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„Heiligtümer zeigen uns, wer Christus ist“

„Entdecke mich“: Aachener Heiligtumsfahrt erweist sich als Magnet für Pilger aus Nah und Fern. 
Marienkleid
Foto: Gerd Felder | Als einziges der vier Aachener Heiligtümer wird das ohne Naht gewebte und mit feiner Halsborte bestickte Marienkleid entfaltet gezeigt.

Zwei Jahre später als der seit Jahrhunderten übliche Sieben-Jahres-Rhythmus es eigentlich vorsieht, ist die Aachener Heiligtumsfahrt 2023 eröffnet worden. Im Rahmen der Erhebungsfeier im Dom wurden die vier Heiligtümer – das Kleid Mariens, die Windeln Jesu, das Enthauptungstuch Johannes des Täufers und das Lendentuch Jesu – dem kostbaren Marienschrein entnommen und gezeigt. Der Bischof von Aachen, Helmut Dieser, rief in seiner Predigt dazu auf, Jesus bei der diesjährigen Aachener Heiligtumsfahrt zu entdecken. „Unsere vier Aachener Heiligtümer helfen uns, zu entdecken, worauf es ankommt, denn diese Heiligtümer spannen den gesamten Bogen unserer menschlichen Existenz auf“, betonte Dieser bei der Erhebungsfeier zur Eröffnung der Heiligtumsfahrt. „Sie zeigen uns, wer Christus ist und wer wir für ihn sind.“

Sich von Jesus entdecken lassen

Genau 29 Hammerschläge brauchte der Aachener Gold- und Silberschmied Thomas Zintzen diesmal, bis er das Schloss am Marienschrein zerschlagen hatte. Oberbürgermeisterin Sibylle Keupen und Dompropst Rolf-Peter Cremer hatten zuvor die Unversehrtheit des Schlosses festgestellt. Birgitta Falk, Leiterin der Domschatzkammer, entnahm anschließend die vier Heiligtümer dem Marienschrein, um sie an das Domkapitel zu übergeben. Anschließend packten jeweils zwei Schwestern von vier Aachener Ordensgemeinschaften die Reliquien in der Sakristei aus. Dann wurden sie den Gläubigen zum ersten Mal nach neun Jahren zur Verehrung gezeigt.

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2 500 Menschen im Aachener Dom und auf dem benachbarten Katschhof verfolgten die Erhebungsfeier live. In seiner Predigt verwies der Aachener Bischof darauf, der Reiz der Einladung „Entdecke mich“ (so das Motto der diesjährigen Heiligtumsfahrt) liege darin, selbst von Jesus gefunden zu werden. Und das geschehe, wenn der Mensch zum Glauben an ihn komme. „Wir Aachener freuen uns auf viele Menschen, die auch in diesem Jahr 2023 wieder der Einladung folgen und in unsere Stadt kommen werden wie Unzählige vor ihnen alle sieben Jahre seit 1349!“, betonte der Bischof. „Wer noch unentschlossen ist, möge sich anstecken lassen von diesem faszinierenden Geschehen: Kommen Sie nach Aachen, lassen Sie sich anrühren von dem Ruf: Entdecke mich!“  

Nuntius bekräftigt katholische Lehre

Jesus zu entdecken, das gehe so tief wie das Leben selbst, unterstrich der Bischof. Ihn nicht zu entdecken bedeute dagegen, hinter dem zurückzubleiben, was er für uns sei, ja sogar in der Gefahr zu stehen, auf die falsche Seite des Lebens zu geraten und nicht von ihr loszukommen. An den ersten Tagen der Heiligtumsfahrt wurde schon ganz deutlich: Die alles entscheidende Frage bei der Verehrung der vier Tuchreliquien ist nicht: Wie echt oder wie alt oder wie wertvoll sind sie? Sondern sie lautet:  Wer ist der, zu dem diese Dinge gehören?

Keine Heiligtumsfahrt ohne den Besuch des amtierenden Apostolischen Nuntius: Erzbischof Nikola Eterović überbrachte die herzlichen Grüße von Papst Franziskus und rief zugleich zum Gebet für den erkrankten Heiligen Vater auf. Eterovic bekräftigte zugleich die offizielle katholische Lehre, dass die Ehe eine lebenslange Verbindung von Mann und Frau sei, die als solche ein Sakrament sei und unter anderem der Zeugung von Nachkommenschaft diene. „Die katholische Kirche hat diese Lehre stets in Treue zum Herrn verkündet und alten wie neuen Angriffen auf die Familie standgehalten, welche die Urzelle von Kirche und Gesellschaft ist“, unterstrich der Nuntius.

"Die Heiligen sind die wahren Reformer der Kirche"

Ansinnen, die Unterschiede zwischen den Geschlechtern auszulöschen, wies er als „ungesund“ zurück. In der Begegnung mit dem jeweils anderen Geschlecht bestehe die Möglichkeit, sich selbst zu erkennen und sich gegenseitig zu bereichern. Darüber hinaus prangerte Eterovic an, dass die lebenswichtigen Beziehungen des Menschen zu Gott, zum Nächsten und zur Erde zerbrochen seien. Schuld daran seien die Anmaßung des Menschen und seine Weigerung, anzuerkennen, dass wir begrenzte Geschöpfe seien. „Unsere ganze Lebensführung soll heilig sein“, mahnte der Nuntius.

Auch das Zweite Vatikanische Konzil habe im Dokument „Lumen gentium“ die allgemeine Berufung zur Heiligkeit in der Kirche hervorgehoben. „Die Heiligen sind die wahren Reformer der Kirche gewesen“, stellte Eterovic fest. „Die wirkliche Reform der Kirche besteht nämlich nicht darin, Strukturen zu ändern.“

Dieser: Von Vorbehalten des Zeitgeistes emanzipieren

Dass die Heiligtumsfahrt auch ökumenisch anschlussfähig ist, bewies eine Taufgedächtnisfeier mit Prozession vom Dom zur evangelischen Annakirche und zur griechisch-orthodoxen Kirche des heiligen Dimitrios. Zu Beginn der ökumenischen Veranstaltung im Dom rief Bischof Dieser die Kirchen auf, sich von den Vorbehalten des Zeitgeistes zu emanzipieren und die Einzigkeit Jesu Christi neu zu verkünden. „Eine solche Emanzipation erst macht uns fähig, auch gegenüber der Einheit der Kirche keine Vorbehalte und keine Angst mehr über uns bestimmen zu lassen“, betonte Dieser. „Das Eine wie das Andere müssen wir gemeinsam vom Heiligen Geist erflehen. Den pilgernden und suchenden Menschen von heute aber sind wir vor Gott und vor dem Evangelium, das uns anvertraut ist, genau das schuldig.“

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Des Weiteren wies der Bischof von Aachen darauf hin, dass das gemeinsame ökumenische Gedächtnis an die eine gemeinsame Taufe, die alle Christen empfangen hätten, aber auch daran erinnere, dass es Menschen des Geistes brauche, die die Einzigkeit Jesu Christi bezeugen könnten und wollten. „Bringt uns das Zeitalter des Pluralismus, des Relativismus und des Säkularismus nicht schon längst dazu, die Einzigkeit Jesu Christi allem unterzugliedern, ja sie aufzugeben?!“, fragte Dieser. Eine Haltung nach dem Motto „Wir für Jesus, andere für anderes, Gott irgendwie und überall?!“ würde dazu verführen, auch das Getrenntsein der Kirchen, das Unvollendetsein der Reformation und das Ausweichen vor einer gemeinsamen Idee von Einheit hinzunehmen und kulturell als Gewinn zu maskieren, warnte der Bischof.

Modern, ansprechend, erklärend

Was an den ersten Tagen der Heiligtumsfahrt, mit denen die Verantwortlichen sich sehr zufrieden zeigten, auffiel: Die Erlebnisdimension des Ereignisses ist – in einem guten, nicht oberflächlichen Sinne – verstärkt worden, die Kommunikation ist moderner, ansprechender und erklärender geworden, auch für Menschen, die nach Aachen kommen und durch Zufall auf die Wallfahrt stoßen. Eine Premiere bei der Heiligtumsfahrt: An der Innenstadt-Straße, die an der Domschatzkammer vorbei zum Domhof führt, durchqueren die Pilger vier Tore, an denen sie nacheinander mit den Aufforderungen „Entdecke dich“, „Entdecke die anderen“, „Entdecke die Welt“ und „Entdecke Gott“ konfrontiert werden.

Nach den vier Stationen erhalten die Pilger vor dem Eingang zum Dom das dreieckige Pilgertuch und betreten durch das Hauptportal den Dom, in dessen Chorhalle die Reliquien verehrt werden können. Am Ausgang auf der anderen Seite kann jeder sich danach in ein Gästebuch eintragen oder eine Videobotschaft hinterlassen. Im weiteren Verlauf der Heiligtumsfahrt, die noch bis zum 19. Juni dauert, erwartet das Bistum Aachen insgesamt bis zu 100 000 Gläubige, darunter Fuß- und Radpilger sowie Biker-Wallfahrer. Weitere Bischöfe und Kardinäle aus dem In- und Ausland werden die Gottesdienste feiern. Darüber hinaus findet im Stadtteil Kornelimünster, wo die prachtvolle Propsteikirche nach einer langen, umfangreichen Sanierung wiedereröffnet worden ist, parallel zu Aachen eine eigene Heiligtumsfahrt statt.

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