott anvertraut sind“. Es wundere ihn, „dass die wenigen guten Theologen unter den Bischöfen da nicht etwas differenziert haben. Aber man war wohl irgendwie der Meinung, die ganze Zeit immer nur geschlagen worden zu sein und jetzt endlich einmal auf der richtigen Seite zu stehen und sich von einem sanften Rückenwind umsäuseln zu lassen“. Ein gewisser Opportunismus sei bei dem Wort der Bischöfe zu den Parteien nicht zu übersehen.

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Unbeirrt ist Müller in seiner Haltung zur Erklärung „Fiducia supplicans“ über die Segnung von Paaren in irregulären Beziehungen. „Man stellt sich das hier in Rom so pragmatisch vor. Aber pastoraler Segen ist eine Wortschöpfung, eine neue Wortverbindung. Pastoral heißt, die Menschen zu Christus, dem guten Hirten, zu führen, und ihnen nicht sozusagen einen Gefallen zu tun, ihnen nach dem Mund zu reden und sie in falscher Weise in Sicherheit zu wiegen.“

Für ihn macht es auch keinen Sinn, die Bischöfe nun alle zu zwingen, die Erklärung des Glaubensdikasteriums zu begrüßen: „Wenn die Zahnpastatube ausgedrückt ist, dann kann man sie nicht mehr wieder zurückfüllen. Man kann nicht jeden Bischof, der sich klar gegen ,Fiducia supplicans‘ geäußert hat, ins Abseits drängen, absetzen oder unter einem lächerlichen Vorwand vorzeitig in den Ruhestand schicken, weil wir dadurch den letzten Rest von Glaubwürdigkeit aus Spiel setzen würden. Das sind die Methoden, die in der Kirche keinen Platz haben dürfen. Bischöfe absetzen oder in den Ruhestand schicken, das geht nur, wenn sich diese etwas Schlimmes haben zuschulden kommen lassen, und nicht, weil sie jetzt irgendwie unter die Feinde des Papstes gerechnet werden. Dieses Freund-Feind-Schema, das hier kirchenpolitisch zur Aufrechterhaltung der eigenen Macht angewendet wird, kann man vom katholischen Glauben her in keinem Fall akzeptieren.“  DT/gho

Das Interview im vollen Wortlaut lesen Sie in der kommenden Ausgabe der „Tagespost“.

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